hinten auf Masten, Raaen und Segel wirkt, es verliert das schützende Kielwasser und ist Sturzseen ausgesetzt. Unsere "Alma" lag vortrefflich bei, und eigentlich zogen wir diese Position dem Segeln vor stürmischen Winden vor. Bei letzterem schlingerten wir in der hohen See, gegen welche die Segel keine seitliche Stütze gaben, oft so entsetzlich, daß fast die Spitzen der Unter- raaen in das Wasser tauchten, wir von beiden Seiten über die Verschanzung Wasser schöpften und beständig ein nasses, schlüpfe- riges Deck hatten.
Bei solchen Gelegenheiten lernt man zwar den Werth der Seebeine schätzen, auf die Dauer aber wird es wahrhaft un- erträglich, wenn man Tage und Wochen lang sich nur an auf- gespannten Tauen von einer Stelle des Schiffes nach der anderen bewegen kann, bei den Mahlzeiten sich auf das platte Deck mit irgendwo festgestemmten Füßen setzen und dann noch den Suppen- napf mit großer Kunst balanciren muß, um nicht durch ein heftiges Ueberholen kopfüber in eine Ecke geschleudert zu werden. Unter solchen Verhältnissen war das Beidrehen eine ordentliche Erholung. Das schreckliche Schlingern hörte auf, wir bekamen ein trockenes Deck und fühlten uns einigermaßen als Menschen. Wenn das Schiff bei der gewaltig hohen See auch bisweilen so tief stampfte, daß uns der Athem stockte, so war das lange nicht so unangenehm, wie das ununterbrochene Hin- und Herschleu- dern. Die Wellen, welche ich bisher in der Nordsee und im Biscayischen Meerbusen gesehen, waren Kinderspiel gegen den Seegang beim Cap der guten Hoffnung. Ich hätte nicht geglaubt, daß sich solche Wasserberge aufthürmen könnten, und wenn einzelne derselben angerollt kamen, zuerst den Bug des Schiffes und dann das Heck so hoch empor hoben, daß es unter einem Winkel von 45 Grad zum Horizonte auf- oder niederwärts zeigte, dann mußte man sich an solche gewaltsame Bewegungen erst gewöhnen, um nicht durch sie erschreckt und schwindlich zu werden.
Werner
hinten auf Maſten, Raaen und Segel wirkt, es verliert das ſchützende Kielwaſſer und iſt Sturzſeen ausgeſetzt. Unſere „Alma“ lag vortrefflich bei, und eigentlich zogen wir dieſe Poſition dem Segeln vor ſtürmiſchen Winden vor. Bei letzterem ſchlingerten wir in der hohen See, gegen welche die Segel keine ſeitliche Stütze gaben, oft ſo entſetzlich, daß faſt die Spitzen der Unter- raaen in das Waſſer tauchten, wir von beiden Seiten über die Verſchanzung Waſſer ſchöpften und beſtändig ein naſſes, ſchlüpfe- riges Deck hatten.
Bei ſolchen Gelegenheiten lernt man zwar den Werth der Seebeine ſchätzen, auf die Dauer aber wird es wahrhaft un- erträglich, wenn man Tage und Wochen lang ſich nur an auf- geſpannten Tauen von einer Stelle des Schiffes nach der anderen bewegen kann, bei den Mahlzeiten ſich auf das platte Deck mit irgendwo feſtgeſtemmten Füßen ſetzen und dann noch den Suppen- napf mit großer Kunſt balanciren muß, um nicht durch ein heftiges Ueberholen kopfüber in eine Ecke geſchleudert zu werden. Unter ſolchen Verhältniſſen war das Beidrehen eine ordentliche Erholung. Das ſchreckliche Schlingern hörte auf, wir bekamen ein trockenes Deck und fühlten uns einigermaßen als Menſchen. Wenn das Schiff bei der gewaltig hohen See auch bisweilen ſo tief ſtampfte, daß uns der Athem ſtockte, ſo war das lange nicht ſo unangenehm, wie das ununterbrochene Hin- und Herſchleu- dern. Die Wellen, welche ich bisher in der Nordſee und im Biscayiſchen Meerbuſen geſehen, waren Kinderſpiel gegen den Seegang beim Cap der guten Hoffnung. Ich hätte nicht geglaubt, daß ſich ſolche Waſſerberge aufthürmen könnten, und wenn einzelne derſelben angerollt kamen, zuerſt den Bug des Schiffes und dann das Heck ſo hoch empor hoben, daß es unter einem Winkel von 45 Grad zum Horizonte auf- oder niederwärts zeigte, dann mußte man ſich an ſolche gewaltſame Bewegungen erſt gewöhnen, um nicht durch ſie erſchreckt und ſchwindlich zu werden.
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Werner
hinten auf Maſten, Raaen und Segel wirkt, es verliert das
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lag vortrefflich bei, und eigentlich zogen wir dieſe Poſition dem
Segeln vor ſtürmiſchen Winden vor. Bei letzterem ſchlingerten
wir in der hohen See, gegen welche die Segel keine ſeitliche
Stütze gaben, oft ſo entſetzlich, daß faſt die Spitzen der Unter-
raaen in das Waſſer tauchten, wir von beiden Seiten über die
Verſchanzung Waſſer ſchöpften und beſtändig ein naſſes, ſchlüpfe-
riges Deck hatten.
Bei ſolchen Gelegenheiten lernt man zwar den Werth der
Seebeine ſchätzen, auf die Dauer aber wird es wahrhaft un-
erträglich, wenn man Tage und Wochen lang ſich nur an auf-
geſpannten Tauen von einer Stelle des Schiffes nach der anderen
bewegen kann, bei den Mahlzeiten ſich auf das platte Deck mit
irgendwo feſtgeſtemmten Füßen ſetzen und dann noch den Suppen-
napf mit großer Kunſt balanciren muß, um nicht durch ein
heftiges Ueberholen kopfüber in eine Ecke geſchleudert zu werden.
Unter ſolchen Verhältniſſen war das Beidrehen eine ordentliche
Erholung. Das ſchreckliche Schlingern hörte auf, wir bekamen
ein trockenes Deck und fühlten uns einigermaßen als Menſchen.
Wenn das Schiff bei der gewaltig hohen See auch bisweilen ſo
tief ſtampfte, daß uns der Athem ſtockte, ſo war das lange nicht
ſo unangenehm, wie das ununterbrochene Hin- und Herſchleu-
dern. Die Wellen, welche ich bisher in der Nordſee und im
Biscayiſchen Meerbuſen geſehen, waren Kinderſpiel gegen
den Seegang beim Cap der guten Hoffnung. Ich hätte
nicht geglaubt, daß ſich ſolche Waſſerberge aufthürmen könnten,
und wenn einzelne derſelben angerollt kamen, zuerſt den Bug
des Schiffes und dann das Heck ſo hoch empor hoben, daß es
unter einem Winkel von 45 Grad zum Horizonte auf- oder
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/118>, abgerufen am 16.02.2025.
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