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Weismann, August: Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Jena, 1893.

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glaubt durch sie jedes Hinderniss überwunden, welches der
"transmission of acquired characters" im Wege stand.

Sehen wir zu, wie Spencer die Telegonie zu einem
Beweis für die Vererbung erworbener Eigenschaften des
Körpers stempelt. Nach seiner Ansicht zeigen diese Fälle
"that while the reproductive cells multiply and arrange
themselves during the evolution of the embryo, some of their
germ-plasm passes into the mass of somatic cells constituting
the parental body and becomes a permanent component of
it. Further they necessitate the inference, that this intro-
duced germ-plasm, everywhere diffused, is some of it in-
cluded in the reproductive cells subsequently formed". Ich
verstehe nicht, auf welche Thatsachen Spencer sich berufen
könnte, wenn er Keimplasma aus den Zellen des Embryo in
die der Mutter übergehen lässt. Der Embryo der Säuge-
thiere steht nur durch die Placenta mit mütterlichem Gewebe
in engem Contact, sollten die Zellen der Placenta Keimplasma
enthalten? Aber ich vergesse, dass Spencer auf der Vor-
stellung völlig gleichartiger "physiological units" steht, von
der freilich erst gezeigt werden müsste, wie sie im Stande
ist, die Differenzirungen beim Aufbau des Körpers zu erklären.
Da würde mir die Vorstellung noch eher annehmbar scheinen,
dass einige der Spermazellen sich in Körperzellen der mütter-
lichen Gewebe einbohren, damit wäre doch wenigstens die
Anwesenheit von väterlichem Keimplasma gesichert. Allein
auch diese Vermuthung stimmt nicht mit den Thatsachen,
da wir wissen, dass die Samenzellen zwar sehr stark von
den Eizellen angezogen werden, nicht aber von anderen be-
liebigen Zellen. Die Vorstellung Spencer's vollends, dass
das vom Embryo in Zellen der Mutter, also doch wohl der
mütterlichen Placenta eingedrungene väterliche Keimplasma

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glaubt durch sie jedes Hinderniss überwunden, welches der
„transmission of acquired characters“ im Wege stand.

Sehen wir zu, wie Spencer die Telegonie zu einem
Beweis für die Vererbung erworbener Eigenschaften des
Körpers stempelt. Nach seiner Ansicht zeigen diese Fälle
„that while the reproductive cells multiply and arrange
themselves during the evolution of the embryo, some of their
germ-plasm passes into the mass of somatic cells constituting
the parental body and becomes a permanent component of
it. Further they necessitate the inference, that this intro-
duced germ-plasm, everywhere diffused, is some of it in-
cluded in the reproductive cells subsequently formed“. Ich
verstehe nicht, auf welche Thatsachen Spencer sich berufen
könnte, wenn er Keimplasma aus den Zellen des Embryo in
die der Mutter übergehen lässt. Der Embryo der Säuge-
thiere steht nur durch die Placenta mit mütterlichem Gewebe
in engem Contact, sollten die Zellen der Placenta Keimplasma
enthalten? Aber ich vergesse, dass Spencer auf der Vor-
stellung völlig gleichartiger „physiological units“ steht, von
der freilich erst gezeigt werden müsste, wie sie im Stande
ist, die Differenzirungen beim Aufbau des Körpers zu erklären.
Da würde mir die Vorstellung noch eher annehmbar scheinen,
dass einige der Spermazellen sich in Körperzellen der mütter-
lichen Gewebe einbohren, damit wäre doch wenigstens die
Anwesenheit von väterlichem Keimplasma gesichert. Allein
auch diese Vermuthung stimmt nicht mit den Thatsachen,
da wir wissen, dass die Samenzellen zwar sehr stark von
den Eizellen angezogen werden, nicht aber von anderen be-
liebigen Zellen. Die Vorstellung Spencer’s vollends, dass
das vom Embryo in Zellen der Mutter, also doch wohl der
mütterlichen Placenta eingedrungene väterliche Keimplasma

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[83/0095] glaubt durch sie jedes Hinderniss überwunden, welches der „transmission of acquired characters“ im Wege stand. Sehen wir zu, wie Spencer die Telegonie zu einem Beweis für die Vererbung erworbener Eigenschaften des Körpers stempelt. Nach seiner Ansicht zeigen diese Fälle „that while the reproductive cells multiply and arrange themselves during the evolution of the embryo, some of their germ-plasm passes into the mass of somatic cells constituting the parental body and becomes a permanent component of it. Further they necessitate the inference, that this intro- duced germ-plasm, everywhere diffused, is some of it in- cluded in the reproductive cells subsequently formed“. Ich verstehe nicht, auf welche Thatsachen Spencer sich berufen könnte, wenn er Keimplasma aus den Zellen des Embryo in die der Mutter übergehen lässt. Der Embryo der Säuge- thiere steht nur durch die Placenta mit mütterlichem Gewebe in engem Contact, sollten die Zellen der Placenta Keimplasma enthalten? Aber ich vergesse, dass Spencer auf der Vor- stellung völlig gleichartiger „physiological units“ steht, von der freilich erst gezeigt werden müsste, wie sie im Stande ist, die Differenzirungen beim Aufbau des Körpers zu erklären. Da würde mir die Vorstellung noch eher annehmbar scheinen, dass einige der Spermazellen sich in Körperzellen der mütter- lichen Gewebe einbohren, damit wäre doch wenigstens die Anwesenheit von väterlichem Keimplasma gesichert. Allein auch diese Vermuthung stimmt nicht mit den Thatsachen, da wir wissen, dass die Samenzellen zwar sehr stark von den Eizellen angezogen werden, nicht aber von anderen be- liebigen Zellen. Die Vorstellung Spencer’s vollends, dass das vom Embryo in Zellen der Mutter, also doch wohl der mütterlichen Placenta eingedrungene väterliche Keimplasma 6*

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Zitationshilfe: Weismann, August: Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Jena, 1893, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_naturzuechtung_1893/95>, abgerufen am 27.11.2024.