aber der individuelle Stempel jedem Einzel-Bion direkt durch die ungleichen äusseren Einflüsse aufgeprägt werden musste. Von diesen übertrug er sich auf die Einzelligen, da diese doch nicht aus einem einzigen Einzel-Bion von Urwesen entstanden sein können, sondern polyphyletisch, jede Art aus einer grossen Menge gleichsinnig abändernder Bionten. Man hat dies oft falsch verstanden und unter Anderem gefragt, wie ich denn Anpassungen von Blumen, Früchten oder Samen, wie sie bei Phanerogamen vorkommen, von der Combination von Charak- teren ableiten wolle, die bei ihren formlosen Ur-Vorfahren er- worben wurden. Aber nicht die Charaktere erbten sich von den Urwesen her fort, sondern die Variabilität, die Ungleichheit der Individuen!
Man könnte aber zu glauben geneigt sein, dass äussere Einflüsse alle homologen Determinanten eines Keimplasma's in gleicher Weise treffen und zur Abänderung veranlassen müss- ten; dies würde aber ein Irrthum sein.
Vermöge der mit Amphimixis verbundenen Vermehrung der Vielzelligen, die ja bei keiner Art völlig fehlt, setzt sich das Keimplasma eines Bion aus vielen Iden verschiedener Her- kunft zusammen, die eine Hälfte der Ide stammt vom Vater, die andere von der Mutter, und jede dieser Hälften besteht wiederum aus Iden der Grosseltern in verschiedenem Verhält- niss; die grosselterlichen Ide aber stammen von einem oder auch von zweien oder drei Urgrosseltern her u. s. w. Das Ver- hältniss, in welchem die einzelnen Ahnen durch Ide vertreten sind, kann sehr verschieden sein, wie oben dargelegt wurde, und so muss auch das Keimplasma bei verschiedenen Individuen selbst naher Verwandtschaft stets verschieden sein.
Nun enthält jedes Id sämmtliche Bestimmungsstücke der Art, aber in individueller Färbung. Wenn nun dieselbe Deter- minante N in jedem Id um ein Weniges verschieden sein kann,
aber der individuelle Stempel jedem Einzel-Bion direkt durch die ungleichen äusseren Einflüsse aufgeprägt werden musste. Von diesen übertrug er sich auf die Einzelligen, da diese doch nicht aus einem einzigen Einzel-Bion von Urwesen entstanden sein können, sondern polyphyletisch, jede Art aus einer grossen Menge gleichsinnig abändernder Bionten. Man hat dies oft falsch verstanden und unter Anderem gefragt, wie ich denn Anpassungen von Blumen, Früchten oder Samen, wie sie bei Phanerogamen vorkommen, von der Combination von Charak- teren ableiten wolle, die bei ihren formlosen Ur-Vorfahren er- worben wurden. Aber nicht die Charaktere erbten sich von den Urwesen her fort, sondern die Variabilität, die Ungleichheit der Individuen!
Man könnte aber zu glauben geneigt sein, dass äussere Einflüsse alle homologen Determinanten eines Keimplasma’s in gleicher Weise treffen und zur Abänderung veranlassen müss- ten; dies würde aber ein Irrthum sein.
Vermöge der mit Amphimixis verbundenen Vermehrung der Vielzelligen, die ja bei keiner Art völlig fehlt, setzt sich das Keimplasma eines Bion aus vielen Iden verschiedener Her- kunft zusammen, die eine Hälfte der Ide stammt vom Vater, die andere von der Mutter, und jede dieser Hälften besteht wiederum aus Iden der Grosseltern in verschiedenem Verhält- niss; die grosselterlichen Ide aber stammen von einem oder auch von zweien oder drei Urgrosseltern her u. s. w. Das Ver- hältniss, in welchem die einzelnen Ahnen durch Ide vertreten sind, kann sehr verschieden sein, wie oben dargelegt wurde, und so muss auch das Keimplasma bei verschiedenen Individuen selbst naher Verwandtschaft stets verschieden sein.
Nun enthält jedes Id sämmtliche Bestimmungsstücke der Art, aber in individueller Färbung. Wenn nun dieselbe Deter- minante N in jedem Id um ein Weniges verschieden sein kann,
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aber der individuelle Stempel jedem Einzel-Bion direkt durch
die ungleichen äusseren Einflüsse aufgeprägt werden musste.
Von diesen übertrug er sich auf die Einzelligen, da diese doch
nicht aus einem einzigen Einzel-Bion von Urwesen entstanden
sein können, sondern polyphyletisch, jede Art aus einer grossen
Menge gleichsinnig abändernder Bionten. Man hat dies oft
falsch verstanden und unter Anderem gefragt, wie ich denn
Anpassungen von Blumen, Früchten oder Samen, wie sie bei
Phanerogamen vorkommen, von der Combination von Charak-
teren ableiten wolle, die bei ihren formlosen Ur-Vorfahren er-
worben wurden. Aber nicht die Charaktere erbten sich
von den Urwesen her fort, sondern die Variabilität,
die Ungleichheit der Individuen!
Man könnte aber zu glauben geneigt sein, dass äussere
Einflüsse alle homologen Determinanten eines Keimplasma’s in
gleicher Weise treffen und zur Abänderung veranlassen müss-
ten; dies würde aber ein Irrthum sein.
Vermöge der mit Amphimixis verbundenen Vermehrung
der Vielzelligen, die ja bei keiner Art völlig fehlt, setzt sich
das Keimplasma eines Bion aus vielen Iden verschiedener Her-
kunft zusammen, die eine Hälfte der Ide stammt vom Vater,
die andere von der Mutter, und jede dieser Hälften besteht
wiederum aus Iden der Grosseltern in verschiedenem Verhält-
niss; die grosselterlichen Ide aber stammen von einem oder
auch von zweien oder drei Urgrosseltern her u. s. w. Das Ver-
hältniss, in welchem die einzelnen Ahnen durch Ide vertreten
sind, kann sehr verschieden sein, wie oben dargelegt wurde,
und so muss auch das Keimplasma bei verschiedenen Individuen
selbst naher Verwandtschaft stets verschieden sein.
Nun enthält jedes Id sämmtliche Bestimmungsstücke der
Art, aber in individueller Färbung. Wenn nun dieselbe Deter-
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 550. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/574>, abgerufen am 22.11.2024.
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