so tief in die verschiedenen Gruppen des Pflanzenreiches ein- zudringen, als ich es thun zu können wünschen möchte.
Die Frage, welche zu entscheiden wäre, ist also die, ob von jeher jede Pflanzenzelle mit allen Anlagen der Art, wenn auch in latentem Zustande ausgerüstet war, als sich die vielzellige Pflanze aus der einzelligen entwickelte, oder ob zuerst eine scharfe Trennung zwischen Somazellen und Keimzellen eintrat, beruhend auf verschiedener Differenzirung des Idioplasma's, und ob erst nachträglich und nur dort, wo es von Nutzen war, dem Idioplasma der Somazellen Keimplasma in latentem Zustande beigegeben wurde. Ich bin dieser letzteren Meinung, de Vries vertritt die erstere. Für die Theorie vom Keimplasma ist die Entscheidung wichtig, weil es unvereinbar mit ihr wäre, wenn schon bei der phyletischen Entstehung des Soma die Soma- zellen Keimsubstanz als Idioplasma enthalten hätten. Nach meiner Vorstellung vom Keimplasma beruht ja die phyletische Entstehung der Somazellen gerade auf einer gruppenweisen Scheidung der im Keimplasma enthaltenen Determinanten. Es würde ihr durchaus widersprechen, wenn schon die ersten phy- letisch entstandenen Somazellen ausser ihren manifesten speci- fischen Eigenschaften auch noch die übrigen der Art zukommen- den Eigenschaften in latentem Zustande enthalten hätten. De Vries meint, der scharfe Unterschied, welcher bei den höheren Thieren wirklich besteht zwischen Körper- und Keimzellen, habe mich verleitet, einen solchen Gegensatz überall anzunehmen, während doch bei den Pflanzen derselbe lange nicht so aus- gebildet sei, und sich graduelle Übergänge von Körper- zu Keimzellen nachweisen liessen.
Ich glaube, dass dies ein Irrthum ist; Ubergänge zwischen Soma- und Keimzellen giebt es nirgends, und die Ansicht von de Vries beruht einfach darauf, dass er Keimzellen mit Keim- bahnzellen verwechselt. Dass letztere aber als somatische Zellen zu betrachten sind, ist oben nachgewiesen worden.
so tief in die verschiedenen Gruppen des Pflanzenreiches ein- zudringen, als ich es thun zu können wünschen möchte.
Die Frage, welche zu entscheiden wäre, ist also die, ob von jeher jede Pflanzenzelle mit allen Anlagen der Art, wenn auch in latentem Zustande ausgerüstet war, als sich die vielzellige Pflanze aus der einzelligen entwickelte, oder ob zuerst eine scharfe Trennung zwischen Somazellen und Keimzellen eintrat, beruhend auf verschiedener Differenzirung des Idioplasma’s, und ob erst nachträglich und nur dort, wo es von Nutzen war, dem Idioplasma der Somazellen Keimplasma in latentem Zustande beigegeben wurde. Ich bin dieser letzteren Meinung, de Vries vertritt die erstere. Für die Theorie vom Keimplasma ist die Entscheidung wichtig, weil es unvereinbar mit ihr wäre, wenn schon bei der phyletischen Entstehung des Soma die Soma- zellen Keimsubstanz als Idioplasma enthalten hätten. Nach meiner Vorstellung vom Keimplasma beruht ja die phyletische Entstehung der Somazellen gerade auf einer gruppenweisen Scheidung der im Keimplasma enthaltenen Determinanten. Es würde ihr durchaus widersprechen, wenn schon die ersten phy- letisch entstandenen Somazellen ausser ihren manifesten speci- fischen Eigenschaften auch noch die übrigen der Art zukommen- den Eigenschaften in latentem Zustande enthalten hätten. De Vries meint, der scharfe Unterschied, welcher bei den höheren Thieren wirklich besteht zwischen Körper- und Keimzellen, habe mich verleitet, einen solchen Gegensatz überall anzunehmen, während doch bei den Pflanzen derselbe lange nicht so aus- gebildet sei, und sich graduelle Übergänge von Körper- zu Keimzellen nachweisen liessen.
Ich glaube, dass dies ein Irrthum ist; Ubergänge zwischen Soma- und Keimzellen giebt es nirgends, und die Ansicht von de Vries beruht einfach darauf, dass er Keimzellen mit Keim- bahnzellen verwechselt. Dass letztere aber als somatische Zellen zu betrachten sind, ist oben nachgewiesen worden.
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so tief in die verschiedenen Gruppen des Pflanzenreiches ein-
zudringen, als ich es thun zu können wünschen möchte.
Die Frage, welche zu entscheiden wäre, ist also die, ob von
jeher jede Pflanzenzelle mit allen Anlagen der Art, wenn auch
in latentem Zustande ausgerüstet war, als sich die vielzellige
Pflanze aus der einzelligen entwickelte, oder ob zuerst eine
scharfe Trennung zwischen Somazellen und Keimzellen eintrat,
beruhend auf verschiedener Differenzirung des Idioplasma’s, und
ob erst nachträglich und nur dort, wo es von Nutzen war, dem
Idioplasma der Somazellen Keimplasma in latentem Zustande
beigegeben wurde. Ich bin dieser letzteren Meinung, de Vries
vertritt die erstere. Für die Theorie vom Keimplasma ist die
Entscheidung wichtig, weil es unvereinbar mit ihr wäre, wenn
schon bei der phyletischen Entstehung des Soma die Soma-
zellen Keimsubstanz als Idioplasma enthalten hätten. Nach
meiner Vorstellung vom Keimplasma beruht ja die phyletische
Entstehung der Somazellen gerade auf einer gruppenweisen
Scheidung der im Keimplasma enthaltenen Determinanten. Es
würde ihr durchaus widersprechen, wenn schon die ersten phy-
letisch entstandenen Somazellen ausser ihren manifesten speci-
fischen Eigenschaften auch noch die übrigen der Art zukommen-
den Eigenschaften in latentem Zustande enthalten hätten. De
Vries meint, der scharfe Unterschied, welcher bei den höheren
Thieren wirklich besteht zwischen Körper- und Keimzellen, habe
mich verleitet, einen solchen Gegensatz überall anzunehmen,
während doch bei den Pflanzen derselbe lange nicht so aus-
gebildet sei, und sich graduelle Übergänge von Körper- zu
Keimzellen nachweisen liessen.
Ich glaube, dass dies ein Irrthum ist; Ubergänge zwischen
Soma- und Keimzellen giebt es nirgends, und die Ansicht von
de Vries beruht einfach darauf, dass er Keimzellen mit Keim-
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/304>, abgerufen am 22.11.2024.
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