scheint, aber dann, meine ich, sollte man sie nicht zur Ver- erbungssubstanz rechnen, sondern sie als eine Zuthat be- trachten, als eine Beimischung zur Keimzelle, als eine "Intoxication" oder Beladung derselben mit Giftstoffen oder Gegengiften. Gewiss sind die Erscheinungen, auf welche Emery sich bezieht, von grossem Interesse, die sonderbaren Kachexien, welche nach der Exstirpation des Pancreas, der Nebennieren und der Thyreoidea bei höheren Wirbelthieren entstehen; vielleicht ist es auch ein glücklicher Gedanke, die- selben mit den nicht minder auffallenden Erscheinungen der Arrhenoidie oder Telyidie in Parallele zu setzen und beide auf das durch die Entfernung der betreffenden Organe, in letzterem Falle also der Geschlechtsdrüsen, hervorgerufene Fehlen eines wichtigen und geheimnissvollen Ausscheidungs- stoffes zu beziehen -- in jedem Falle aber haben derlei Vorgänge mit der Vererbung nichts zu thun, und ich möchte es für recht wünschenswerth halten, dass sie scharf von ihr gesondert würden. Schon vor langer Zeit habe ich den Satz verfochten, dass Ei- und Samenzelle in ihrer Vererbungs- wirkung homodynam seien; heute zweifelt wohl Niemand mehr daran, dass sie dies wirklich sind, dass sie beide gleiche Mengen einer im Allgemeinen gleichen Vererbungs- substanz enthalten. Dies schliesst aber nicht aus, dass sie nicht in Bezug auf ihre eigene Lebensthätigkeit verschieden seien, und wir wissen ja, dass sie dies wirklich sind, sie sind verschieden gebaut und verhalten sich verschieden. Sie scheiden auch aller Wahrscheinlichkeit nach verschieden- artige Stoffe aus, denn sie ziehen sich gegenseitig an, und die berühmte Entdeckung Pfeffer's an niederen Algen deutet darauf, dass solche Anziehungen auf der Ausscheidung gewisser Stoffe beruhen, wie denn auch die Erfahrungen
scheint, aber dann, meine ich, sollte man sie nicht zur Ver- erbungssubstanz rechnen, sondern sie als eine Zuthat be- trachten, als eine Beimischung zur Keimzelle, als eine „Intoxication“ oder Beladung derselben mit Giftstoffen oder Gegengiften. Gewiss sind die Erscheinungen, auf welche Eméry sich bezieht, von grossem Interesse, die sonderbaren Kachexien, welche nach der Exstirpation des Pancreas, der Nebennieren und der Thyreoidea bei höheren Wirbelthieren entstehen; vielleicht ist es auch ein glücklicher Gedanke, die- selben mit den nicht minder auffallenden Erscheinungen der Arrhenoidie oder Telyidie in Parallele zu setzen und beide auf das durch die Entfernung der betreffenden Organe, in letzterem Falle also der Geschlechtsdrüsen, hervorgerufene Fehlen eines wichtigen und geheimnissvollen Ausscheidungs- stoffes zu beziehen — in jedem Falle aber haben derlei Vorgänge mit der Vererbung nichts zu thun, und ich möchte es für recht wünschenswerth halten, dass sie scharf von ihr gesondert würden. Schon vor langer Zeit habe ich den Satz verfochten, dass Ei- und Samenzelle in ihrer Vererbungs- wirkung homodynam seien; heute zweifelt wohl Niemand mehr daran, dass sie dies wirklich sind, dass sie beide gleiche Mengen einer im Allgemeinen gleichen Vererbungs- substanz enthalten. Dies schliesst aber nicht aus, dass sie nicht in Bezug auf ihre eigene Lebensthätigkeit verschieden seien, und wir wissen ja, dass sie dies wirklich sind, sie sind verschieden gebaut und verhalten sich verschieden. Sie scheiden auch aller Wahrscheinlichkeit nach verschieden- artige Stoffe aus, denn sie ziehen sich gegenseitig an, und die berühmte Entdeckung Pfeffer’s an niederen Algen deutet darauf, dass solche Anziehungen auf der Ausscheidung gewisser Stoffe beruhen, wie denn auch die Erfahrungen
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scheint, aber dann, meine ich, sollte man sie nicht zur Ver-
erbungssubstanz rechnen, sondern sie als eine Zuthat be-
trachten, als eine Beimischung zur Keimzelle, als eine
„Intoxication“ oder Beladung derselben mit Giftstoffen oder
Gegengiften. Gewiss sind die Erscheinungen, auf welche
Eméry sich bezieht, von grossem Interesse, die sonderbaren
Kachexien, welche nach der Exstirpation des Pancreas, der
Nebennieren und der Thyreoidea bei höheren Wirbelthieren
entstehen; vielleicht ist es auch ein glücklicher Gedanke, die-
selben mit den nicht minder auffallenden Erscheinungen der
Arrhenoidie oder Telyidie in Parallele zu setzen und beide
auf das durch die Entfernung der betreffenden Organe, in
letzterem Falle also der Geschlechtsdrüsen, hervorgerufene
Fehlen eines wichtigen und geheimnissvollen Ausscheidungs-
stoffes zu beziehen — in jedem Falle aber haben derlei
Vorgänge mit der Vererbung nichts zu thun, und ich möchte
es für recht wünschenswerth halten, dass sie scharf von ihr
gesondert würden. Schon vor langer Zeit habe ich den Satz
verfochten, dass Ei- und Samenzelle in ihrer Vererbungs-
wirkung homodynam seien; heute zweifelt wohl Niemand
mehr daran, dass sie dies wirklich sind, dass sie beide
gleiche Mengen einer im Allgemeinen gleichen Vererbungs-
substanz enthalten. Dies schliesst aber nicht aus, dass sie
nicht in Bezug auf ihre eigene Lebensthätigkeit verschieden
seien, und wir wissen ja, dass sie dies wirklich sind, sie
sind verschieden gebaut und verhalten sich verschieden.
Sie scheiden auch aller Wahrscheinlichkeit nach verschieden-
artige Stoffe aus, denn sie ziehen sich gegenseitig an, und
die berühmte Entdeckung Pfeffer’s an niederen Algen
deutet darauf, dass solche Anziehungen auf der Ausscheidung
gewisser Stoffe beruhen, wie denn auch die Erfahrungen
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Weismann, August: Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Jena, 1893, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_naturzuechtung_1893/107>, abgerufen am 08.07.2024.
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