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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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sagen von Thatsachen wir Nägeli auch verdanken, seine eigne
Vererbungstheorie hat sich heute schon als unhaltbar erwiesen.
Aus diesem Grunde und weil sie ohnehin Allen bekannt ist,
möchte ich sie hier nicht ausführlich besprechen und mich
lieber auf die Beurtheilung derselben beziehen, die ich vor
Jahren schon gegeben habe1), sowie auch auf die von Wiesner2)
vor Kurzem gegebene ausführliche Kritik. Wenn ich aber
auch nicht glaube, dass die Nägeli'sche Theorie auf dem Weg
zur richtigen Vererbungstheorie liegt, so enthält sie doch
jedenfalls einen wichtigen, und für die Weiterentwickelung
unserer Einsicht bedeutsamen Gedanken, den des Idioplasma's.
Wie ich selbst schon eine besondere Vererbungssubstanz, das
Keimplasma angenommen hatte, von dessen Veränderungen die
Entwickelung abhängt, und von dessen Übertragung von einer
Generation auf die andere die Vererbung, so postulirte jetzt --
ganz unabhängig von mir -- Nägeli eine besondere Ver-
erbungssubstanz, ein "Anlagenplasma" oder "Idioplasma", wel-
ches an Masse viel geringer sei, als die übrige lebende Substanz
des Körpers, das "Ernährungsplasma", welches aber dieses in
seinem feinsten Bau bestimme. Die Richtigkeit dieses Gedankens
ist -- soweit ich sehe -- bisher von Niemanden bestritten
worden, wenn es sich auch bald zeigte, dass die Form, in
welcher sich Nägeli dieses Idioplasma vorstellte, der Wirklich-
keit nicht entsprach. Er dachte sich dasselbe als feinste parallele
Stränge, welche zu Bündeln vereinigt und netzförmig sich
kreuzend die Zellensubstanz durchziehen und von einer Zelle
zur andern sich fortsetzend den ganzen Körper als ein zu-
sammenhängendes Netz durchsetzen.

1) Siehe "Die Continuität des Keimplasma's". Jena 1885, p. 39
und folgende, p. 52 u. s. w.
2) Julius Wiesner "Die Elementarstructur und das Wachsthum
der lebenden Substanz". Wien 1892.

sagen von Thatsachen wir Nägeli auch verdanken, seine eigne
Vererbungstheorie hat sich heute schon als unhaltbar erwiesen.
Aus diesem Grunde und weil sie ohnehin Allen bekannt ist,
möchte ich sie hier nicht ausführlich besprechen und mich
lieber auf die Beurtheilung derselben beziehen, die ich vor
Jahren schon gegeben habe1), sowie auch auf die von Wiesner2)
vor Kurzem gegebene ausführliche Kritik. Wenn ich aber
auch nicht glaube, dass die Nägeli’sche Theorie auf dem Weg
zur richtigen Vererbungstheorie liegt, so enthält sie doch
jedenfalls einen wichtigen, und für die Weiterentwickelung
unserer Einsicht bedeutsamen Gedanken, den des Idioplasma’s.
Wie ich selbst schon eine besondere Vererbungssubstanz, das
Keimplasma angenommen hatte, von dessen Veränderungen die
Entwickelung abhängt, und von dessen Übertragung von einer
Generation auf die andere die Vererbung, so postulirte jetzt —
ganz unabhängig von mir — Nägeli eine besondere Ver-
erbungssubstanz, ein „Anlagenplasma“ oder „Idioplasma“, wel-
ches an Masse viel geringer sei, als die übrige lebende Substanz
des Körpers, das „Ernährungsplasma“, welches aber dieses in
seinem feinsten Bau bestimme. Die Richtigkeit dieses Gedankens
ist — soweit ich sehe — bisher von Niemanden bestritten
worden, wenn es sich auch bald zeigte, dass die Form, in
welcher sich Nägeli dieses Idioplasma vorstellte, der Wirklich-
keit nicht entsprach. Er dachte sich dasselbe als feinste parallele
Stränge, welche zu Bündeln vereinigt und netzförmig sich
kreuzend die Zellensubstanz durchziehen und von einer Zelle
zur andern sich fortsetzend den ganzen Körper als ein zu-
sammenhängendes Netz durchsetzen.

1) Siehe „Die Continuität des Keimplasma’s“. Jena 1885, p. 39
und folgende, p. 52 u. s. w.
2) Julius Wiesner „Die Elementarstructur und das Wachsthum
der lebenden Substanz“. Wien 1892.
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[14/0038] sagen von Thatsachen wir Nägeli auch verdanken, seine eigne Vererbungstheorie hat sich heute schon als unhaltbar erwiesen. Aus diesem Grunde und weil sie ohnehin Allen bekannt ist, möchte ich sie hier nicht ausführlich besprechen und mich lieber auf die Beurtheilung derselben beziehen, die ich vor Jahren schon gegeben habe 1), sowie auch auf die von Wiesner 2) vor Kurzem gegebene ausführliche Kritik. Wenn ich aber auch nicht glaube, dass die Nägeli’sche Theorie auf dem Weg zur richtigen Vererbungstheorie liegt, so enthält sie doch jedenfalls einen wichtigen, und für die Weiterentwickelung unserer Einsicht bedeutsamen Gedanken, den des Idioplasma’s. Wie ich selbst schon eine besondere Vererbungssubstanz, das Keimplasma angenommen hatte, von dessen Veränderungen die Entwickelung abhängt, und von dessen Übertragung von einer Generation auf die andere die Vererbung, so postulirte jetzt — ganz unabhängig von mir — Nägeli eine besondere Ver- erbungssubstanz, ein „Anlagenplasma“ oder „Idioplasma“, wel- ches an Masse viel geringer sei, als die übrige lebende Substanz des Körpers, das „Ernährungsplasma“, welches aber dieses in seinem feinsten Bau bestimme. Die Richtigkeit dieses Gedankens ist — soweit ich sehe — bisher von Niemanden bestritten worden, wenn es sich auch bald zeigte, dass die Form, in welcher sich Nägeli dieses Idioplasma vorstellte, der Wirklich- keit nicht entsprach. Er dachte sich dasselbe als feinste parallele Stränge, welche zu Bündeln vereinigt und netzförmig sich kreuzend die Zellensubstanz durchziehen und von einer Zelle zur andern sich fortsetzend den ganzen Körper als ein zu- sammenhängendes Netz durchsetzen. 1) Siehe „Die Continuität des Keimplasma’s“. Jena 1885, p. 39 und folgende, p. 52 u. s. w. 2) Julius Wiesner „Die Elementarstructur und das Wachsthum der lebenden Substanz“. Wien 1892.

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/38>, abgerufen am 24.11.2024.