nach Norden umbiegen und mit dem Südostpassat die Sunda- straße erreichen kann.
Wir kamen an der auf der Höhe des Caps der guten Hoffnung, aber etwa 350 Meilen westlich davon gelegenen Insel Tristan d'Acunha vorbei und wollten sie in Sicht laufen, um unsere Schiffsrechnung zu verificiren. Es ging uns aber gerade so, wie mit Madeira. Wir sollten sie nach unsrem Besteck auf eine Meile Entfernung passiren; es war das schönste sichtigste Wetter, aber wir spähten vergebens; die Segeltuchhose blieb wiederum un- verdient. Wir waren also mindestens 20 bis 25 Meilen aus dem Wege, denn bei der außerordentlich klaren Luft hätten wir den hohen spitzen Bergkegel, der die Insel bildet, sehen müssen. Es konnten aber eben so gut hundert Meilen sein und da offenbar unser irdischer Chronometer, mit dessen Hülfe man die geogra- phische Länge berechnet, falsch zeigte, so mußten wir schon auf die nie fehlgehende himmlische Uhr zurückgreifen und uns an die Monddistanzen halten, die den Chronometer ersetzen.
Nun ist aber sowol die Beobachtung wie die Berechnung der Distanzen zwischen Mond und Sonne resp. Sternen eins der schwierigsten Probleme, welche die Nautik kennt, und beides war namentlich für die Kapitäne alten Schlages, zu denen der unsere gehörte, eine böse Nuß.
Sie zeigten sich im allgemeinen als außerordentlich tüchtige Seeleute, die mit ihren Schiffen lesen und schreiben konnten, wie man zu sagen pflegte, und in Drangsal und Noth bei Sturm und Wetter den Kopf oben zu behalten wußten, aber mit der theoretischen Navigation fand es sich bei ihnen, namentlich auf den friesischen Inseln, nur schwach bestellt. Staatliche Navi- gationsschulen existirten dort nicht, und so wurden die jungen Seeleute, wenn sie einmal einen Winter zu Hause waren, von alten invaliden Kapitänen in die Geheimnisse der nautischen Be- rechnungen eingeweiht, die sich allerdings auf ein Minimum be- schränkten. Mit den verschiedenen Methoden, die Breite aufzu-
Eine erſte Seereiſe
nach Norden umbiegen und mit dem Südoſtpaſſat die Sunda- ſtraße erreichen kann.
Wir kamen an der auf der Höhe des Caps der guten Hoffnung, aber etwa 350 Meilen weſtlich davon gelegenen Inſel Triſtan d’Acunha vorbei und wollten ſie in Sicht laufen, um unſere Schiffsrechnung zu verificiren. Es ging uns aber gerade ſo, wie mit Madeira. Wir ſollten ſie nach unſrem Beſteck auf eine Meile Entfernung paſſiren; es war das ſchönſte ſichtigſte Wetter, aber wir ſpähten vergebens; die Segeltuchhoſe blieb wiederum un- verdient. Wir waren alſo mindeſtens 20 bis 25 Meilen aus dem Wege, denn bei der außerordentlich klaren Luft hätten wir den hohen ſpitzen Bergkegel, der die Inſel bildet, ſehen müſſen. Es konnten aber eben ſo gut hundert Meilen ſein und da offenbar unſer irdiſcher Chronometer, mit deſſen Hülfe man die geogra- phiſche Länge berechnet, falſch zeigte, ſo mußten wir ſchon auf die nie fehlgehende himmliſche Uhr zurückgreifen und uns an die Monddiſtanzen halten, die den Chronometer erſetzen.
Nun iſt aber ſowol die Beobachtung wie die Berechnung der Diſtanzen zwiſchen Mond und Sonne reſp. Sternen eins der ſchwierigſten Probleme, welche die Nautik kennt, und beides war namentlich für die Kapitäne alten Schlages, zu denen der unſere gehörte, eine böſe Nuß.
Sie zeigten ſich im allgemeinen als außerordentlich tüchtige Seeleute, die mit ihren Schiffen leſen und ſchreiben konnten, wie man zu ſagen pflegte, und in Drangſal und Noth bei Sturm und Wetter den Kopf oben zu behalten wußten, aber mit der theoretiſchen Navigation fand es ſich bei ihnen, namentlich auf den frieſiſchen Inſeln, nur ſchwach beſtellt. Staatliche Navi- gationsſchulen exiſtirten dort nicht, und ſo wurden die jungen Seeleute, wenn ſie einmal einen Winter zu Hauſe waren, von alten invaliden Kapitänen in die Geheimniſſe der nautiſchen Be- rechnungen eingeweiht, die ſich allerdings auf ein Minimum be- ſchränkten. Mit den verſchiedenen Methoden, die Breite aufzu-
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Eine erſte Seereiſe
nach Norden umbiegen und mit dem Südoſtpaſſat die Sunda-
ſtraße erreichen kann.
Wir kamen an der auf der Höhe des Caps der guten
Hoffnung, aber etwa 350 Meilen weſtlich davon gelegenen Inſel
Triſtan d’Acunha vorbei und wollten ſie in Sicht laufen, um
unſere Schiffsrechnung zu verificiren. Es ging uns aber gerade ſo,
wie mit Madeira. Wir ſollten ſie nach unſrem Beſteck auf eine
Meile Entfernung paſſiren; es war das ſchönſte ſichtigſte Wetter,
aber wir ſpähten vergebens; die Segeltuchhoſe blieb wiederum un-
verdient. Wir waren alſo mindeſtens 20 bis 25 Meilen aus dem
Wege, denn bei der außerordentlich klaren Luft hätten wir den
hohen ſpitzen Bergkegel, der die Inſel bildet, ſehen müſſen. Es
konnten aber eben ſo gut hundert Meilen ſein und da offenbar
unſer irdiſcher Chronometer, mit deſſen Hülfe man die geogra-
phiſche Länge berechnet, falſch zeigte, ſo mußten wir ſchon auf
die nie fehlgehende himmliſche Uhr zurückgreifen und uns an die
Monddiſtanzen halten, die den Chronometer erſetzen.
Nun iſt aber ſowol die Beobachtung wie die Berechnung
der Diſtanzen zwiſchen Mond und Sonne reſp. Sternen eins
der ſchwierigſten Probleme, welche die Nautik kennt, und beides
war namentlich für die Kapitäne alten Schlages, zu denen der
unſere gehörte, eine böſe Nuß.
Sie zeigten ſich im allgemeinen als außerordentlich tüchtige
Seeleute, die mit ihren Schiffen leſen und ſchreiben konnten, wie
man zu ſagen pflegte, und in Drangſal und Noth bei Sturm
und Wetter den Kopf oben zu behalten wußten, aber mit der
theoretiſchen Navigation fand es ſich bei ihnen, namentlich auf
den frieſiſchen Inſeln, nur ſchwach beſtellt. Staatliche Navi-
gationsſchulen exiſtirten dort nicht, und ſo wurden die jungen
Seeleute, wenn ſie einmal einen Winter zu Hauſe waren, von
alten invaliden Kapitänen in die Geheimniſſe der nautiſchen Be-
rechnungen eingeweiht, die ſich allerdings auf ein Minimum be-
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/113>, abgerufen am 24.11.2024.
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