Vermehrung der Pilze 1), und erst die halb oder ganz erwachsene Raupe, oder auch erst der Schmetterling erliegt der Krankheit.
Da wir heute wissen, dass viele Krankheiten des Menschen und der Säugethiere durch solche Schmarotzer niederster Art erzeugt werden, so liegt die Vermuthung nahe, es möchten manche Krankheiten, die erblich auftreten, auf Infection der Keimzellen mit Mikroben beruhen, nicht auf wirklicher Ver- erbung, d. h. auf Übertragung einer anomalen Beschaffenheit des Keimplasma's selbst.
So habe ich schon früher die "Vererbung" der bei Meer- schweinchen künstlich erzeugten "Epilepsie" vermuthungsweise auf einen solchen Vorgang zurückzuführen gesucht, und in der That spricht die langsame Ausbildung dieser "Epilepsie" nach Verletzung des Rückenmarkes oder eines der grossen Nerven- stämme, wie mir scheint, sehr für die Auffassung, dass diese, dem Bilde der "Epilepsie" ähnlichen Krankheitszustände auf dem Einwandern von Mikroben beruhen, welche von der verletzten Stelle aus in centripetaler Richtung auf den Nervenbahnen vor- rücken, bis sie das Gehirn erreichen und dort den Reizzustand setzen, der dem Krankheitsbilde zu Grunde liegt. Auch die grosse Unbeständigkeit dieses Bildes und die Mannigfaltigkeit verschiedenster nervöser Leiden bei den Nachkommen deuten darauf hin, dass hier nicht wahre Vererbung im Spiel ist, son- dern Infection des Keimes mit den krankheitserregenden Mi- kroben. 2)
Ähnlich würde es sich mit der "Erblichkeit" des Car-
1) Vergl. F. Haberlandt, "Der Seidenspinner des Maulbeerbaums und seine Krankheiten". Wien 1871.
2) Die genauere Ausführung und Begründung dieser Ansicht über die infectiöse Natur der traumatischen Epilepsie der Meerschweinchen ist in meiner Schrift "Die Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung", Zusatz IV, Jena 1886, enthalten.
Vermehrung der Pilze 1), und erst die halb oder ganz erwachsene Raupe, oder auch erst der Schmetterling erliegt der Krankheit.
Da wir heute wissen, dass viele Krankheiten des Menschen und der Säugethiere durch solche Schmarotzer niederster Art erzeugt werden, so liegt die Vermuthung nahe, es möchten manche Krankheiten, die erblich auftreten, auf Infection der Keimzellen mit Mikroben beruhen, nicht auf wirklicher Ver- erbung, d. h. auf Übertragung einer anomalen Beschaffenheit des Keimplasma’s selbst.
So habe ich schon früher die „Vererbung“ der bei Meer- schweinchen künstlich erzeugten „Epilepsie“ vermuthungsweise auf einen solchen Vorgang zurückzuführen gesucht, und in der That spricht die langsame Ausbildung dieser „Epilepsie“ nach Verletzung des Rückenmarkes oder eines der grossen Nerven- stämme, wie mir scheint, sehr für die Auffassung, dass diese, dem Bilde der „Epilepsie“ ähnlichen Krankheitszustände auf dem Einwandern von Mikroben beruhen, welche von der verletzten Stelle aus in centripetaler Richtung auf den Nervenbahnen vor- rücken, bis sie das Gehirn erreichen und dort den Reizzustand setzen, der dem Krankheitsbilde zu Grunde liegt. Auch die grosse Unbeständigkeit dieses Bildes und die Mannigfaltigkeit verschiedenster nervöser Leiden bei den Nachkommen deuten darauf hin, dass hier nicht wahre Vererbung im Spiel ist, son- dern Infection des Keimes mit den krankheitserregenden Mi- kroben. 2)
Ähnlich würde es sich mit der „Erblichkeit“ des Car-
1) Vergl. F. Haberlandt, „Der Seidenspinner des Maulbeerbaums und seine Krankheiten“. Wien 1871.
2) Die genauere Ausführung und Begründung dieser Ansicht über die infectiöse Natur der traumatischen Epilepsie der Meerschweinchen ist in meiner Schrift „Die Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung“, Zusatz IV, Jena 1886, enthalten.
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Vermehrung der Pilze 1), und erst die halb oder ganz erwachsene
Raupe, oder auch erst der Schmetterling erliegt der Krankheit.
Da wir heute wissen, dass viele Krankheiten des Menschen
und der Säugethiere durch solche Schmarotzer niederster Art
erzeugt werden, so liegt die Vermuthung nahe, es möchten
manche Krankheiten, die erblich auftreten, auf Infection der
Keimzellen mit Mikroben beruhen, nicht auf wirklicher Ver-
erbung, d. h. auf Übertragung einer anomalen Beschaffenheit
des Keimplasma’s selbst.
So habe ich schon früher die „Vererbung“ der bei Meer-
schweinchen künstlich erzeugten „Epilepsie“ vermuthungsweise
auf einen solchen Vorgang zurückzuführen gesucht, und in der
That spricht die langsame Ausbildung dieser „Epilepsie“ nach
Verletzung des Rückenmarkes oder eines der grossen Nerven-
stämme, wie mir scheint, sehr für die Auffassung, dass diese,
dem Bilde der „Epilepsie“ ähnlichen Krankheitszustände auf dem
Einwandern von Mikroben beruhen, welche von der verletzten
Stelle aus in centripetaler Richtung auf den Nervenbahnen vor-
rücken, bis sie das Gehirn erreichen und dort den Reizzustand
setzen, der dem Krankheitsbilde zu Grunde liegt. Auch die
grosse Unbeständigkeit dieses Bildes und die Mannigfaltigkeit
verschiedenster nervöser Leiden bei den Nachkommen deuten
darauf hin, dass hier nicht wahre Vererbung im Spiel ist, son-
dern Infection des Keimes mit den krankheitserregenden Mi-
kroben. 2)
Ähnlich würde es sich mit der „Erblichkeit“ des Car-
1) Vergl. F. Haberlandt, „Der Seidenspinner des Maulbeerbaums
und seine Krankheiten“. Wien 1871.
2) Die genauere Ausführung und Begründung dieser Ansicht über
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 510. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/534>, abgerufen am 25.11.2024.
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