Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

Eine erste Seereise
nach Norden umbiegen und mit dem Südostpassat die Sunda-
straße erreichen kann.

Wir kamen an der auf der Höhe des Caps der guten
Hoffnung, aber etwa 350 Meilen westlich davon gelegenen Insel
Tristan d'Acunha vorbei und wollten sie in Sicht laufen, um
unsere Schiffsrechnung zu verificiren. Es ging uns aber gerade so,
wie mit Madeira. Wir sollten sie nach unsrem Besteck auf eine
Meile Entfernung passiren; es war das schönste sichtigste Wetter,
aber wir spähten vergebens; die Segeltuchhose blieb wiederum un-
verdient. Wir waren also mindestens 20 bis 25 Meilen aus dem
Wege, denn bei der außerordentlich klaren Luft hätten wir den
hohen spitzen Bergkegel, der die Insel bildet, sehen müssen. Es
konnten aber eben so gut hundert Meilen sein und da offenbar
unser irdischer Chronometer, mit dessen Hülfe man die geogra-
phische Länge berechnet, falsch zeigte, so mußten wir schon auf
die nie fehlgehende himmlische Uhr zurückgreifen und uns an die
Monddistanzen halten, die den Chronometer ersetzen.

Nun ist aber sowol die Beobachtung wie die Berechnung
der Distanzen zwischen Mond und Sonne resp. Sternen eins
der schwierigsten Probleme, welche die Nautik kennt, und beides
war namentlich für die Kapitäne alten Schlages, zu denen der
unsere gehörte, eine böse Nuß.

Sie zeigten sich im allgemeinen als außerordentlich tüchtige
Seeleute, die mit ihren Schiffen lesen und schreiben konnten, wie
man zu sagen pflegte, und in Drangsal und Noth bei Sturm
und Wetter den Kopf oben zu behalten wußten, aber mit der
theoretischen Navigation fand es sich bei ihnen, namentlich auf
den friesischen Inseln, nur schwach bestellt. Staatliche Navi-
gationsschulen existirten dort nicht, und so wurden die jungen
Seeleute, wenn sie einmal einen Winter zu Hause waren, von
alten invaliden Kapitänen in die Geheimnisse der nautischen Be-
rechnungen eingeweiht, die sich allerdings auf ein Minimum be-
schränkten. Mit den verschiedenen Methoden, die Breite aufzu-

Eine erſte Seereiſe
nach Norden umbiegen und mit dem Südoſtpaſſat die Sunda-
ſtraße erreichen kann.

Wir kamen an der auf der Höhe des Caps der guten
Hoffnung, aber etwa 350 Meilen weſtlich davon gelegenen Inſel
Triſtan d’Acunha vorbei und wollten ſie in Sicht laufen, um
unſere Schiffsrechnung zu verificiren. Es ging uns aber gerade ſo,
wie mit Madeira. Wir ſollten ſie nach unſrem Beſteck auf eine
Meile Entfernung paſſiren; es war das ſchönſte ſichtigſte Wetter,
aber wir ſpähten vergebens; die Segeltuchhoſe blieb wiederum un-
verdient. Wir waren alſo mindeſtens 20 bis 25 Meilen aus dem
Wege, denn bei der außerordentlich klaren Luft hätten wir den
hohen ſpitzen Bergkegel, der die Inſel bildet, ſehen müſſen. Es
konnten aber eben ſo gut hundert Meilen ſein und da offenbar
unſer irdiſcher Chronometer, mit deſſen Hülfe man die geogra-
phiſche Länge berechnet, falſch zeigte, ſo mußten wir ſchon auf
die nie fehlgehende himmliſche Uhr zurückgreifen und uns an die
Monddiſtanzen halten, die den Chronometer erſetzen.

Nun iſt aber ſowol die Beobachtung wie die Berechnung
der Diſtanzen zwiſchen Mond und Sonne reſp. Sternen eins
der ſchwierigſten Probleme, welche die Nautik kennt, und beides
war namentlich für die Kapitäne alten Schlages, zu denen der
unſere gehörte, eine böſe Nuß.

Sie zeigten ſich im allgemeinen als außerordentlich tüchtige
Seeleute, die mit ihren Schiffen leſen und ſchreiben konnten, wie
man zu ſagen pflegte, und in Drangſal und Noth bei Sturm
und Wetter den Kopf oben zu behalten wußten, aber mit der
theoretiſchen Navigation fand es ſich bei ihnen, namentlich auf
den frieſiſchen Inſeln, nur ſchwach beſtellt. Staatliche Navi-
gationsſchulen exiſtirten dort nicht, und ſo wurden die jungen
Seeleute, wenn ſie einmal einen Winter zu Hauſe waren, von
alten invaliden Kapitänen in die Geheimniſſe der nautiſchen Be-
rechnungen eingeweiht, die ſich allerdings auf ein Minimum be-
ſchränkten. Mit den verſchiedenen Methoden, die Breite aufzu-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0113" n="101"/><fw place="top" type="header">Eine er&#x017F;te Seerei&#x017F;e</fw><lb/>
nach Norden umbiegen und mit dem Südo&#x017F;tpa&#x017F;&#x017F;at die Sunda-<lb/>
&#x017F;traße erreichen kann.</p><lb/>
        <p>Wir kamen an der auf der Höhe des Caps der guten<lb/>
Hoffnung, aber etwa 350 Meilen we&#x017F;tlich davon gelegenen In&#x017F;el<lb/>
Tri&#x017F;tan d&#x2019;Acunha vorbei und wollten &#x017F;ie in Sicht laufen, um<lb/>
un&#x017F;ere Schiffsrechnung zu verificiren. Es ging uns aber gerade &#x017F;o,<lb/>
wie mit Madeira. Wir &#x017F;ollten &#x017F;ie nach un&#x017F;rem Be&#x017F;teck auf eine<lb/>
Meile Entfernung pa&#x017F;&#x017F;iren; es war das &#x017F;chön&#x017F;te &#x017F;ichtig&#x017F;te Wetter,<lb/>
aber wir &#x017F;pähten vergebens; die Segeltuchho&#x017F;e blieb wiederum un-<lb/>
verdient. Wir waren al&#x017F;o minde&#x017F;tens 20 bis 25 Meilen aus dem<lb/>
Wege, denn bei der außerordentlich klaren Luft hätten wir den<lb/>
hohen &#x017F;pitzen Bergkegel, der die In&#x017F;el bildet, &#x017F;ehen mü&#x017F;&#x017F;en. Es<lb/>
konnten aber eben &#x017F;o gut hundert Meilen &#x017F;ein und da offenbar<lb/>
un&#x017F;er irdi&#x017F;cher Chronometer, mit de&#x017F;&#x017F;en Hülfe man die geogra-<lb/>
phi&#x017F;che Länge berechnet, fal&#x017F;ch zeigte, &#x017F;o mußten wir &#x017F;chon auf<lb/>
die nie fehlgehende himmli&#x017F;che Uhr zurückgreifen und uns an die<lb/>
Monddi&#x017F;tanzen halten, die den Chronometer er&#x017F;etzen.</p><lb/>
        <p>Nun i&#x017F;t aber &#x017F;owol die Beobachtung wie die Berechnung<lb/>
der Di&#x017F;tanzen zwi&#x017F;chen Mond und Sonne re&#x017F;p. Sternen eins<lb/>
der &#x017F;chwierig&#x017F;ten Probleme, welche die Nautik kennt, und beides<lb/>
war namentlich für die Kapitäne alten Schlages, zu denen der<lb/>
un&#x017F;ere gehörte, eine bö&#x017F;e Nuß.</p><lb/>
        <p>Sie zeigten &#x017F;ich im allgemeinen als außerordentlich tüchtige<lb/>
Seeleute, die mit ihren Schiffen le&#x017F;en und &#x017F;chreiben konnten, wie<lb/>
man zu &#x017F;agen pflegte, und in Drang&#x017F;al und Noth bei Sturm<lb/>
und Wetter den Kopf oben zu behalten wußten, aber mit der<lb/>
theoreti&#x017F;chen Navigation fand es &#x017F;ich bei ihnen, namentlich auf<lb/>
den frie&#x017F;i&#x017F;chen In&#x017F;eln, nur &#x017F;chwach be&#x017F;tellt. Staatliche Navi-<lb/>
gations&#x017F;chulen exi&#x017F;tirten dort nicht, und &#x017F;o wurden die jungen<lb/>
Seeleute, wenn &#x017F;ie einmal einen Winter zu Hau&#x017F;e waren, von<lb/>
alten invaliden Kapitänen in die Geheimni&#x017F;&#x017F;e der nauti&#x017F;chen Be-<lb/>
rechnungen eingeweiht, die &#x017F;ich allerdings auf ein Minimum be-<lb/>
&#x017F;chränkten. Mit den ver&#x017F;chiedenen Methoden, die Breite aufzu-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[101/0113] Eine erſte Seereiſe nach Norden umbiegen und mit dem Südoſtpaſſat die Sunda- ſtraße erreichen kann. Wir kamen an der auf der Höhe des Caps der guten Hoffnung, aber etwa 350 Meilen weſtlich davon gelegenen Inſel Triſtan d’Acunha vorbei und wollten ſie in Sicht laufen, um unſere Schiffsrechnung zu verificiren. Es ging uns aber gerade ſo, wie mit Madeira. Wir ſollten ſie nach unſrem Beſteck auf eine Meile Entfernung paſſiren; es war das ſchönſte ſichtigſte Wetter, aber wir ſpähten vergebens; die Segeltuchhoſe blieb wiederum un- verdient. Wir waren alſo mindeſtens 20 bis 25 Meilen aus dem Wege, denn bei der außerordentlich klaren Luft hätten wir den hohen ſpitzen Bergkegel, der die Inſel bildet, ſehen müſſen. Es konnten aber eben ſo gut hundert Meilen ſein und da offenbar unſer irdiſcher Chronometer, mit deſſen Hülfe man die geogra- phiſche Länge berechnet, falſch zeigte, ſo mußten wir ſchon auf die nie fehlgehende himmliſche Uhr zurückgreifen und uns an die Monddiſtanzen halten, die den Chronometer erſetzen. Nun iſt aber ſowol die Beobachtung wie die Berechnung der Diſtanzen zwiſchen Mond und Sonne reſp. Sternen eins der ſchwierigſten Probleme, welche die Nautik kennt, und beides war namentlich für die Kapitäne alten Schlages, zu denen der unſere gehörte, eine böſe Nuß. Sie zeigten ſich im allgemeinen als außerordentlich tüchtige Seeleute, die mit ihren Schiffen leſen und ſchreiben konnten, wie man zu ſagen pflegte, und in Drangſal und Noth bei Sturm und Wetter den Kopf oben zu behalten wußten, aber mit der theoretiſchen Navigation fand es ſich bei ihnen, namentlich auf den frieſiſchen Inſeln, nur ſchwach beſtellt. Staatliche Navi- gationsſchulen exiſtirten dort nicht, und ſo wurden die jungen Seeleute, wenn ſie einmal einen Winter zu Hauſe waren, von alten invaliden Kapitänen in die Geheimniſſe der nautiſchen Be- rechnungen eingeweiht, die ſich allerdings auf ein Minimum be- ſchränkten. Mit den verſchiedenen Methoden, die Breite aufzu-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/113
Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/113>, abgerufen am 24.11.2024.