Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weismann, August: Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Jena, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

dass nun die allmälige Vertiefung der Abplattung so regel-
mässig weiter schreitet, dass zuletzt ein ganz tiefes halbkugel-
förmiges Loch entsteht? Waren etwa nur solche Variationen
vortheilhaft und entschieden über Leben und Tod, welche ganz
regelmässige Fortschritte von der anfänglichen Abplattung bis
zur endlichen glatt herausgeschnittenen Halbkugelfläche dar-
stellten? Und wie kann man glauben, dass etwas weniger
regelmässige Vertiefungen, die doch neben den regelmässigen
vorkommen mussten, stets wieder zum Untergang ihrer
Träger führten?

Und schliesslich ist die Höhlung der Scharte auch noch
mit mikroskopischen Kammzähnchen besetzt, von denen
wohl auch jedes, wenn es durch zufällige Variation ent-
standen war, den Auschlag gab über Leben und Tod und
so befestigter Besitz der Art wurde?!

Auf den ersten Einwurf könnten wir etwa antworten,
dass diese Selectionsprocesse ungemein lange anhalten, und
deshalb die anfangs vielleicht noch unregelmässige Scharte
im Laufe ungezählter Generationen dadurch immer regel-
mässiger wurde, dass die Putzscharte ihrem Zweck um so
besser diente, je vollkommener sie sich der Gestalt des zu
reinigenden Fühlers anpasste. Wir würden uns darauf be-
ziehen dürfen, dass der Putzapparat in sehr verschiedenen
Graden der Ausbildung heute noch bei verschiedenen Arten
vorkommt, dass er überhaupt eine weite Verbreitung bei
den Insecten hat, somit also schon seit den frühesten Zeiten
des Insectenlebens auf unserer Erde in fortwährender lang-
samer Verbesserung begriffen war. Aber auch dies wird
vielleicht keinen Eindruck auf den Gegner machen, der
ruhig dabei bleibt, zu behaupten, dass so winzige Ver-
besserungen den Ausschlag über Leben und Tod nicht geben

Weismann, Allmacht der Naturzüchtung. 3

dass nun die allmälige Vertiefung der Abplattung so regel-
mässig weiter schreitet, dass zuletzt ein ganz tiefes halbkugel-
förmiges Loch entsteht? Waren etwa nur solche Variationen
vortheilhaft und entschieden über Leben und Tod, welche ganz
regelmässige Fortschritte von der anfänglichen Abplattung bis
zur endlichen glatt herausgeschnittenen Halbkugelfläche dar-
stellten? Und wie kann man glauben, dass etwas weniger
regelmässige Vertiefungen, die doch neben den regelmässigen
vorkommen mussten, stets wieder zum Untergang ihrer
Träger führten?

Und schliesslich ist die Höhlung der Scharte auch noch
mit mikroskopischen Kammzähnchen besetzt, von denen
wohl auch jedes, wenn es durch zufällige Variation ent-
standen war, den Auschlag gab über Leben und Tod und
so befestigter Besitz der Art wurde?!

Auf den ersten Einwurf könnten wir etwa antworten,
dass diese Selectionsprocesse ungemein lange anhalten, und
deshalb die anfangs vielleicht noch unregelmässige Scharte
im Laufe ungezählter Generationen dadurch immer regel-
mässiger wurde, dass die Putzscharte ihrem Zweck um so
besser diente, je vollkommener sie sich der Gestalt des zu
reinigenden Fühlers anpasste. Wir würden uns darauf be-
ziehen dürfen, dass der Putzapparat in sehr verschiedenen
Graden der Ausbildung heute noch bei verschiedenen Arten
vorkommt, dass er überhaupt eine weite Verbreitung bei
den Insecten hat, somit also schon seit den frühesten Zeiten
des Insectenlebens auf unserer Erde in fortwährender lang-
samer Verbesserung begriffen war. Aber auch dies wird
vielleicht keinen Eindruck auf den Gegner machen, der
ruhig dabei bleibt, zu behaupten, dass so winzige Ver-
besserungen den Ausschlag über Leben und Tod nicht geben

Weismann, Allmacht der Naturzüchtung. 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0045" n="33"/>
dass nun die allmälige Vertiefung der Abplattung so regel-<lb/>
mässig weiter schreitet, dass zuletzt ein ganz tiefes halbkugel-<lb/>
förmiges Loch entsteht? Waren etwa nur solche Variationen<lb/>
vortheilhaft und entschieden über Leben und Tod, welche ganz<lb/>
regelmässige Fortschritte von der anfänglichen Abplattung bis<lb/>
zur endlichen glatt herausgeschnittenen Halbkugelfläche dar-<lb/>
stellten? Und wie kann man glauben, dass etwas weniger<lb/>
regelmässige Vertiefungen, die doch neben den regelmässigen<lb/>
vorkommen mussten, stets wieder zum Untergang ihrer<lb/>
Träger führten?</p><lb/>
        <p>Und schliesslich ist die Höhlung der Scharte auch noch<lb/>
mit mikroskopischen Kammzähnchen besetzt, von denen<lb/>
wohl auch jedes, wenn es durch zufällige Variation ent-<lb/>
standen war, den Auschlag gab über Leben und Tod und<lb/>
so befestigter Besitz der Art wurde?!</p><lb/>
        <p>Auf den ersten Einwurf könnten wir etwa antworten,<lb/>
dass diese Selectionsprocesse ungemein lange anhalten, und<lb/>
deshalb die anfangs vielleicht noch unregelmässige Scharte<lb/>
im Laufe ungezählter Generationen dadurch immer regel-<lb/>
mässiger wurde, dass die Putzscharte ihrem Zweck um so<lb/>
besser diente, je vollkommener sie sich der Gestalt des zu<lb/>
reinigenden Fühlers anpasste. Wir würden uns darauf be-<lb/>
ziehen dürfen, dass der Putzapparat in sehr verschiedenen<lb/>
Graden der Ausbildung heute noch bei verschiedenen Arten<lb/>
vorkommt, dass er überhaupt eine weite Verbreitung bei<lb/>
den Insecten hat, somit also schon seit den frühesten Zeiten<lb/>
des Insectenlebens auf unserer Erde in fortwährender lang-<lb/>
samer Verbesserung begriffen war. Aber auch dies wird<lb/>
vielleicht keinen Eindruck auf den Gegner machen, der<lb/>
ruhig dabei bleibt, zu behaupten, dass so winzige Ver-<lb/>
besserungen den Ausschlag über Leben und Tod nicht geben<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Weismann</hi>, Allmacht der Naturzüchtung. 3</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[33/0045] dass nun die allmälige Vertiefung der Abplattung so regel- mässig weiter schreitet, dass zuletzt ein ganz tiefes halbkugel- förmiges Loch entsteht? Waren etwa nur solche Variationen vortheilhaft und entschieden über Leben und Tod, welche ganz regelmässige Fortschritte von der anfänglichen Abplattung bis zur endlichen glatt herausgeschnittenen Halbkugelfläche dar- stellten? Und wie kann man glauben, dass etwas weniger regelmässige Vertiefungen, die doch neben den regelmässigen vorkommen mussten, stets wieder zum Untergang ihrer Träger führten? Und schliesslich ist die Höhlung der Scharte auch noch mit mikroskopischen Kammzähnchen besetzt, von denen wohl auch jedes, wenn es durch zufällige Variation ent- standen war, den Auschlag gab über Leben und Tod und so befestigter Besitz der Art wurde?! Auf den ersten Einwurf könnten wir etwa antworten, dass diese Selectionsprocesse ungemein lange anhalten, und deshalb die anfangs vielleicht noch unregelmässige Scharte im Laufe ungezählter Generationen dadurch immer regel- mässiger wurde, dass die Putzscharte ihrem Zweck um so besser diente, je vollkommener sie sich der Gestalt des zu reinigenden Fühlers anpasste. Wir würden uns darauf be- ziehen dürfen, dass der Putzapparat in sehr verschiedenen Graden der Ausbildung heute noch bei verschiedenen Arten vorkommt, dass er überhaupt eine weite Verbreitung bei den Insecten hat, somit also schon seit den frühesten Zeiten des Insectenlebens auf unserer Erde in fortwährender lang- samer Verbesserung begriffen war. Aber auch dies wird vielleicht keinen Eindruck auf den Gegner machen, der ruhig dabei bleibt, zu behaupten, dass so winzige Ver- besserungen den Ausschlag über Leben und Tod nicht geben Weismann, Allmacht der Naturzüchtung. 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_naturzuechtung_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_naturzuechtung_1893/45
Zitationshilfe: Weismann, August: Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Jena, 1893, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_naturzuechtung_1893/45>, abgerufen am 24.11.2024.