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Weismann, August: Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Jena, 1893.

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mann ihnen die Kiefer in eine todte Puppe hineinsteckte,
so fingen sie nicht an zu fressen, leckten höchstens ver-
suchsweise daran und entfernten sich dann wieder. Sobald
man ihnen aber einen Sklaven, also eine Arbeiterin z. B.
von Formica fusca beigibt, so kommen sie zu dieser und
betteln sie um Nahrung an, und die Sklavin läuft zum
Honigtropfen, füllt ihren Kropf mit Honig und füttert dann
die Herrin.

Nicht der Nahrungstrieb ist also hier verloren gegangen,
wie man oft gesagt hat, sondern vielmehr die Fähigkeit,
die Nahrung als solche zu suchen und zu erkennen. Ge-
nauer ausgedrückt: der Trieb der Nahrungsaufnahme wird
hier nicht durch den Gesichtseindruck der Nahrung
selbst
, sondern durch den der Sklavin ausgelöst. Es
sieht so aus, als ob diese Amazonen durch die Anwesen-
heit der zum Füttern stets bereiten Sklavinnen die Ge-
wohnheit der Nahrungssuche nach und nach eingebüsst
hätten, indem sie sich gewöhnten, die Sklavin als Nahrungs-
spenderin zu betrachten, scheinbar ein vortreffliches Bei-
spiel für die directe Wirkung des Nichtgebrauchs und für
die Vererbung functioneller Verkümmerung -- wenn nur
diese Amazonen nicht steril wären!

Die einzig mögliche Erklärung ist die durch Panmixie;
da keine Amazone Noth litt bei der steten Anwesenheit
fütternder Sklavinnen, so konnte die Vollkommenheit des
Instinctes der Nahrungssuche nicht mehr dabei mit ent-
scheiden, wer überleben und wer untergehen sollte; Indi-
viduen mit schlechter entwickeltem Nahrungssuchtrieb waren
ceteris paribus ebenso gut als andere, und Kolonien mit
solchen blieben deshalb ebensowohl erhalten als andere.
So musste langsam dieser Trieb von seiner ursprünglichen

mann ihnen die Kiefer in eine todte Puppe hineinsteckte,
so fingen sie nicht an zu fressen, leckten höchstens ver-
suchsweise daran und entfernten sich dann wieder. Sobald
man ihnen aber einen Sklaven, also eine Arbeiterin z. B.
von Formica fusca beigibt, so kommen sie zu dieser und
betteln sie um Nahrung an, und die Sklavin läuft zum
Honigtropfen, füllt ihren Kropf mit Honig und füttert dann
die Herrin.

Nicht der Nahrungstrieb ist also hier verloren gegangen,
wie man oft gesagt hat, sondern vielmehr die Fähigkeit,
die Nahrung als solche zu suchen und zu erkennen. Ge-
nauer ausgedrückt: der Trieb der Nahrungsaufnahme wird
hier nicht durch den Gesichtseindruck der Nahrung
selbst
, sondern durch den der Sklavin ausgelöst. Es
sieht so aus, als ob diese Amazonen durch die Anwesen-
heit der zum Füttern stets bereiten Sklavinnen die Ge-
wohnheit der Nahrungssuche nach und nach eingebüsst
hätten, indem sie sich gewöhnten, die Sklavin als Nahrungs-
spenderin zu betrachten, scheinbar ein vortreffliches Bei-
spiel für die directe Wirkung des Nichtgebrauchs und für
die Vererbung functioneller Verkümmerung — wenn nur
diese Amazonen nicht steril wären!

Die einzig mögliche Erklärung ist die durch Panmixie;
da keine Amazone Noth litt bei der steten Anwesenheit
fütternder Sklavinnen, so konnte die Vollkommenheit des
Instinctes der Nahrungssuche nicht mehr dabei mit ent-
scheiden, wer überleben und wer untergehen sollte; Indi-
viduen mit schlechter entwickeltem Nahrungssuchtrieb waren
ceteris paribus ebenso gut als andere, und Kolonien mit
solchen blieben deshalb ebensowohl erhalten als andere.
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[53/0065] mann ihnen die Kiefer in eine todte Puppe hineinsteckte, so fingen sie nicht an zu fressen, leckten höchstens ver- suchsweise daran und entfernten sich dann wieder. Sobald man ihnen aber einen Sklaven, also eine Arbeiterin z. B. von Formica fusca beigibt, so kommen sie zu dieser und betteln sie um Nahrung an, und die Sklavin läuft zum Honigtropfen, füllt ihren Kropf mit Honig und füttert dann die Herrin. Nicht der Nahrungstrieb ist also hier verloren gegangen, wie man oft gesagt hat, sondern vielmehr die Fähigkeit, die Nahrung als solche zu suchen und zu erkennen. Ge- nauer ausgedrückt: der Trieb der Nahrungsaufnahme wird hier nicht durch den Gesichtseindruck der Nahrung selbst, sondern durch den der Sklavin ausgelöst. Es sieht so aus, als ob diese Amazonen durch die Anwesen- heit der zum Füttern stets bereiten Sklavinnen die Ge- wohnheit der Nahrungssuche nach und nach eingebüsst hätten, indem sie sich gewöhnten, die Sklavin als Nahrungs- spenderin zu betrachten, scheinbar ein vortreffliches Bei- spiel für die directe Wirkung des Nichtgebrauchs und für die Vererbung functioneller Verkümmerung — wenn nur diese Amazonen nicht steril wären! Die einzig mögliche Erklärung ist die durch Panmixie; da keine Amazone Noth litt bei der steten Anwesenheit fütternder Sklavinnen, so konnte die Vollkommenheit des Instinctes der Nahrungssuche nicht mehr dabei mit ent- scheiden, wer überleben und wer untergehen sollte; Indi- viduen mit schlechter entwickeltem Nahrungssuchtrieb waren ceteris paribus ebenso gut als andere, und Kolonien mit solchen blieben deshalb ebensowohl erhalten als andere. So musste langsam dieser Trieb von seiner ursprünglichen

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Zitationshilfe: Weismann, August: Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Jena, 1893, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_naturzuechtung_1893/65>, abgerufen am 24.11.2024.