finden, ging es noch. Weder die Beobachtung noch die Berech- nung erforderte besonderes Kopfzerbrechen, und auch das Berech- nen von Chronometerlängen war nicht übermäßig schwierig, aber auf Distanzen ließen sich die alten Seebären nicht ein, und erst der neueren Zeit war es vorbehalten, die Erlernung dieser Methoden für Kapitäne und Steuerleute der Handelsmarine obligatorisch zu machen.
Unserm Kapitän war die Sache jedenfalls sehr unklar und er befand sich in einem unangenehmen Dilemma. Wir hatten von Schiffswegen zwar einen Sextant an Bord, aber ich war überzeugt, daß er noch nie ein solches subtiles Instrument in der Hand gehabt hatte und gar nicht damit umzugehen verstand, so gut er seinen mächtigen handfesten Octanten zur einfachen Höhenmessung auch handhaben konnte. Von der Berechnung war natürlich bei ihm gar keine Rede, und so hätte er sich vor seinen Untergebenen nur blamirt, wenn er sich überhaupt auf einen Versuch nach dieser Richtung einließ. Und doch mußte er gemacht werden, denn so irrten wir auf dem großen Ocean um- her, ohne auch nur annähernd zu wissen, wo wir uns befanden. Er stellte sich deshalb klüglicher Weise auf den Standpunkt des Vorgesetzten und befahl einfach den Steuerleuten, die betreffen- den Beobachtungen anzustellen. Diese hatten beide die Navi- gationsschule besucht, wußten wenigstens wie es anzufangen war und begannen mit der heikeln Aufgabe.
Nun gehören aber zum Ausmessen einer Distanz für gewöhn- lich zwei Beobachter und ein Dritter, der die Beobachtungen niederschreibt und die Zeit notirt. Zu diesem Dritten bestimmte der Kapitän mich, da ich ohnehin nach meinem Contract in der Navigation unterrichtet werden sollte, und auf diese Weise wurde ich dann in die Mysterien der Letzteren eingeführt. Natür- lich ergriff ich diese Gelegenheit mit dem größten Eifer und Interesse, die Steuerleute unterwiesen mich in der Behandlung der Instrumente und in den Regeln der Berechnung; ich studirte,
Werner
finden, ging es noch. Weder die Beobachtung noch die Berech- nung erforderte beſonderes Kopfzerbrechen, und auch das Berech- nen von Chronometerlängen war nicht übermäßig ſchwierig, aber auf Diſtanzen ließen ſich die alten Seebären nicht ein, und erſt der neueren Zeit war es vorbehalten, die Erlernung dieſer Methoden für Kapitäne und Steuerleute der Handelsmarine obligatoriſch zu machen.
Unſerm Kapitän war die Sache jedenfalls ſehr unklar und er befand ſich in einem unangenehmen Dilemma. Wir hatten von Schiffswegen zwar einen Sextant an Bord, aber ich war überzeugt, daß er noch nie ein ſolches ſubtiles Inſtrument in der Hand gehabt hatte und gar nicht damit umzugehen verſtand, ſo gut er ſeinen mächtigen handfeſten Octanten zur einfachen Höhenmeſſung auch handhaben konnte. Von der Berechnung war natürlich bei ihm gar keine Rede, und ſo hätte er ſich vor ſeinen Untergebenen nur blamirt, wenn er ſich überhaupt auf einen Verſuch nach dieſer Richtung einließ. Und doch mußte er gemacht werden, denn ſo irrten wir auf dem großen Ocean um- her, ohne auch nur annähernd zu wiſſen, wo wir uns befanden. Er ſtellte ſich deshalb klüglicher Weiſe auf den Standpunkt des Vorgeſetzten und befahl einfach den Steuerleuten, die betreffen- den Beobachtungen anzuſtellen. Dieſe hatten beide die Navi- gationsſchule beſucht, wußten wenigſtens wie es anzufangen war und begannen mit der heikeln Aufgabe.
Nun gehören aber zum Ausmeſſen einer Diſtanz für gewöhn- lich zwei Beobachter und ein Dritter, der die Beobachtungen niederſchreibt und die Zeit notirt. Zu dieſem Dritten beſtimmte der Kapitän mich, da ich ohnehin nach meinem Contract in der Navigation unterrichtet werden ſollte, und auf dieſe Weiſe wurde ich dann in die Myſterien der Letzteren eingeführt. Natür- lich ergriff ich dieſe Gelegenheit mit dem größten Eifer und Intereſſe, die Steuerleute unterwieſen mich in der Behandlung der Inſtrumente und in den Regeln der Berechnung; ich ſtudirte,
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Werner
finden, ging es noch. Weder die Beobachtung noch die Berech-
nung erforderte beſonderes Kopfzerbrechen, und auch das Berech-
nen von Chronometerlängen war nicht übermäßig ſchwierig, aber
auf Diſtanzen ließen ſich die alten Seebären nicht ein, und erſt
der neueren Zeit war es vorbehalten, die Erlernung dieſer
Methoden für Kapitäne und Steuerleute der Handelsmarine
obligatoriſch zu machen.
Unſerm Kapitän war die Sache jedenfalls ſehr unklar und
er befand ſich in einem unangenehmen Dilemma. Wir hatten
von Schiffswegen zwar einen Sextant an Bord, aber ich war
überzeugt, daß er noch nie ein ſolches ſubtiles Inſtrument in
der Hand gehabt hatte und gar nicht damit umzugehen verſtand,
ſo gut er ſeinen mächtigen handfeſten Octanten zur einfachen
Höhenmeſſung auch handhaben konnte. Von der Berechnung
war natürlich bei ihm gar keine Rede, und ſo hätte er ſich vor
ſeinen Untergebenen nur blamirt, wenn er ſich überhaupt auf
einen Verſuch nach dieſer Richtung einließ. Und doch mußte er
gemacht werden, denn ſo irrten wir auf dem großen Ocean um-
her, ohne auch nur annähernd zu wiſſen, wo wir uns befanden.
Er ſtellte ſich deshalb klüglicher Weiſe auf den Standpunkt des
Vorgeſetzten und befahl einfach den Steuerleuten, die betreffen-
den Beobachtungen anzuſtellen. Dieſe hatten beide die Navi-
gationsſchule beſucht, wußten wenigſtens wie es anzufangen war
und begannen mit der heikeln Aufgabe.
Nun gehören aber zum Ausmeſſen einer Diſtanz für gewöhn-
lich zwei Beobachter und ein Dritter, der die Beobachtungen
niederſchreibt und die Zeit notirt. Zu dieſem Dritten beſtimmte
der Kapitän mich, da ich ohnehin nach meinem Contract in
der Navigation unterrichtet werden ſollte, und auf dieſe Weiſe
wurde ich dann in die Myſterien der Letzteren eingeführt. Natür-
lich ergriff ich dieſe Gelegenheit mit dem größten Eifer und
Intereſſe, die Steuerleute unterwieſen mich in der Behandlung
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/114>, abgerufen am 16.02.2025.
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