"Anlagenplasma" die leitende und bestimmende Substanz des Körpers im Gegensatz zu dem mehr passiven und bestimmbaren "Nährplasma" oder Trophoplasma. Ob die letztere Bezeichnung beizubehalten ist, darf wohl bezweifelt werden, die erstere aber ist ohne Zweifel eine glücklich gewählte. Allerdings hat Nägeli noch keine bestimmte, mit dem Mikroskop wahrnehm- bare Substanz als das erschlossene Idioplasma bezeichnet, da ihm die Thatsachen der Kerntheilung und der Befruchtung, wie wir sie heute kennen, noch unbekannt gewesen waren. Aber diese Thatsachen sind so zwingend, dass ein Zweifel darüber, was als Idioplasma zu betrachten sei, heute nicht mehr möglich sein sollte, also auch die Vorstellung Nägeli's von einem netz- förmig zusammenhängenden, alle Zellkörper des Organismus durchsetzenden und verbindenden Idioplasma's als aufgegeben betrachtet werden darf. Wir sind deshalb wohl gerechtfertigt, wenn wir seine Bezeichnung auf die die Zelle bestimmende Kernsubstanz übertragen.
Wir verstehen also unter Idioplasma die bestimmende Kern- substanz irgend einer Zelle. Diese ist zugleich Vererbungs- substanz, weil sie niemals neu entsteht, sondern immer von dem Idioplasma einer anderen Zelle abstammt, und weil sie ferner nicht blos die aktuellen Eigenschaften der betreffenden Zelle bestimmt, sondern zugleich auch diejenigen aller ihrer Nachkommen.
Eine Verschiedenheit des Idioplasma's werden wir also nicht blos da annehmen müssen, wo uns zwei in Bau und Funk- tion verschiedene Zellen vorliegen, sondern auch überall da, wo wir wissen, dass verschiedene Anlagen in zwei Zellen ent- halten sind. Dies ist oft vergessen worden, wenn man schlecht- hin von "Embryonalzellen" sprach als von gleichwerthigen Ele- menten, "aus denen noch Alles werden kann", einfach weil die- selben häufig sehr ähnlich aussehen und in der Meinung, sie
„Anlagenplasma“ die leitende und bestimmende Substanz des Körpers im Gegensatz zu dem mehr passiven und bestimmbaren „Nährplasma“ oder Trophoplasma. Ob die letztere Bezeichnung beizubehalten ist, darf wohl bezweifelt werden, die erstere aber ist ohne Zweifel eine glücklich gewählte. Allerdings hat Nägeli noch keine bestimmte, mit dem Mikroskop wahrnehm- bare Substanz als das erschlossene Idioplasma bezeichnet, da ihm die Thatsachen der Kerntheilung und der Befruchtung, wie wir sie heute kennen, noch unbekannt gewesen waren. Aber diese Thatsachen sind so zwingend, dass ein Zweifel darüber, was als Idioplasma zu betrachten sei, heute nicht mehr möglich sein sollte, also auch die Vorstellung Nägeli’s von einem netz- förmig zusammenhängenden, alle Zellkörper des Organismus durchsetzenden und verbindenden Idioplasma’s als aufgegeben betrachtet werden darf. Wir sind deshalb wohl gerechtfertigt, wenn wir seine Bezeichnung auf die die Zelle bestimmende Kernsubstanz übertragen.
Wir verstehen also unter Idioplasma die bestimmende Kern- substanz irgend einer Zelle. Diese ist zugleich Vererbungs- substanz, weil sie niemals neu entsteht, sondern immer von dem Idioplasma einer anderen Zelle abstammt, und weil sie ferner nicht blos die aktuellen Eigenschaften der betreffenden Zelle bestimmt, sondern zugleich auch diejenigen aller ihrer Nachkommen.
Eine Verschiedenheit des Idioplasma’s werden wir also nicht blos da annehmen müssen, wo uns zwei in Bau und Funk- tion verschiedene Zellen vorliegen, sondern auch überall da, wo wir wissen, dass verschiedene Anlagen in zwei Zellen ent- halten sind. Dies ist oft vergessen worden, wenn man schlecht- hin von „Embryonalzellen“ sprach als von gleichwerthigen Ele- menten, „aus denen noch Alles werden kann“, einfach weil die- selben häufig sehr ähnlich aussehen und in der Meinung, sie
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„Anlagenplasma“ die leitende und bestimmende Substanz des
Körpers im Gegensatz zu dem mehr passiven und bestimmbaren
„Nährplasma“ oder Trophoplasma. Ob die letztere Bezeichnung
beizubehalten ist, darf wohl bezweifelt werden, die erstere aber
ist ohne Zweifel eine glücklich gewählte. Allerdings hat
Nägeli noch keine bestimmte, mit dem Mikroskop wahrnehm-
bare Substanz als das erschlossene Idioplasma bezeichnet, da
ihm die Thatsachen der Kerntheilung und der Befruchtung, wie
wir sie heute kennen, noch unbekannt gewesen waren. Aber
diese Thatsachen sind so zwingend, dass ein Zweifel darüber,
was als Idioplasma zu betrachten sei, heute nicht mehr möglich
sein sollte, also auch die Vorstellung Nägeli’s von einem netz-
förmig zusammenhängenden, alle Zellkörper des Organismus
durchsetzenden und verbindenden Idioplasma’s als aufgegeben
betrachtet werden darf. Wir sind deshalb wohl gerechtfertigt,
wenn wir seine Bezeichnung auf die die Zelle bestimmende
Kernsubstanz übertragen.
Wir verstehen also unter Idioplasma die bestimmende Kern-
substanz irgend einer Zelle. Diese ist zugleich Vererbungs-
substanz, weil sie niemals neu entsteht, sondern immer von
dem Idioplasma einer anderen Zelle abstammt, und weil sie
ferner nicht blos die aktuellen Eigenschaften der betreffenden
Zelle bestimmt, sondern zugleich auch diejenigen aller ihrer
Nachkommen.
Eine Verschiedenheit des Idioplasma’s werden wir also
nicht blos da annehmen müssen, wo uns zwei in Bau und Funk-
tion verschiedene Zellen vorliegen, sondern auch überall da,
wo wir wissen, dass verschiedene Anlagen in zwei Zellen ent-
halten sind. Dies ist oft vergessen worden, wenn man schlecht-
hin von „Embryonalzellen“ sprach als von gleichwerthigen Ele-
menten, „aus denen noch Alles werden kann“, einfach weil die-
selben häufig sehr ähnlich aussehen und in der Meinung, sie
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/69>, abgerufen am 28.11.2024.
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