Viertes Buch. Die Abänderung der Arten in ihrer idioplasmatischen Wurzel.
Capitel XIII. Die vermeintliche Vererbung erworbener Eigenschaften.
Unter erworbenen Eigenschaften verstehe ich solche, welche nicht als Anlagen schon im Keim vorhanden sind, son- dern erst durch besondere Einwirkungen, die den Körper oder einzelne Theile desselben treffen, entstehen. Sie sind die Re- action dieser Theile auf irgend welche, ausserhalb der noth- wendigen Entwickelungsbedingungen liegenden äusseren Ein- wirkungen. Ich habe sie "somatogene" Eigenschaften ge- nannt, weil sie eben auf einer Reaction des Körpers oder Soma beruhen, und bringe sie in Gegensatz zu den "blastogenen" Eigenschaften des Individuums, d. h. denjenigen, welche ihre alleinige Wurzel in den Keimesanlagen haben. Es ist eine un- vermeidliche Consequenz sowohl der Keimplasma-Theorie, als ihrer jetzigen Weiterführung und Ausarbeitung zur Determi- nantenlehre, dass somatogene Abänderungen nicht vererbt werden können, dass also alle dauernde Abänderung vom Keim aus- geht, auf einer Veränderung der Keimesanlagen beruhen muss.
Ich will dies zuerst theoretisch zu entwickeln suchen und dann prüfen, in wie weit die Beobachtung damit stimmt, und ob die Theorie den Thatsachen gerecht zu werden vermag.
Viertes Buch. Die Abänderung der Arten in ihrer idioplasmatischen Wurzel.
Capitel XIII. Die vermeintliche Vererbung erworbener Eigenschaften.
Unter erworbenen Eigenschaften verstehe ich solche, welche nicht als Anlagen schon im Keim vorhanden sind, son- dern erst durch besondere Einwirkungen, die den Körper oder einzelne Theile desselben treffen, entstehen. Sie sind die Re- action dieser Theile auf irgend welche, ausserhalb der noth- wendigen Entwickelungsbedingungen liegenden äusseren Ein- wirkungen. Ich habe sie „somatogene“ Eigenschaften ge- nannt, weil sie eben auf einer Reaction des Körpers oder Soma beruhen, und bringe sie in Gegensatz zu den „blastogenen“ Eigenschaften des Individuums, d. h. denjenigen, welche ihre alleinige Wurzel in den Keimesanlagen haben. Es ist eine un- vermeidliche Consequenz sowohl der Keimplasma-Theorie, als ihrer jetzigen Weiterführung und Ausarbeitung zur Determi- nantenlehre, dass somatogene Abänderungen nicht vererbt werden können, dass also alle dauernde Abänderung vom Keim aus- geht, auf einer Veränderung der Keimesanlagen beruhen muss.
Ich will dies zuerst theoretisch zu entwickeln suchen und dann prüfen, in wie weit die Beobachtung damit stimmt, und ob die Theorie den Thatsachen gerecht zu werden vermag.
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[[514]/0538]
Viertes Buch.
Die Abänderung der Arten in ihrer
idioplasmatischen Wurzel.
Capitel XIII.
Die vermeintliche Vererbung erworbener
Eigenschaften.
Unter erworbenen Eigenschaften verstehe ich solche,
welche nicht als Anlagen schon im Keim vorhanden sind, son-
dern erst durch besondere Einwirkungen, die den Körper oder
einzelne Theile desselben treffen, entstehen. Sie sind die Re-
action dieser Theile auf irgend welche, ausserhalb der noth-
wendigen Entwickelungsbedingungen liegenden äusseren Ein-
wirkungen. Ich habe sie „somatogene“ Eigenschaften ge-
nannt, weil sie eben auf einer Reaction des Körpers oder Soma
beruhen, und bringe sie in Gegensatz zu den „blastogenen“
Eigenschaften des Individuums, d. h. denjenigen, welche ihre
alleinige Wurzel in den Keimesanlagen haben. Es ist eine un-
vermeidliche Consequenz sowohl der Keimplasma-Theorie, als
ihrer jetzigen Weiterführung und Ausarbeitung zur Determi-
nantenlehre, dass somatogene Abänderungen nicht vererbt werden
können, dass also alle dauernde Abänderung vom Keim aus-
geht, auf einer Veränderung der Keimesanlagen beruhen muss.
Ich will dies zuerst theoretisch zu entwickeln suchen und
dann prüfen, in wie weit die Beobachtung damit stimmt, und
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. [514]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/538>, abgerufen am 21.11.2024.
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