Charakteren manifest wird. Ich meine hier zunächst die Ge- schlechtscharaktere, primäre und sekundäre, es gehört aber jeder, auch der nicht sexuelle Di- und Polymorphismus einer Art hierher. Es muss versucht werden, diese Erscheinungen der Theorie einzufügen.
Naturgemäss wird die Reflexion mit dem einfachsten Stadium sexueller Differenzirung beginnen, mit der Scheidung der ur- sprünglich monomorphen Keimzellen in männliche und weib- liche. Hier tritt die Frage uns entgegen: Welches ist die idioplasmatische Grundlage dieser zweifachen Diffe- renzirung, und wie ist sie phyletisch entstanden?
Ich möchte an ein bestimmtes Beispiel anknüpfen. Unter den Volvocineen, jenen nieder organisirten mehrzelligen Algen, welche als lebende Kugeln durch Wimperthätigkeit im Wasser rotirend umherschwimmen, finden sich mehrere Gattungen, welche neben einer Vermehrung durch ungeschlechtliche Keimzellen eine geschlechtliche Fortpflanzung besitzen, die in der Copulation, d. h. völligen Verschmelzung zweier gänzlich gleich erscheinenden Keimzellen besteht. Dahin gehört Eudorina und Pandorina.
Solange die Fortpflanzungszelle, wie es bei diesen Arten der Fall ist, in allen Individuen dieselbe ist, wird man sie von demjenigen Idioplasma bestimmt denken können, welches die Entwickelung der Art überhaupt leitet, dem Keimplasma, welches sich aus einer verschiedenen Zahl unter sich gleicher Determi- nanten zusammensetzt. Dies wird aber sofort anders, sobald die copulirenden Keimzellen zu weiblichen und männlichen Zellen differenzirt sind, wie es bei der nahe verwandten Gattung Volvox der Fall ist. Das Nützlichkeitsmotiv zu dieser Differenzirung liegt nahe, denn eine möglichst grosse Ansammlung von Nähr- stoffen in den Keimzellen, wie sie von Vortheil sein musste, konnte nur in sehr geringem Grade erreicht werden, solange die beiden zur Amphimixis bestimmten Keimzellen stark be-
Charakteren manifest wird. Ich meine hier zunächst die Ge- schlechtscharaktere, primäre und sekundäre, es gehört aber jeder, auch der nicht sexuelle Di- und Polymorphismus einer Art hierher. Es muss versucht werden, diese Erscheinungen der Theorie einzufügen.
Naturgemäss wird die Reflexion mit dem einfachsten Stadium sexueller Differenzirung beginnen, mit der Scheidung der ur- sprünglich monomorphen Keimzellen in männliche und weib- liche. Hier tritt die Frage uns entgegen: Welches ist die idioplasmatische Grundlage dieser zweifachen Diffe- renzirung, und wie ist sie phyletisch entstanden?
Ich möchte an ein bestimmtes Beispiel anknüpfen. Unter den Volvocineen, jenen nieder organisirten mehrzelligen Algen, welche als lebende Kugeln durch Wimperthätigkeit im Wasser rotirend umherschwimmen, finden sich mehrere Gattungen, welche neben einer Vermehrung durch ungeschlechtliche Keimzellen eine geschlechtliche Fortpflanzung besitzen, die in der Copulation, d. h. völligen Verschmelzung zweier gänzlich gleich erscheinenden Keimzellen besteht. Dahin gehört Eudorina und Pandorina.
Solange die Fortpflanzungszelle, wie es bei diesen Arten der Fall ist, in allen Individuen dieselbe ist, wird man sie von demjenigen Idioplasma bestimmt denken können, welches die Entwickelung der Art überhaupt leitet, dem Keimplasma, welches sich aus einer verschiedenen Zahl unter sich gleicher Determi- nanten zusammensetzt. Dies wird aber sofort anders, sobald die copulirenden Keimzellen zu weiblichen und männlichen Zellen differenzirt sind, wie es bei der nahe verwandten Gattung Volvox der Fall ist. Das Nützlichkeitsmotiv zu dieser Differenzirung liegt nahe, denn eine möglichst grosse Ansammlung von Nähr- stoffen in den Keimzellen, wie sie von Vortheil sein musste, konnte nur in sehr geringem Grade erreicht werden, solange die beiden zur Amphimixis bestimmten Keimzellen stark be-
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Charakteren manifest wird. Ich meine hier zunächst die Ge-
schlechtscharaktere, primäre und sekundäre, es gehört
aber jeder, auch der nicht sexuelle Di- und Polymorphismus
einer Art hierher. Es muss versucht werden, diese Erscheinungen
der Theorie einzufügen.
Naturgemäss wird die Reflexion mit dem einfachsten Stadium
sexueller Differenzirung beginnen, mit der Scheidung der ur-
sprünglich monomorphen Keimzellen in männliche und weib-
liche. Hier tritt die Frage uns entgegen: Welches ist die
idioplasmatische Grundlage dieser zweifachen Diffe-
renzirung, und wie ist sie phyletisch entstanden?
Ich möchte an ein bestimmtes Beispiel anknüpfen. Unter
den Volvocineen, jenen nieder organisirten mehrzelligen Algen,
welche als lebende Kugeln durch Wimperthätigkeit im Wasser
rotirend umherschwimmen, finden sich mehrere Gattungen, welche
neben einer Vermehrung durch ungeschlechtliche Keimzellen eine
geschlechtliche Fortpflanzung besitzen, die in der Copulation,
d. h. völligen Verschmelzung zweier gänzlich gleich erscheinenden
Keimzellen besteht. Dahin gehört Eudorina und Pandorina.
Solange die Fortpflanzungszelle, wie es bei diesen Arten
der Fall ist, in allen Individuen dieselbe ist, wird man sie von
demjenigen Idioplasma bestimmt denken können, welches die
Entwickelung der Art überhaupt leitet, dem Keimplasma, welches
sich aus einer verschiedenen Zahl unter sich gleicher Determi-
nanten zusammensetzt. Dies wird aber sofort anders, sobald
die copulirenden Keimzellen zu weiblichen und männlichen Zellen
differenzirt sind, wie es bei der nahe verwandten Gattung Volvox
der Fall ist. Das Nützlichkeitsmotiv zu dieser Differenzirung
liegt nahe, denn eine möglichst grosse Ansammlung von Nähr-
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/488>, abgerufen am 22.11.2024.
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