Brooks steht auf diesem Standpunkt und hat im An- schluss an Darwin's Pangenesis eine Vererbungstheorie aus- gedacht, bei welcher die Variation wesentlich auf der geschlecht- lichen Fortpflanzung beruht.1) Variabilität entsteht nach seiner Ansicht dadurch, dass bei der Befruchtung sich jedes "Keim- chen" der Samenzelle mit demjenigen Theil des Eies vereinigt, "der bestimmt ist, im Laufe der Entwickelung zu derjenigen Zelle zu werden, welche der entspricht, von welcher der Keim herstammt". Wenn nun diese Zelle im Nachkommen sich ent- wickelt, so muss sie "als Bastard" Neigung haben zu variiren. Dazu kommt noch, dass Brooks den beiderlei Keimzellen eine verschiedene Rolle zuweist, indem er sie in verschiedenem Grade mit "Keimchen" beladen oder gefüllt sein lässt, die Eizelle mit viel weniger, als die Samenzelle. Ihm ist die Eizelle das conservative Princip, welches der Vererbung der echten Rasse- oder Art-Charaktere vorsteht, während er die Samenzelle für das "fortschrittliche Element" hält, welches die Variationen vermittelt.
Brooks hat für seine Ansicht in scharfsinniger Weise Alles ins Feld geführt, was sich dafür geltend machen liess, aber ich bezweifle, ob er selbst heute noch daran festhält, nach- dem inzwischen so manche neue Erkenntniss gewonnen wurde, die in Widerspruch mit ihr steht. Eine dieser Erkenntnisse, die Ansicht, dass "erworbene" Eigenschaften nicht vererbbar sind, ist zwar nicht allgemein angenommen, aber Brooks selbst hat ihr zugestimmt, und die Grundlage seiner Theorie, die Ver- schiedenartigkeit der männlichen und weiblichen Keimzellen in Bezug auf ihren Gehalt an Vererbungssubstanz ist durch die Erkenntniss, dass die Idanten der beiderlei Zellen bei der Am- phimixis sich nach Zahl und Qualität völlig gleich verhalten,
1) W. K. Brooks, "The Law of Heredity. A study of the Cause of Variation and the Orgin of living Organisms." Baltimore 1883.
Brooks steht auf diesem Standpunkt und hat im An- schluss an Darwin’s Pangenesis eine Vererbungstheorie aus- gedacht, bei welcher die Variation wesentlich auf der geschlecht- lichen Fortpflanzung beruht.1) Variabilität entsteht nach seiner Ansicht dadurch, dass bei der Befruchtung sich jedes „Keim- chen“ der Samenzelle mit demjenigen Theil des Eies vereinigt, „der bestimmt ist, im Laufe der Entwickelung zu derjenigen Zelle zu werden, welche der entspricht, von welcher der Keim herstammt“. Wenn nun diese Zelle im Nachkommen sich ent- wickelt, so muss sie „als Bastard“ Neigung haben zu variiren. Dazu kommt noch, dass Brooks den beiderlei Keimzellen eine verschiedene Rolle zuweist, indem er sie in verschiedenem Grade mit „Keimchen“ beladen oder gefüllt sein lässt, die Eizelle mit viel weniger, als die Samenzelle. Ihm ist die Eizelle das conservative Princip, welches der Vererbung der echten Rasse- oder Art-Charaktere vorsteht, während er die Samenzelle für das „fortschrittliche Element“ hält, welches die Variationen vermittelt.
Brooks hat für seine Ansicht in scharfsinniger Weise Alles ins Feld geführt, was sich dafür geltend machen liess, aber ich bezweifle, ob er selbst heute noch daran festhält, nach- dem inzwischen so manche neue Erkenntniss gewonnen wurde, die in Widerspruch mit ihr steht. Eine dieser Erkenntnisse, die Ansicht, dass „erworbene“ Eigenschaften nicht vererbbar sind, ist zwar nicht allgemein angenommen, aber Brooks selbst hat ihr zugestimmt, und die Grundlage seiner Theorie, die Ver- schiedenartigkeit der männlichen und weiblichen Keimzellen in Bezug auf ihren Gehalt an Vererbungssubstanz ist durch die Erkenntniss, dass die Idanten der beiderlei Zellen bei der Am- phimixis sich nach Zahl und Qualität völlig gleich verhalten,
1) W. K. Brooks, „The Law of Heredity. A study of the Cause of Variation and the Orgin of living Organisms.“ Baltimore 1883.
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Brooks steht auf diesem Standpunkt und hat im An-
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gedacht, bei welcher die Variation wesentlich auf der geschlecht-
lichen Fortpflanzung beruht. 1) Variabilität entsteht nach seiner
Ansicht dadurch, dass bei der Befruchtung sich jedes „Keim-
chen“ der Samenzelle mit demjenigen Theil des Eies vereinigt,
„der bestimmt ist, im Laufe der Entwickelung zu derjenigen
Zelle zu werden, welche der entspricht, von welcher der Keim
herstammt“. Wenn nun diese Zelle im Nachkommen sich ent-
wickelt, so muss sie „als Bastard“ Neigung haben zu
variiren. Dazu kommt noch, dass Brooks den beiderlei
Keimzellen eine verschiedene Rolle zuweist, indem er sie in
verschiedenem Grade mit „Keimchen“ beladen oder gefüllt sein
lässt, die Eizelle mit viel weniger, als die Samenzelle. Ihm ist
die Eizelle das conservative Princip, welches der Vererbung
der echten Rasse- oder Art-Charaktere vorsteht, während er die
Samenzelle für das „fortschrittliche Element“ hält, welches die
Variationen vermittelt.
Brooks hat für seine Ansicht in scharfsinniger Weise
Alles ins Feld geführt, was sich dafür geltend machen liess,
aber ich bezweifle, ob er selbst heute noch daran festhält, nach-
dem inzwischen so manche neue Erkenntniss gewonnen wurde,
die in Widerspruch mit ihr steht. Eine dieser Erkenntnisse,
die Ansicht, dass „erworbene“ Eigenschaften nicht vererbbar sind,
ist zwar nicht allgemein angenommen, aber Brooks selbst hat
ihr zugestimmt, und die Grundlage seiner Theorie, die Ver-
schiedenartigkeit der männlichen und weiblichen Keimzellen in
Bezug auf ihren Gehalt an Vererbungssubstanz ist durch die
Erkenntniss, dass die Idanten der beiderlei Zellen bei der Am-
phimixis sich nach Zahl und Qualität völlig gleich verhalten,
1) W. K. Brooks, „The Law of Heredity. A study of the Cause
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 540. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/564>, abgerufen am 22.11.2024.
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