Offenbar wird die Anlage zu beiderlei Bildungen schon vom Vegetationspunkte, d. h. von der Spitze des Sprosses aus, bestimmt. Die Zellen, welche sich hier fortwährend von der Scheitelzelle aus bilden, werden schon sehr bald determinirt, sei es zu Blatt- oder zu Wurzelanlagen; immer nur die so und so vielste Zelle der Lichtseite wird mit Blatt-Determinanten ausgerüstet, die Zellen der Schattenseite aber werden mit Wurzel-Determi- nanten in viel dichterer Aufeinanderfolge versehen. Die Ent- scheidung erfolgt also schon früh, schon im eigentlichen embryo- nalen Zustand des Sprosses, und welche Seite mit Wurzel-, welche mit Blatt-Determinanten, jede nach ihren eigenen Ge- setzen der Vertheilung, versehen wird, das hängt von der Be- lichtung ab. Sie entscheidet darüber, nach welcher Seite hin bei der Kerntheilung der Scheitelzellen-Sprösslinge die Wurzel-, nach welcher die Blatt-Determinantengruppe treten soll. Es ist etwa wie beim menschlichen Situs inversus viscerum, nur dass wir da die Ursache der Lage-Umkehrung nicht kennen. Aber auch hier wirkt im frühen embryonalen Leben eine Ur- sache ein, welche es bewirkt, dass die Leber links, die Milz und das Herz rechts zu liegen kommen, lange bevor diese Theile wirklich schon vorhanden sind. Später giebt es keine Ein- flüsse mehr, welche die Leber von rechts nach links versetzen, oder gar die Leber in die Milz umwandeln könnten, gerade wie beim Epheuspross, wenn seine Schattenseite einmal mit Wurzeln besetzt ist, keine Einflüsse mehr im Stande sind, dort Blätter zu erzeugen.
Ich glaube deshalb, dass hier nicht dieselben Zellen zu zweierlei Bildungen auszuwachsen vermögen, sondern dass es wurzelbildende und blattbildende Zellgruppen giebt, deren Idio- plasma verschieden ist und nicht ineinander übergeht, dass aber die wurzelbildende und die blattbildende Seite des Sprosses schon in der ersten Embryonalanlage durch den Einfluss des Lichtes bestimmt wird.
Offenbar wird die Anlage zu beiderlei Bildungen schon vom Vegetationspunkte, d. h. von der Spitze des Sprosses aus, bestimmt. Die Zellen, welche sich hier fortwährend von der Scheitelzelle aus bilden, werden schon sehr bald determinirt, sei es zu Blatt- oder zu Wurzelanlagen; immer nur die so und so vielste Zelle der Lichtseite wird mit Blatt-Determinanten ausgerüstet, die Zellen der Schattenseite aber werden mit Wurzel-Determi- nanten in viel dichterer Aufeinanderfolge versehen. Die Ent- scheidung erfolgt also schon früh, schon im eigentlichen embryo- nalen Zustand des Sprosses, und welche Seite mit Wurzel-, welche mit Blatt-Determinanten, jede nach ihren eigenen Ge- setzen der Vertheilung, versehen wird, das hängt von der Be- lichtung ab. Sie entscheidet darüber, nach welcher Seite hin bei der Kerntheilung der Scheitelzellen-Sprösslinge die Wurzel-, nach welcher die Blatt-Determinantengruppe treten soll. Es ist etwa wie beim menschlichen Situs inversus viscerum, nur dass wir da die Ursache der Lage-Umkehrung nicht kennen. Aber auch hier wirkt im frühen embryonalen Leben eine Ur- sache ein, welche es bewirkt, dass die Leber links, die Milz und das Herz rechts zu liegen kommen, lange bevor diese Theile wirklich schon vorhanden sind. Später giebt es keine Ein- flüsse mehr, welche die Leber von rechts nach links versetzen, oder gar die Leber in die Milz umwandeln könnten, gerade wie beim Epheuspross, wenn seine Schattenseite einmal mit Wurzeln besetzt ist, keine Einflüsse mehr im Stande sind, dort Blätter zu erzeugen.
Ich glaube deshalb, dass hier nicht dieselben Zellen zu zweierlei Bildungen auszuwachsen vermögen, sondern dass es wurzelbildende und blattbildende Zellgruppen giebt, deren Idio- plasma verschieden ist und nicht ineinander übergeht, dass aber die wurzelbildende und die blattbildende Seite des Sprosses schon in der ersten Embryonalanlage durch den Einfluss des Lichtes bestimmt wird.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0525"n="501"/><p>Offenbar wird die Anlage zu beiderlei Bildungen schon<lb/>
vom Vegetationspunkte, d. h. von der Spitze des Sprosses aus,<lb/>
bestimmt. Die Zellen, welche sich hier fortwährend von der<lb/>
Scheitelzelle aus bilden, werden schon sehr bald determinirt, sei es<lb/>
zu Blatt- oder zu Wurzelanlagen; immer nur die so und so vielste<lb/>
Zelle der Lichtseite wird mit Blatt-Determinanten ausgerüstet,<lb/>
die Zellen der Schattenseite aber werden mit Wurzel-Determi-<lb/>
nanten in viel dichterer Aufeinanderfolge versehen. Die Ent-<lb/>
scheidung erfolgt also schon früh, schon im eigentlichen embryo-<lb/>
nalen Zustand des Sprosses, und welche Seite mit Wurzel-,<lb/>
welche mit Blatt-Determinanten, jede nach ihren eigenen Ge-<lb/>
setzen der Vertheilung, versehen wird, das hängt von der Be-<lb/>
lichtung ab. Sie entscheidet darüber, nach welcher Seite hin<lb/>
bei der Kerntheilung der Scheitelzellen-Sprösslinge die Wurzel-,<lb/>
nach welcher die Blatt-Determinantengruppe treten soll. Es<lb/>
ist etwa wie beim menschlichen Situs inversus viscerum, nur<lb/>
dass wir da die Ursache der Lage-Umkehrung nicht kennen.<lb/>
Aber auch hier wirkt im frühen embryonalen Leben eine Ur-<lb/>
sache ein, welche es bewirkt, dass die Leber links, die Milz und<lb/>
das Herz rechts zu liegen kommen, lange bevor diese Theile<lb/>
wirklich schon vorhanden sind. Später giebt es keine Ein-<lb/>
flüsse mehr, welche die Leber von rechts nach links versetzen,<lb/>
oder gar die Leber in die Milz umwandeln könnten, gerade<lb/>
wie beim Epheuspross, wenn seine Schattenseite einmal mit<lb/>
Wurzeln besetzt ist, keine Einflüsse mehr im Stande sind, dort<lb/>
Blätter zu erzeugen.</p><lb/><p>Ich glaube deshalb, dass hier nicht <hirendition="#g">dieselben</hi> Zellen zu<lb/>
zweierlei Bildungen auszuwachsen vermögen, sondern dass es<lb/>
wurzelbildende und blattbildende Zellgruppen giebt, deren Idio-<lb/>
plasma verschieden ist und nicht ineinander übergeht, dass aber<lb/>
die wurzelbildende und die blattbildende Seite des Sprosses<lb/>
schon in der ersten Embryonalanlage durch den Einfluss des<lb/>
Lichtes bestimmt wird.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[501/0525]
Offenbar wird die Anlage zu beiderlei Bildungen schon
vom Vegetationspunkte, d. h. von der Spitze des Sprosses aus,
bestimmt. Die Zellen, welche sich hier fortwährend von der
Scheitelzelle aus bilden, werden schon sehr bald determinirt, sei es
zu Blatt- oder zu Wurzelanlagen; immer nur die so und so vielste
Zelle der Lichtseite wird mit Blatt-Determinanten ausgerüstet,
die Zellen der Schattenseite aber werden mit Wurzel-Determi-
nanten in viel dichterer Aufeinanderfolge versehen. Die Ent-
scheidung erfolgt also schon früh, schon im eigentlichen embryo-
nalen Zustand des Sprosses, und welche Seite mit Wurzel-,
welche mit Blatt-Determinanten, jede nach ihren eigenen Ge-
setzen der Vertheilung, versehen wird, das hängt von der Be-
lichtung ab. Sie entscheidet darüber, nach welcher Seite hin
bei der Kerntheilung der Scheitelzellen-Sprösslinge die Wurzel-,
nach welcher die Blatt-Determinantengruppe treten soll. Es
ist etwa wie beim menschlichen Situs inversus viscerum, nur
dass wir da die Ursache der Lage-Umkehrung nicht kennen.
Aber auch hier wirkt im frühen embryonalen Leben eine Ur-
sache ein, welche es bewirkt, dass die Leber links, die Milz und
das Herz rechts zu liegen kommen, lange bevor diese Theile
wirklich schon vorhanden sind. Später giebt es keine Ein-
flüsse mehr, welche die Leber von rechts nach links versetzen,
oder gar die Leber in die Milz umwandeln könnten, gerade
wie beim Epheuspross, wenn seine Schattenseite einmal mit
Wurzeln besetzt ist, keine Einflüsse mehr im Stande sind, dort
Blätter zu erzeugen.
Ich glaube deshalb, dass hier nicht dieselben Zellen zu
zweierlei Bildungen auszuwachsen vermögen, sondern dass es
wurzelbildende und blattbildende Zellgruppen giebt, deren Idio-
plasma verschieden ist und nicht ineinander übergeht, dass aber
die wurzelbildende und die blattbildende Seite des Sprosses
schon in der ersten Embryonalanlage durch den Einfluss des
Lichtes bestimmt wird.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 501. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/525>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.