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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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dürfen, nicht nur einzelner, sondern aller Determinanten;
also ein Material kleinster Variationen der ver-
schiedensten Determinanten wird ununterbrochen vor-
handen sein
.

Ich glaube nicht, dass das, was wir an Variationen sehen
können, schon das direkte Resultat jener kleinsten Schwankungen
der einzelnen Determinanten ist; sie können wohl erst das
Summationsprodukt vieler solcher Schwankungen
sein.
Das geht unmittelbar aus der Theorie hervor. Da das Keim-
plasma aus vielen Iden besteht, deren jedes dieselbe Zahl homo-
loger Determinanten enthält, und da erst das Zusammenwirken
sämmtlicher homologer Determinanten den betreffenden Charakter
bestimmt, so könnte die Abänderung einer einzelnen Determi-
nante noch nicht sichtbar werden; erst eine grössere Zahl gleich-
sinnig oder doch ähnlich abgeänderter Determinanten wird den
betreffenden Charakter sichtbar verändern können.

Eine solche kommt nun, wie mir scheint, dadurch zu
Stande, dass vereinzelte homodyname Determinanten verschiedner
Ide und Individuen durch Reductionstheilung und Amphimixis
in einem Keimplasma vereinigt und zu einer Majorität ver-
bunden werden können.

Ich wähle ein einfaches Beispiel. Auf dem Festlande von
Europa fliegt Lycaena Agestis Hb., ein kleiner brauner Schmetter-
ling, der auf der Mitte der Flügel einen aus wenigen Schuppen
zusammengesetzten schwarzen Fleck besitzt. Nehmen wir an,
dieser Fleck werde nur von einer Determinante F bestimmt, und
das Keimplasma der Art enthalte 100 Ide, also auch 100 De-
terminanten F. Wenn nun durch Abweichungen der Ernährung
immerfort bald in diesem, bald in jenem Individuum einzelne
dieser Determinanten F derart abändern, dass sie einen weissen,
statt eines schwarzen Fleckes hervorbringen würden, falls sie in
der Majorität im Keimplasma wären, so kann dieser Fall, dass

dürfen, nicht nur einzelner, sondern aller Determinanten;
also ein Material kleinster Variationen der ver-
schiedensten Determinanten wird ununterbrochen vor-
handen sein
.

Ich glaube nicht, dass das, was wir an Variationen sehen
können, schon das direkte Resultat jener kleinsten Schwankungen
der einzelnen Determinanten ist; sie können wohl erst das
Summationsprodukt vieler solcher Schwankungen
sein.
Das geht unmittelbar aus der Theorie hervor. Da das Keim-
plasma aus vielen Iden besteht, deren jedes dieselbe Zahl homo-
loger Determinanten enthält, und da erst das Zusammenwirken
sämmtlicher homologer Determinanten den betreffenden Charakter
bestimmt, so könnte die Abänderung einer einzelnen Determi-
nante noch nicht sichtbar werden; erst eine grössere Zahl gleich-
sinnig oder doch ähnlich abgeänderter Determinanten wird den
betreffenden Charakter sichtbar verändern können.

Eine solche kommt nun, wie mir scheint, dadurch zu
Stande, dass vereinzelte homodyname Determinanten verschiedner
Ide und Individuen durch Reductionstheilung und Amphimixis
in einem Keimplasma vereinigt und zu einer Majorität ver-
bunden werden können.

Ich wähle ein einfaches Beispiel. Auf dem Festlande von
Europa fliegt Lycaena Agestis Hb., ein kleiner brauner Schmetter-
ling, der auf der Mitte der Flügel einen aus wenigen Schuppen
zusammengesetzten schwarzen Fleck besitzt. Nehmen wir an,
dieser Fleck werde nur von einer Determinante F bestimmt, und
das Keimplasma der Art enthalte 100 Ide, also auch 100 De-
terminanten F. Wenn nun durch Abweichungen der Ernährung
immerfort bald in diesem, bald in jenem Individuum einzelne
dieser Determinanten F derart abändern, dass sie einen weissen,
statt eines schwarzen Fleckes hervorbringen würden, falls sie in
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[554/0578] dürfen, nicht nur einzelner, sondern aller Determinanten; also ein Material kleinster Variationen der ver- schiedensten Determinanten wird ununterbrochen vor- handen sein. Ich glaube nicht, dass das, was wir an Variationen sehen können, schon das direkte Resultat jener kleinsten Schwankungen der einzelnen Determinanten ist; sie können wohl erst das Summationsprodukt vieler solcher Schwankungen sein. Das geht unmittelbar aus der Theorie hervor. Da das Keim- plasma aus vielen Iden besteht, deren jedes dieselbe Zahl homo- loger Determinanten enthält, und da erst das Zusammenwirken sämmtlicher homologer Determinanten den betreffenden Charakter bestimmt, so könnte die Abänderung einer einzelnen Determi- nante noch nicht sichtbar werden; erst eine grössere Zahl gleich- sinnig oder doch ähnlich abgeänderter Determinanten wird den betreffenden Charakter sichtbar verändern können. Eine solche kommt nun, wie mir scheint, dadurch zu Stande, dass vereinzelte homodyname Determinanten verschiedner Ide und Individuen durch Reductionstheilung und Amphimixis in einem Keimplasma vereinigt und zu einer Majorität ver- bunden werden können. Ich wähle ein einfaches Beispiel. Auf dem Festlande von Europa fliegt Lycaena Agestis Hb., ein kleiner brauner Schmetter- ling, der auf der Mitte der Flügel einen aus wenigen Schuppen zusammengesetzten schwarzen Fleck besitzt. Nehmen wir an, dieser Fleck werde nur von einer Determinante F bestimmt, und das Keimplasma der Art enthalte 100 Ide, also auch 100 De- terminanten F. Wenn nun durch Abweichungen der Ernährung immerfort bald in diesem, bald in jenem Individuum einzelne dieser Determinanten F derart abändern, dass sie einen weissen, statt eines schwarzen Fleckes hervorbringen würden, falls sie in der Majorität im Keimplasma wären, so kann dieser Fall, dass

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 554. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/578>, abgerufen am 22.11.2024.