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Welczeck, Adelheid von: Das Frauenstimmrecht in den verschiedenen Ländern. Gautzsch b. Leipzig, 1908 (= Kultur und Fortschritt, Bd. 135).

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I. Einleitung.

Wenn man die Geschichte der deutschen Frauenbewegung mit der
anderer Länder vergleicht, so ist es auffallend, daß Bestrebungen nach
politischer Gleichberechtigung der Frau erst verhältnismäßig spät in die
Erscheinung treten. Zwar hat schon Anfang der 40er Jahre eine verein-
zelte Frau: Luise Otto in Poesie und Prosa die Forderung gleicher Men-
schenrechte für das weibliche Geschlecht erhoben, insbesondere in der
von ihr herausgegebenen Frauenzeitung, welche mit dem Motto erschien:
"Dem Reich der Freiheit werb' ich Bürgerinnen." Es war jedoch vor-
herrschend das Recht auf Arbeit und Erwerb, welches Luise Otto betonte
und als Gründerin des Allgem. deutschen Frauenvereins (1865) mit
Energie verfochten hat. Der Allgem. deutsche Frauenverein wurde der
Ausgangspunkt für die Bestrebungen nach verbesserter Bildungsmög-
lichkeit, erweiterter Berufstätigkeit und gemeinnütziger Arbeit für die
Frauen, welche die 60er und 70er Jahre ganz beherrschen.

Grundlegend für den Kampf um staatsbürgerliche Gleichberechti-
gung der Frau ist Hedwig Dohms Werk: Der Frauen Natur und Recht
(Anfang der 70er Jahre erschienen); hier wird zum ersten Male die Frage
des Wahlrechts für Frauen behandelt, aber noch war die Zeit nicht ge-
kommen, diesem Gedanken in weiteren Kreisen der Frauenwelt Eingang
zu verschaffen; in dem heißen Ringen um die Existenz, in welches Tau-
sende, ja Millionen von Frauen infolge der sozialen und wirtschaftlichen
Verhältnisse sich gedrängt sahen, schienen sie vergessen zu haben, daß
nur die Erlangung des Bürgerrechts und die Teilnahme an der Gesetz-
gebung eine gründliche Verbesserung ihrer Lage herbeiführen könnte.

Erst Anfang der 90er Jahre begannen fortschrittlich gesinnte Frauen
unter Führung der Begründerin des Vereins Frauenwohl Berlin, Frau
Minna Cauer, sich mit Fragen der Gesetzgebung und Sozialpolitik zu
beschäftigen. Insbesondere wurde bei der Beratung des BGB, die recht-
liche Lage der Frau zur Erörterung gestellt. Eine lebhafte Agitation
von allen Frauenvereinen trat dabei in die Erscheinung. Eine Zusammen-
stellung der Frauenforderungen wurde mit einer Petition dem Reichs-
tage eingesendet.

Die erste Volksversammlung bürgerlicher Frauen fand am 2. Dezem-
ber 1894 statt, einberufen von Frau Minna Cauer. Frau Lily von Gy-
zicki hielt einen Vortrag über die Bürgerpflicht der Frau, in welchem
zum erstenmal von bürgerlicher Seite aus die Forderung des Frauen-
stimmrechts in breiter Oeffentlichkeit erhoben wurde.

Als im Jahre 1899 auf die Initiative des Vereins Frauenwohl-Berlin der
Verband fortschrittlicher Frauenvereine gegründet wurde, nahm derselbe
außer der Bildungsfrage, der Sittlichkeitsfrage und der Arbeiterinnen-
frage auch die Forderung nach politischer Gleichberechtigung der Frau
in sein Programm auf und hat dieselbe in energischer Weise verfochten.

Gegen das Vereinsgesetz von 1850, welches in einer Reihe von
Bundesstaaten die Frauen von der Zugehörigkeit zu politischen Vereinen
ausschließt, wurden von allen Richtungen der bürgerlichen Frauenbe-
wegung seit der Mitte der 90er Jahre fast alljährlich Protestkundgebungen
veranstaltet; eine Fülle von Petitionen, welche die Beseitigung der ver-
einsrechtlichen Beschränkungen fordern, wurden bei den gesetzgebenden
Körperschaften eingereicht; so erwachten die deutschen Frauen allmäh-
lich zu dem Bewußtsein, daß die Erlangung der staatsbürgerlichen
Rechte für sie von wesentlicher Bedeutung ist.*)



*) Siehe hierzu Heft 134 der gleichen Sammlung: Vereins- und Versammlungsrecht
v. Dr. A. Elster.
I. Einleitung.

Wenn man die Geschichte der deutschen Frauenbewegung mit der
anderer Länder vergleicht, so ist es auffallend, daß Bestrebungen nach
politischer Gleichberechtigung der Frau erst verhältnismäßig spät in die
Erscheinung treten. Zwar hat schon Anfang der 40er Jahre eine verein-
zelte Frau: Luise Otto in Poesie und Prosa die Forderung gleicher Men-
schenrechte für das weibliche Geschlecht erhoben, insbesondere in der
von ihr herausgegebenen Frauenzeitung, welche mit dem Motto erschien:
„Dem Reich der Freiheit werb' ich Bürgerinnen.“ Es war jedoch vor-
herrschend das Recht auf Arbeit und Erwerb, welches Luise Otto betonte
und als Gründerin des Allgem. deutschen Frauenvereins (1865) mit
Energie verfochten hat. Der Allgem. deutsche Frauenverein wurde der
Ausgangspunkt für die Bestrebungen nach verbesserter Bildungsmög-
lichkeit, erweiterter Berufstätigkeit und gemeinnütziger Arbeit für die
Frauen, welche die 60er und 70er Jahre ganz beherrschen.

Grundlegend für den Kampf um staatsbürgerliche Gleichberechti-
gung der Frau ist Hedwig Dohms Werk: Der Frauen Natur und Recht
(Anfang der 70er Jahre erschienen); hier wird zum ersten Male die Frage
des Wahlrechts für Frauen behandelt, aber noch war die Zeit nicht ge-
kommen, diesem Gedanken in weiteren Kreisen der Frauenwelt Eingang
zu verschaffen; in dem heißen Ringen um die Existenz, in welches Tau-
sende, ja Millionen von Frauen infolge der sozialen und wirtschaftlichen
Verhältnisse sich gedrängt sahen, schienen sie vergessen zu haben, daß
nur die Erlangung des Bürgerrechts und die Teilnahme an der Gesetz-
gebung eine gründliche Verbesserung ihrer Lage herbeiführen könnte.

Erst Anfang der 90er Jahre begannen fortschrittlich gesinnte Frauen
unter Führung der Begründerin des Vereins Frauenwohl Berlin, Frau
Minna Cauer, sich mit Fragen der Gesetzgebung und Sozialpolitik zu
beschäftigen. Insbesondere wurde bei der Beratung des BGB, die recht-
liche Lage der Frau zur Erörterung gestellt. Eine lebhafte Agitation
von allen Frauenvereinen trat dabei in die Erscheinung. Eine Zusammen-
stellung der Frauenforderungen wurde mit einer Petition dem Reichs-
tage eingesendet.

Die erste Volksversammlung bürgerlicher Frauen fand am 2. Dezem-
ber 1894 statt, einberufen von Frau Minna Cauer. Frau Lily von Gy-
zicki hielt einen Vortrag über die Bürgerpflicht der Frau, in welchem
zum erstenmal von bürgerlicher Seite aus die Forderung des Frauen-
stimmrechts in breiter Oeffentlichkeit erhoben wurde.

Als im Jahre 1899 auf die Initiative des Vereins Frauenwohl-Berlin der
Verband fortschrittlicher Frauenvereine gegründet wurde, nahm derselbe
außer der Bildungsfrage, der Sittlichkeitsfrage und der Arbeiterinnen-
frage auch die Forderung nach politischer Gleichberechtigung der Frau
in sein Programm auf und hat dieselbe in energischer Weise verfochten.

Gegen das Vereinsgesetz von 1850, welches in einer Reihe von
Bundesstaaten die Frauen von der Zugehörigkeit zu politischen Vereinen
ausschließt, wurden von allen Richtungen der bürgerlichen Frauenbe-
wegung seit der Mitte der 90er Jahre fast alljährlich Protestkundgebungen
veranstaltet; eine Fülle von Petitionen, welche die Beseitigung der ver-
einsrechtlichen Beschränkungen fordern, wurden bei den gesetzgebenden
Körperschaften eingereicht; so erwachten die deutschen Frauen allmäh-
lich zu dem Bewußtsein, daß die Erlangung der staatsbürgerlichen
Rechte für sie von wesentlicher Bedeutung ist.*)



*) Siehe hierzu Heft 134 der gleichen Sammlung: Vereins- und Versammlungsrecht
v. Dr. A. Elster.
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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen : Bereitstellung der Texttranskription. (2018-04-10T14:02:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-04-10T14:02:09Z)

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Zitationshilfe: Welczeck, Adelheid von: Das Frauenstimmrecht in den verschiedenen Ländern. Gautzsch b. Leipzig, 1908 (= Kultur und Fortschritt, Bd. 135), S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/welczeck_frauenstimmrecht_1908/4>, abgerufen am 24.11.2024.