Es enthalten nun aber nicht blos die beiden Keimzellen und die befruchtete Eizelle Chromatinsubstanz in ihrem Kern, sondern alle Zellen des gesammten Organismus in jeder Phase seiner Entwickelung, wenigstens solange sie noch vermehrungs- fähig und lebenskräftig sind. Das Chromatin aller Zellen des Körpers aber stammt von dem der befruchteten Eizelle ab, in- dem ja der Aufbau des Körpers aus der Eizelle durch eine Reihe von Zelltheilungen zu Stande kommt, deren jede eine Kerntheilung nach dem soeben geschilderten Modus einschliesst. Während der Ontogenese wird also das Chromatin des ersten Kernes fort und fort von Neuem seiner Masse nach halbirt und es würde sehr bald auch für unsere besten Mikroskope ver- schwindend klein werden, wenn es nicht ebenso, wie die Zell- körper fortwährend wüchse. Es geschieht dies ebensowohl bei den zahlreichen thierischen Eiern, welchen während der Ent- wickelung des Embryo kein Nährmaterial zugeführt wird, als bei jenen, welche von Anfang an ernährt werden, oder bei den Pflanzen, bei welchen auch meistens die selbständige Ernäh- rung schon früh beginnt. Die Chromatin- oder Vererbungs- substanz des befruchteten Eies geht also einen langen und ver- wickelten Wachsthumsprocess ein, der erst dann endet, wenn keine neuen Zellen, sei es zur Bildung neuer Theile, sei es zum Ersatz zu Grunde gegangener alter mehr hervorgebracht werden, mit andern Worten: am Ende des individuellen Lebens. Diese wachsende Vererbungssubstanz lässt sich einem Baume vergleichen, dessen Äste streng dichotomisch gegliedert sind, nur dass der Chromatinbaum nicht aus einem Gusse ist, sondern aus lauter einzelnen, nicht direkt aneinander stossenden Theilchen besteht. Denn bei jeder Zelltheilung scheiden sich
Anwesenheit des Theilungsapparates der Zelle abhängt, ist dies richtig; dass aber das Wesen des Befruchtungsvorgangs in der Vereinigung zweier Kernsubstanzen liegt, wird dadurch nicht widerlegt oder geändert.
Es enthalten nun aber nicht blos die beiden Keimzellen und die befruchtete Eizelle Chromatinsubstanz in ihrem Kern, sondern alle Zellen des gesammten Organismus in jeder Phase seiner Entwickelung, wenigstens solange sie noch vermehrungs- fähig und lebenskräftig sind. Das Chromatin aller Zellen des Körpers aber stammt von dem der befruchteten Eizelle ab, in- dem ja der Aufbau des Körpers aus der Eizelle durch eine Reihe von Zelltheilungen zu Stande kommt, deren jede eine Kerntheilung nach dem soeben geschilderten Modus einschliesst. Während der Ontogenese wird also das Chromatin des ersten Kernes fort und fort von Neuem seiner Masse nach halbirt und es würde sehr bald auch für unsere besten Mikroskope ver- schwindend klein werden, wenn es nicht ebenso, wie die Zell- körper fortwährend wüchse. Es geschieht dies ebensowohl bei den zahlreichen thierischen Eiern, welchen während der Ent- wickelung des Embryo kein Nährmaterial zugeführt wird, als bei jenen, welche von Anfang an ernährt werden, oder bei den Pflanzen, bei welchen auch meistens die selbständige Ernäh- rung schon früh beginnt. Die Chromatin- oder Vererbungs- substanz des befruchteten Eies geht also einen langen und ver- wickelten Wachsthumsprocess ein, der erst dann endet, wenn keine neuen Zellen, sei es zur Bildung neuer Theile, sei es zum Ersatz zu Grunde gegangener alter mehr hervorgebracht werden, mit andern Worten: am Ende des individuellen Lebens. Diese wachsende Vererbungssubstanz lässt sich einem Baume vergleichen, dessen Äste streng dichotomisch gegliedert sind, nur dass der Chromatinbaum nicht aus einem Gusse ist, sondern aus lauter einzelnen, nicht direkt aneinander stossenden Theilchen besteht. Denn bei jeder Zelltheilung scheiden sich
Anwesenheit des Theilungsapparates der Zelle abhängt, ist dies richtig; dass aber das Wesen des Befruchtungsvorgangs in der Vereinigung zweier Kernsubstanzen liegt, wird dadurch nicht widerlegt oder geändert.
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Es enthalten nun aber nicht blos die beiden Keimzellen
und die befruchtete Eizelle Chromatinsubstanz in ihrem Kern,
sondern alle Zellen des gesammten Organismus in jeder Phase
seiner Entwickelung, wenigstens solange sie noch vermehrungs-
fähig und lebenskräftig sind. Das Chromatin aller Zellen des
Körpers aber stammt von dem der befruchteten Eizelle ab, in-
dem ja der Aufbau des Körpers aus der Eizelle durch eine
Reihe von Zelltheilungen zu Stande kommt, deren jede eine
Kerntheilung nach dem soeben geschilderten Modus einschliesst.
Während der Ontogenese wird also das Chromatin des ersten
Kernes fort und fort von Neuem seiner Masse nach halbirt und
es würde sehr bald auch für unsere besten Mikroskope ver-
schwindend klein werden, wenn es nicht ebenso, wie die Zell-
körper fortwährend wüchse. Es geschieht dies ebensowohl bei
den zahlreichen thierischen Eiern, welchen während der Ent-
wickelung des Embryo kein Nährmaterial zugeführt wird, als
bei jenen, welche von Anfang an ernährt werden, oder bei den
Pflanzen, bei welchen auch meistens die selbständige Ernäh-
rung schon früh beginnt. Die Chromatin- oder Vererbungs-
substanz des befruchteten Eies geht also einen langen und ver-
wickelten Wachsthumsprocess ein, der erst dann endet, wenn
keine neuen Zellen, sei es zur Bildung neuer Theile, sei es
zum Ersatz zu Grunde gegangener alter mehr hervorgebracht
werden, mit andern Worten: am Ende des individuellen Lebens.
Diese wachsende Vererbungssubstanz lässt sich einem Baume
vergleichen, dessen Äste streng dichotomisch gegliedert sind,
nur dass der Chromatinbaum nicht aus einem Gusse ist,
sondern aus lauter einzelnen, nicht direkt aneinander stossenden
Theilchen besteht. Denn bei jeder Zelltheilung scheiden sich
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1) Anwesenheit des Theilungsapparates der Zelle abhängt, ist dies richtig;
dass aber das Wesen des Befruchtungsvorgangs in der Vereinigung
zweier Kernsubstanzen liegt, wird dadurch nicht widerlegt oder geändert.
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/66>, abgerufen am 27.11.2024.
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