bildung der Krankheit führen, falls nicht eine ungewöhnlich günstige Reductionstheilung das starke Übergewicht der krank- haften Determinanten beseitigt. Die Bluterkrankheit, die in der Mutter latent bleibt, kann sich von ihr ebenso leicht auf die männlichen Nachkommen vererben, als irgend eine andere männ- liche Eigenschaft des Grossvaters, seine Bartfarbe, seine Tenor- stimme u. s. w.
In dieser Übereinstimmung der Vererbungsweise der ge- wöhnlichen sekundären Geschlechtscharaktere und der Bluter- krankheit liegt, wie mir scheint, ein nicht zu übersehender Hin- weis darauf, dass beim Menschen eine grosse Zahl von Determinanten als Doppeldeterminanten anzunehmen sind. Die Zahl der sekundären Geschlechtscharaktere ist hier weit grösser, als man für gewöhnlich sich bewusst wird. Es ist ja bekannt genug, dass keineswegs nur Bart und Stimme, Haar und Haut beim Manne anders als beim Weib sind, son- dern auch der Knochenbau und die Muskulatur, ja die ge- sammte Körpergrösse. Gäbe es identische Zwillinge verschiedenen Geschlechtes, d. h. einen Mann und ein Weib, welche aus genau demselben Keimplasma durch Zweitheilung des befruchteten Eies hervorgegangen wären, so würde doch das Weib kleiner als der Mann sein, die Knochen dünner, das Becken weiter, die Muskeln schwächer u. s. w. Ganz gleich würde bei Beiden vielleicht kein einziger Theil sein; wenigstens wird ja all- gemein angenommen, dass auch das weibliche Gehirn sich in Etwas vom männlichen unterscheidet, und auch die Sinnesorgane sollen beim Weibe reizbarer und leichter erregbar sein. Wenn das Alles überhaupt Etwas heissen soll, so kann es nur heissen, dass die weibliche Ausbildung desselben Keimes eine andere ist, als die männliche; dies aber wiederum kann in unserer theoretischen Sprache nur so ausgedrückt werden, dass beim Menschen alle, oder doch nahezu alle Determinanten
bildung der Krankheit führen, falls nicht eine ungewöhnlich günstige Reductionstheilung das starke Übergewicht der krank- haften Determinanten beseitigt. Die Bluterkrankheit, die in der Mutter latent bleibt, kann sich von ihr ebenso leicht auf die männlichen Nachkommen vererben, als irgend eine andere männ- liche Eigenschaft des Grossvaters, seine Bartfarbe, seine Tenor- stimme u. s. w.
In dieser Übereinstimmung der Vererbungsweise der ge- wöhnlichen sekundären Geschlechtscharaktere und der Bluter- krankheit liegt, wie mir scheint, ein nicht zu übersehender Hin- weis darauf, dass beim Menschen eine grosse Zahl von Determinanten als Doppeldeterminanten anzunehmen sind. Die Zahl der sekundären Geschlechtscharaktere ist hier weit grösser, als man für gewöhnlich sich bewusst wird. Es ist ja bekannt genug, dass keineswegs nur Bart und Stimme, Haar und Haut beim Manne anders als beim Weib sind, son- dern auch der Knochenbau und die Muskulatur, ja die ge- sammte Körpergrösse. Gäbe es identische Zwillinge verschiedenen Geschlechtes, d. h. einen Mann und ein Weib, welche aus genau demselben Keimplasma durch Zweitheilung des befruchteten Eies hervorgegangen wären, so würde doch das Weib kleiner als der Mann sein, die Knochen dünner, das Becken weiter, die Muskeln schwächer u. s. w. Ganz gleich würde bei Beiden vielleicht kein einziger Theil sein; wenigstens wird ja all- gemein angenommen, dass auch das weibliche Gehirn sich in Etwas vom männlichen unterscheidet, und auch die Sinnesorgane sollen beim Weibe reizbarer und leichter erregbar sein. Wenn das Alles überhaupt Etwas heissen soll, so kann es nur heissen, dass die weibliche Ausbildung desselben Keimes eine andere ist, als die männliche; dies aber wiederum kann in unserer theoretischen Sprache nur so ausgedrückt werden, dass beim Menschen alle, oder doch nahezu alle Determinanten
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bildung der Krankheit führen, falls nicht eine ungewöhnlich
günstige Reductionstheilung das starke Übergewicht der krank-
haften Determinanten beseitigt. Die Bluterkrankheit, die in der
Mutter latent bleibt, kann sich von ihr ebenso leicht auf die
männlichen Nachkommen vererben, als irgend eine andere männ-
liche Eigenschaft des Grossvaters, seine Bartfarbe, seine Tenor-
stimme u. s. w.
In dieser Übereinstimmung der Vererbungsweise der ge-
wöhnlichen sekundären Geschlechtscharaktere und der Bluter-
krankheit liegt, wie mir scheint, ein nicht zu übersehender Hin-
weis darauf, dass beim Menschen eine grosse Zahl von
Determinanten als Doppeldeterminanten anzunehmen
sind. Die Zahl der sekundären Geschlechtscharaktere ist hier
weit grösser, als man für gewöhnlich sich bewusst wird. Es
ist ja bekannt genug, dass keineswegs nur Bart und Stimme,
Haar und Haut beim Manne anders als beim Weib sind, son-
dern auch der Knochenbau und die Muskulatur, ja die ge-
sammte Körpergrösse. Gäbe es identische Zwillinge verschiedenen
Geschlechtes, d. h. einen Mann und ein Weib, welche aus genau
demselben Keimplasma durch Zweitheilung des befruchteten
Eies hervorgegangen wären, so würde doch das Weib kleiner
als der Mann sein, die Knochen dünner, das Becken weiter, die
Muskeln schwächer u. s. w. Ganz gleich würde bei Beiden
vielleicht kein einziger Theil sein; wenigstens wird ja all-
gemein angenommen, dass auch das weibliche Gehirn sich in
Etwas vom männlichen unterscheidet, und auch die Sinnesorgane
sollen beim Weibe reizbarer und leichter erregbar sein. Wenn
das Alles überhaupt Etwas heissen soll, so kann es nur heissen,
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/512>, abgerufen am 22.11.2024.
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