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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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sein; wohl aber ist es denkbar, dass grössere oder kleinere
Abnormitäten im Gange der Entwickelung eintreten, die ent-
weder zum Absterben des Embryo oder zu grösseren oder
kleineren Missbildungen Veranlassung geben. Ob solche aber
wirklich vorkommen als Folge des trunkenen Zustandes der
Eltern, darüber kann nur die Erfahrung entscheiden.

3. Scheinbare Vererbung von Krankheiten.

Dass es viele Krankheiten giebt, die sich von einer Gene-
ration auf die andere übertragen, unterliegt keinem Zweifel.
Nicht alle solche Übertragungen aber beruhen auf Vererbung,
viele vielmehr aller Wahrscheinlichkeit nach auf Ansteckung
der elterlichen Keimzelle mit mikroskopischen Parasiten. Eine
solche müsste demnach als Infection des Keimes bezeichnet
werden.

Vom Menschen ist es nur die Syphilis, für welche diese
Form der Übertragung unzweifelhaft nachgewiesen ist. 1) Nicht
nur die Mutter kann diese Krankheit auf das sich entwickelnde
Kind übertragen, sondern auch der Vater, und in dem letzteren
Falle ist also jede andere Erklärung ausgeschlossen, als die einer
Übertragung der specifischen Syphilis-Bacterien durch das Sperma-
tozoon. Bei Thieren liegt in der "Pebrine" der Seidenraupe
ein schon seit Jahrzehnten wohl bekanntes Beispiel vor, dass
eine Krankheit tödlicher Art durch das Ei von einer Generation
auf die andere übertragen werden kann mittelst der in den
Dotter des Eies eingedrungenen Keime des Krankheit erzeugenden
Pilzes. Warum diese Spaltpilze sich nicht schon im Ei derart
entwickeln und vermehren, dass dasselbe getödtet wird, ist nicht
bekannt, aber es ist so. Erst in der jungen Raupe beginnt die

1) Vergl. z. B. Dohrn, "Zur Frage der hereditären Infection".
Deutsch. med. Wochenschr. v. 15. Sept. 1892.

sein; wohl aber ist es denkbar, dass grössere oder kleinere
Abnormitäten im Gange der Entwickelung eintreten, die ent-
weder zum Absterben des Embryo oder zu grösseren oder
kleineren Missbildungen Veranlassung geben. Ob solche aber
wirklich vorkommen als Folge des trunkenen Zustandes der
Eltern, darüber kann nur die Erfahrung entscheiden.

3. Scheinbare Vererbung von Krankheiten.

Dass es viele Krankheiten giebt, die sich von einer Gene-
ration auf die andere übertragen, unterliegt keinem Zweifel.
Nicht alle solche Übertragungen aber beruhen auf Vererbung,
viele vielmehr aller Wahrscheinlichkeit nach auf Ansteckung
der elterlichen Keimzelle mit mikroskopischen Parasiten. Eine
solche müsste demnach als Infection des Keimes bezeichnet
werden.

Vom Menschen ist es nur die Syphilis, für welche diese
Form der Übertragung unzweifelhaft nachgewiesen ist. 1) Nicht
nur die Mutter kann diese Krankheit auf das sich entwickelnde
Kind übertragen, sondern auch der Vater, und in dem letzteren
Falle ist also jede andere Erklärung ausgeschlossen, als die einer
Übertragung der specifischen Syphilis-Bacterien durch das Sperma-
tozoon. Bei Thieren liegt in der „Pebrine“ der Seidenraupe
ein schon seit Jahrzehnten wohl bekanntes Beispiel vor, dass
eine Krankheit tödlicher Art durch das Ei von einer Generation
auf die andere übertragen werden kann mittelst der in den
Dotter des Eies eingedrungenen Keime des Krankheit erzeugenden
Pilzes. Warum diese Spaltpilze sich nicht schon im Ei derart
entwickeln und vermehren, dass dasselbe getödtet wird, ist nicht
bekannt, aber es ist so. Erst in der jungen Raupe beginnt die

1) Vergl. z. B. Dohrn, „Zur Frage der hereditären Infection“.
Deutsch. med. Wochenschr. v. 15. Sept. 1892.
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[509/0533] sein; wohl aber ist es denkbar, dass grössere oder kleinere Abnormitäten im Gange der Entwickelung eintreten, die ent- weder zum Absterben des Embryo oder zu grösseren oder kleineren Missbildungen Veranlassung geben. Ob solche aber wirklich vorkommen als Folge des trunkenen Zustandes der Eltern, darüber kann nur die Erfahrung entscheiden. 3. Scheinbare Vererbung von Krankheiten. Dass es viele Krankheiten giebt, die sich von einer Gene- ration auf die andere übertragen, unterliegt keinem Zweifel. Nicht alle solche Übertragungen aber beruhen auf Vererbung, viele vielmehr aller Wahrscheinlichkeit nach auf Ansteckung der elterlichen Keimzelle mit mikroskopischen Parasiten. Eine solche müsste demnach als Infection des Keimes bezeichnet werden. Vom Menschen ist es nur die Syphilis, für welche diese Form der Übertragung unzweifelhaft nachgewiesen ist. 1) Nicht nur die Mutter kann diese Krankheit auf das sich entwickelnde Kind übertragen, sondern auch der Vater, und in dem letzteren Falle ist also jede andere Erklärung ausgeschlossen, als die einer Übertragung der specifischen Syphilis-Bacterien durch das Sperma- tozoon. Bei Thieren liegt in der „Pebrine“ der Seidenraupe ein schon seit Jahrzehnten wohl bekanntes Beispiel vor, dass eine Krankheit tödlicher Art durch das Ei von einer Generation auf die andere übertragen werden kann mittelst der in den Dotter des Eies eingedrungenen Keime des Krankheit erzeugenden Pilzes. Warum diese Spaltpilze sich nicht schon im Ei derart entwickeln und vermehren, dass dasselbe getödtet wird, ist nicht bekannt, aber es ist so. Erst in der jungen Raupe beginnt die 1) Vergl. z. B. Dohrn, „Zur Frage der hereditären Infection“. Deutsch. med. Wochenschr. v. 15. Sept. 1892.

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 509. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/533>, abgerufen am 23.11.2024.