auf andere Weise wohl jemals hätten erhalten können, und wir dürfen hoffen, durch immer genauere Untersuchungen gerade dieser Erscheinungen mit der Zeit noch tiefer in das Wesen derselben einzudringen.
Um aber dieses Ziel zu erreichen, werden wir nie vergessen dürfen, dass diese Form der Fortpflanzung weder die einzige, noch die ursprüngliche ist, dass auch bei den Vielzelligen nicht jede Fortpflanzung mit Amphimixis verbunden ist, dass vielmehr die sogenannte "ungeschlechtliche", d. h. einelterliche Fort- pflanzung die Wurzel der zweielterlichen sein muss. Die Grund- erscheinungen der Vererbung haben aber auch vor Einführung der Amphimixis in die Lebewelt ihren Ablauf genommen, und sie haben also Nichts mit der zweielterlichen Abstammung und der aus dieser resultirenden Complicirung der Vererbung zu thun. Das ist oft übersehen oder doch nicht berücksichtigt worden und man hat sich dadurch die Lösung des Vererbungs-Problems ungemein erschwert. Eine ganze Reihe von Vererbungserschei- nungen können theoretisch untersucht werden, ohne Rücksicht zu nehmen auf ihre Complication durch die thatsächlich überall hineinspielende Amphimixis, und die zu lösende Aufgabe ver- einfacht sich dadurch recht beträchtlich.
Der natürliche Gang der Untersuchung würde vom Ein- fachen zum Zusammengesetzten leiten, aber es empfiehlt sich, heute noch nicht mit der Vererbung der Urwesen zu beginnen und durch die Einzelligen zu den Vielzelligen aufzusteigen. Nicht blos deshalb, weil wir über die Einzelerscheinungen, z. B. über die Vererbung individueller Charaktere bei niederen Lebensformen so gut wie Nichts wissen, sondern vor Allem aus dem Grund, weil gerade die zweielterliche Fortpflanzung der Vielzelligen, der Befruchtungsprocess und die complicirte Ent- wickelung derselben uns -- wie schon gesagt wurde -- einen tiefen Blick in das Wesen des Vererbungsvorgangs thun lassen.
auf andere Weise wohl jemals hätten erhalten können, und wir dürfen hoffen, durch immer genauere Untersuchungen gerade dieser Erscheinungen mit der Zeit noch tiefer in das Wesen derselben einzudringen.
Um aber dieses Ziel zu erreichen, werden wir nie vergessen dürfen, dass diese Form der Fortpflanzung weder die einzige, noch die ursprüngliche ist, dass auch bei den Vielzelligen nicht jede Fortpflanzung mit Amphimixis verbunden ist, dass vielmehr die sogenannte „ungeschlechtliche“, d. h. einelterliche Fort- pflanzung die Wurzel der zweielterlichen sein muss. Die Grund- erscheinungen der Vererbung haben aber auch vor Einführung der Amphimixis in die Lebewelt ihren Ablauf genommen, und sie haben also Nichts mit der zweielterlichen Abstammung und der aus dieser resultirenden Complicirung der Vererbung zu thun. Das ist oft übersehen oder doch nicht berücksichtigt worden und man hat sich dadurch die Lösung des Vererbungs-Problems ungemein erschwert. Eine ganze Reihe von Vererbungserschei- nungen können theoretisch untersucht werden, ohne Rücksicht zu nehmen auf ihre Complication durch die thatsächlich überall hineinspielende Amphimixis, und die zu lösende Aufgabe ver- einfacht sich dadurch recht beträchtlich.
Der natürliche Gang der Untersuchung würde vom Ein- fachen zum Zusammengesetzten leiten, aber es empfiehlt sich, heute noch nicht mit der Vererbung der Urwesen zu beginnen und durch die Einzelligen zu den Vielzelligen aufzusteigen. Nicht blos deshalb, weil wir über die Einzelerscheinungen, z. B. über die Vererbung individueller Charaktere bei niederen Lebensformen so gut wie Nichts wissen, sondern vor Allem aus dem Grund, weil gerade die zweielterliche Fortpflanzung der Vielzelligen, der Befruchtungsprocess und die complicirte Ent- wickelung derselben uns — wie schon gesagt wurde — einen tiefen Blick in das Wesen des Vererbungsvorgangs thun lassen.
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[29/0053]
auf andere Weise wohl jemals hätten erhalten können, und wir
dürfen hoffen, durch immer genauere Untersuchungen gerade
dieser Erscheinungen mit der Zeit noch tiefer in das Wesen
derselben einzudringen.
Um aber dieses Ziel zu erreichen, werden wir nie vergessen
dürfen, dass diese Form der Fortpflanzung weder die einzige,
noch die ursprüngliche ist, dass auch bei den Vielzelligen nicht
jede Fortpflanzung mit Amphimixis verbunden ist, dass vielmehr
die sogenannte „ungeschlechtliche“, d. h. einelterliche Fort-
pflanzung die Wurzel der zweielterlichen sein muss. Die Grund-
erscheinungen der Vererbung haben aber auch vor Einführung
der Amphimixis in die Lebewelt ihren Ablauf genommen, und
sie haben also Nichts mit der zweielterlichen Abstammung und
der aus dieser resultirenden Complicirung der Vererbung zu thun.
Das ist oft übersehen oder doch nicht berücksichtigt worden
und man hat sich dadurch die Lösung des Vererbungs-Problems
ungemein erschwert. Eine ganze Reihe von Vererbungserschei-
nungen können theoretisch untersucht werden, ohne Rücksicht
zu nehmen auf ihre Complication durch die thatsächlich überall
hineinspielende Amphimixis, und die zu lösende Aufgabe ver-
einfacht sich dadurch recht beträchtlich.
Der natürliche Gang der Untersuchung würde vom Ein-
fachen zum Zusammengesetzten leiten, aber es empfiehlt sich,
heute noch nicht mit der Vererbung der Urwesen zu beginnen
und durch die Einzelligen zu den Vielzelligen aufzusteigen.
Nicht blos deshalb, weil wir über die Einzelerscheinungen,
z. B. über die Vererbung individueller Charaktere bei niederen
Lebensformen so gut wie Nichts wissen, sondern vor Allem aus
dem Grund, weil gerade die zweielterliche Fortpflanzung der
Vielzelligen, der Befruchtungsprocess und die complicirte Ent-
wickelung derselben uns — wie schon gesagt wurde — einen
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/53>, abgerufen am 22.11.2024.
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