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Weismann, August: Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Jena, 1893.

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kleine Schwankungen vorkommen. Sobald also dann Se-
lection aufhört auf den Charakter einzuwirken, muss das
langsame Herabsinken desselben von der vorher erreichten
Organisationshöhe beginnen.

Diese Consequenz aus der Selection ist auch nicht zum
ersten Male von mir gezogen worden, sondern, wie man
vor einiger Zeit erfahren hat, zehn Jahre vorher schon von
Romanes 1). Wenn es diesem scharfsinnigen Forscher
nicht gelang, diese richtige Folgerung in der Wissenschaft
zur Geltung zu bringen, so lag dies daran, dass er nicht
mit der Vererbung erworbener Eigenschaften vollständig
brach, wie er denn auch heute noch daran festhält und
grade in Bezug auf harmonische Umgestaltung zusammen-
wirkender Theile (coadaptation) das Princip der Vererbung
functioneller Abänderungen mit Spencer nicht entbehren
zu können glaubt; erklärt er mich doch heute noch für einen
"Ultra-Darwinian". Romanes nun machte in jenem Auf-
satz von 1874 das Aufhören der Selection nur als ein Hülfs-
princip geltend, welches andere Factoren der Entartung
nichtgebrauchter Theile unterstützen sollte, besonders "eco-
nomy of growth" und "disuse", Nichtgebrauch. Er sagt:
"The cessation of selection should therefore be regarded as
a reducing cause, which co-operates with other reducing
causes in all cases, and which is of special importance as
an accelerating agent when the influence of the latter be-
comes feeble". Wenn nun aber, wie Romanes glaubte,

1) Nature, Vol. IX, "Natural Selection and Dysteleology"
in der Nummer vom 12. März 1874; in der Nummer vom
9. April 1874 ein zweiter Artikel "Rudimentary Organs" und
in der Nummer vom 2. Juli 1874 ein dritter: "Disuse as a
reducing cause in species".

kleine Schwankungen vorkommen. Sobald also dann Se-
lection aufhört auf den Charakter einzuwirken, muss das
langsame Herabsinken desselben von der vorher erreichten
Organisationshöhe beginnen.

Diese Consequenz aus der Selection ist auch nicht zum
ersten Male von mir gezogen worden, sondern, wie man
vor einiger Zeit erfahren hat, zehn Jahre vorher schon von
Romanes 1). Wenn es diesem scharfsinnigen Forscher
nicht gelang, diese richtige Folgerung in der Wissenschaft
zur Geltung zu bringen, so lag dies daran, dass er nicht
mit der Vererbung erworbener Eigenschaften vollständig
brach, wie er denn auch heute noch daran festhält und
grade in Bezug auf harmonische Umgestaltung zusammen-
wirkender Theile (coadaptation) das Princip der Vererbung
functioneller Abänderungen mit Spencer nicht entbehren
zu können glaubt; erklärt er mich doch heute noch für einen
„Ultra-Darwinian“. Romanes nun machte in jenem Auf-
satz von 1874 das Aufhören der Selection nur als ein Hülfs-
princip geltend, welches andere Factoren der Entartung
nichtgebrauchter Theile unterstützen sollte, besonders „eco-
nomy of growth“ und „disuse“, Nichtgebrauch. Er sagt:
„The cessation of selection should therefore be regarded as
a reducing cause, which co-operates with other reducing
causes in all cases, and which is of special importance as
an accelerating agent when the influence of the latter be-
comes feeble“. Wenn nun aber, wie Romanes glaubte,

1) Nature, Vol. IX, „Natural Selection and Dysteleology“
in der Nummer vom 12. März 1874; in der Nummer vom
9. April 1874 ein zweiter Artikel „Rudimentary Organs“ und
in der Nummer vom 2. Juli 1874 ein dritter: „Disuse as a
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[55/0067] kleine Schwankungen vorkommen. Sobald also dann Se- lection aufhört auf den Charakter einzuwirken, muss das langsame Herabsinken desselben von der vorher erreichten Organisationshöhe beginnen. Diese Consequenz aus der Selection ist auch nicht zum ersten Male von mir gezogen worden, sondern, wie man vor einiger Zeit erfahren hat, zehn Jahre vorher schon von Romanes 1). Wenn es diesem scharfsinnigen Forscher nicht gelang, diese richtige Folgerung in der Wissenschaft zur Geltung zu bringen, so lag dies daran, dass er nicht mit der Vererbung erworbener Eigenschaften vollständig brach, wie er denn auch heute noch daran festhält und grade in Bezug auf harmonische Umgestaltung zusammen- wirkender Theile (coadaptation) das Princip der Vererbung functioneller Abänderungen mit Spencer nicht entbehren zu können glaubt; erklärt er mich doch heute noch für einen „Ultra-Darwinian“. Romanes nun machte in jenem Auf- satz von 1874 das Aufhören der Selection nur als ein Hülfs- princip geltend, welches andere Factoren der Entartung nichtgebrauchter Theile unterstützen sollte, besonders „eco- nomy of growth“ und „disuse“, Nichtgebrauch. Er sagt: „The cessation of selection should therefore be regarded as a reducing cause, which co-operates with other reducing causes in all cases, and which is of special importance as an accelerating agent when the influence of the latter be- comes feeble“. Wenn nun aber, wie Romanes glaubte, 1) Nature, Vol. IX, „Natural Selection and Dysteleology“ in der Nummer vom 12. März 1874; in der Nummer vom 9. April 1874 ein zweiter Artikel „Rudimentary Organs“ und in der Nummer vom 2. Juli 1874 ein dritter: „Disuse as a reducing cause in species“.

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Zitationshilfe: Weismann, August: Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Jena, 1893, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_naturzuechtung_1893/67>, abgerufen am 24.11.2024.