anlage des Vaters durch die Gesundheitsanlage der Mutter über- wunden wird. In dem einen, von Chelius, Mutzenbecher und Lossen1) durch vier Generationen verfolgten Stammbaum einer Bluterfamilie ist dies der Fall; hier sind die Söhne der Bluter nie wieder Bluter; in dem von Thulesius-Grandidier beschriebenen Fall dagegen vererbte sich die Krankheit vom Vater aus auf die männlichen Glieder durch drei Generationen. Beides lässt sich von unserem Standpunkt aus verstehen, da keine individuelle Variation auf einer Variation der betreffenden Determinanten sämmtlicher Ide des Keimplasma's beruht, sondern immer nur auf einer Majorität der Ide mit ab- geänderten Determinanten. Diese aber kann durch jede Re- ductionstheilung und durch jede neue Amphimixis in eine Minorität verwandelt werden, womit dann die Variation auf- hört, manifest zu werden. Sobald also nur eine schwache Majorität der Ide Bluter-Determinanten enthält, würde schon eine mässige Zahl und Vererbungsstärke der gesunden mütter- lichen Gefäss-Determinanten den Sieg über die kranken väter- lichen davontragen, und folglich die männlichen Nachkommen frei von der Krankheit bleiben. Wenn aber die Bluter-Determi- nanten in bedeutender Majorität vorhanden waren im Keim- plasma des Vaters, so würde eine günstige Reductionstheilung zu Hülfe kommen müssen, damit ein Sohn von der Krankheit verschont bliebe. Aber auch solche Fälle erklären sich, in welchen die weiblichen Glieder einer Bluterfamilie mit ver- schiedenen gesunden Vätern lauter bluterkranke Söhne hervor- brachten. Denn die männliche Hälfte der Doppeldeterminanten beinahe sämmtlicher Ide könnte im Keimplasma dieser Mütter krankhaft abgeändert sein, ohne dass dies am Körper der Mutter zur Erscheinung käme; bei den Söhnen aber muss es zur Aus-
1)Klebs, Lehrbuch der pathologischen Anatomie.
anlage des Vaters durch die Gesundheitsanlage der Mutter über- wunden wird. In dem einen, von Chelius, Mutzenbecher und Lossen1) durch vier Generationen verfolgten Stammbaum einer Bluterfamilie ist dies der Fall; hier sind die Söhne der Bluter nie wieder Bluter; in dem von Thulesius-Grandidier beschriebenen Fall dagegen vererbte sich die Krankheit vom Vater aus auf die männlichen Glieder durch drei Generationen. Beides lässt sich von unserem Standpunkt aus verstehen, da keine individuelle Variation auf einer Variation der betreffenden Determinanten sämmtlicher Ide des Keimplasma’s beruht, sondern immer nur auf einer Majorität der Ide mit ab- geänderten Determinanten. Diese aber kann durch jede Re- ductionstheilung und durch jede neue Amphimixis in eine Minorität verwandelt werden, womit dann die Variation auf- hört, manifest zu werden. Sobald also nur eine schwache Majorität der Ide Bluter-Determinanten enthält, würde schon eine mässige Zahl und Vererbungsstärke der gesunden mütter- lichen Gefäss-Determinanten den Sieg über die kranken väter- lichen davontragen, und folglich die männlichen Nachkommen frei von der Krankheit bleiben. Wenn aber die Bluter-Determi- nanten in bedeutender Majorität vorhanden waren im Keim- plasma des Vaters, so würde eine günstige Reductionstheilung zu Hülfe kommen müssen, damit ein Sohn von der Krankheit verschont bliebe. Aber auch solche Fälle erklären sich, in welchen die weiblichen Glieder einer Bluterfamilie mit ver- schiedenen gesunden Vätern lauter bluterkranke Söhne hervor- brachten. Denn die männliche Hälfte der Doppeldeterminanten beinahe sämmtlicher Ide könnte im Keimplasma dieser Mütter krankhaft abgeändert sein, ohne dass dies am Körper der Mutter zur Erscheinung käme; bei den Söhnen aber muss es zur Aus-
1)Klebs, Lehrbuch der pathologischen Anatomie.
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anlage des Vaters durch die Gesundheitsanlage der Mutter über-
wunden wird. In dem einen, von Chelius, Mutzenbecher
und Lossen 1) durch vier Generationen verfolgten Stammbaum
einer Bluterfamilie ist dies der Fall; hier sind die Söhne der
Bluter nie wieder Bluter; in dem von Thulesius-Grandidier
beschriebenen Fall dagegen vererbte sich die Krankheit vom
Vater aus auf die männlichen Glieder durch drei Generationen.
Beides lässt sich von unserem Standpunkt aus verstehen, da
keine individuelle Variation auf einer Variation der betreffenden
Determinanten sämmtlicher Ide des Keimplasma’s beruht,
sondern immer nur auf einer Majorität der Ide mit ab-
geänderten Determinanten. Diese aber kann durch jede Re-
ductionstheilung und durch jede neue Amphimixis in eine
Minorität verwandelt werden, womit dann die Variation auf-
hört, manifest zu werden. Sobald also nur eine schwache
Majorität der Ide Bluter-Determinanten enthält, würde schon
eine mässige Zahl und Vererbungsstärke der gesunden mütter-
lichen Gefäss-Determinanten den Sieg über die kranken väter-
lichen davontragen, und folglich die männlichen Nachkommen
frei von der Krankheit bleiben. Wenn aber die Bluter-Determi-
nanten in bedeutender Majorität vorhanden waren im Keim-
plasma des Vaters, so würde eine günstige Reductionstheilung
zu Hülfe kommen müssen, damit ein Sohn von der Krankheit
verschont bliebe. Aber auch solche Fälle erklären sich, in
welchen die weiblichen Glieder einer Bluterfamilie mit ver-
schiedenen gesunden Vätern lauter bluterkranke Söhne hervor-
brachten. Denn die männliche Hälfte der Doppeldeterminanten
beinahe sämmtlicher Ide könnte im Keimplasma dieser Mütter
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 487. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/511>, abgerufen am 22.11.2024.
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