Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

cipien der Biologie" ist und deshalb eine ins Einzelne gehende
Durcharbeitung der Vererbungs-Erscheinungen nicht enthalten
kann, so lässt sich doch seine Meinung darüber klar erkennen.

Einmal setzt sich der ganze Organismus aus diesen Ein-
heiten zusammen, die alle untereinander gleich sind, dann aber
enthalten auch die Keimzellen "kleine Gruppen" derselben. Das
Erstere befähigt jeden hinreichend grossen Theil des Körpers zur
Regeneration, das Letztere giebt der Keimzelle die Kraft, das
Ganze aus sich hervorzubringen, Beides dadurch, dass die "Ein-
heiten" mittelst ihrer "Polarität" bestrebt sind, sich so anzu-
ordnen, dass dadurch der ganze Krystall -- der Organismus --
entweder blos wieder hergestellt, oder neu gebildet wird. Die
blosse verschiedene Anordnung der in ihrem Wesen gleichen
Einheiten also bedingt die Verschiedenheit der Körpertheile,
die Verschiedenheit der Arten aber und auch die der In-
dividuen
wird auf eine Verschiedenheit in der Zusammen-
setzung der "Einheiten" bezogen.

Die Einheiten des Individuums sind also gewissermassen
in physiologischem Sinne proteusartig; sie können sich in un-
endlich vielfältiger Weise zusammenordnen und bilden so die
verschiedenartigsten Zellen, Gewebe, Organe und Körpertheile;
sie thun dies aber immer nur unter dem dirigirenden Einfluss
des Ganzen, so zwar, dass das Ganze den Einheiten eines Theiles
die Nothwendigkeit aufzwingt, sich gerade so anzuordnen, wie
es zum Zustandekommen des für die Harmonie des Ganzen noch
erforderlichen Theiles nöthig ist. Spencer sagt darüber: "es
scheint zunächst schwierig, sich vorzustellen, dass sich dies
so verhalten könne; allein wir sehen, dass es so ist. Gruppen
von Einheiten, die wir aus einem Organismus herausnehmen,
besitzen in der That dieses Vermögen, das Ganze von Neuem
aufzubauen, und wir sind somit genöthigt, anzuerkennen, dass
allen Theilen des Organismus das Streben innewohne, die

cipien der Biologie“ ist und deshalb eine ins Einzelne gehende
Durcharbeitung der Vererbungs-Erscheinungen nicht enthalten
kann, so lässt sich doch seine Meinung darüber klar erkennen.

Einmal setzt sich der ganze Organismus aus diesen Ein-
heiten zusammen, die alle untereinander gleich sind, dann aber
enthalten auch die Keimzellen „kleine Gruppen“ derselben. Das
Erstere befähigt jeden hinreichend grossen Theil des Körpers zur
Regeneration, das Letztere giebt der Keimzelle die Kraft, das
Ganze aus sich hervorzubringen, Beides dadurch, dass die „Ein-
heiten“ mittelst ihrer „Polarität“ bestrebt sind, sich so anzu-
ordnen, dass dadurch der ganze Krystall — der Organismus —
entweder blos wieder hergestellt, oder neu gebildet wird. Die
blosse verschiedene Anordnung der in ihrem Wesen gleichen
Einheiten also bedingt die Verschiedenheit der Körpertheile,
die Verschiedenheit der Arten aber und auch die der In-
dividuen
wird auf eine Verschiedenheit in der Zusammen-
setzung der „Einheiten“ bezogen.

Die Einheiten des Individuums sind also gewissermassen
in physiologischem Sinne proteusartig; sie können sich in un-
endlich vielfältiger Weise zusammenordnen und bilden so die
verschiedenartigsten Zellen, Gewebe, Organe und Körpertheile;
sie thun dies aber immer nur unter dem dirigirenden Einfluss
des Ganzen, so zwar, dass das Ganze den Einheiten eines Theiles
die Nothwendigkeit aufzwingt, sich gerade so anzuordnen, wie
es zum Zustandekommen des für die Harmonie des Ganzen noch
erforderlichen Theiles nöthig ist. Spencer sagt darüber: „es
scheint zunächst schwierig, sich vorzustellen, dass sich dies
so verhalten könne; allein wir sehen, dass es so ist. Gruppen
von Einheiten, die wir aus einem Organismus herausnehmen,
besitzen in der That dieses Vermögen, das Ganze von Neuem
aufzubauen, und wir sind somit genöthigt, anzuerkennen, dass
allen Theilen des Organismus das Streben innewohne, die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0026" n="2"/>
cipien der Biologie&#x201C; ist und deshalb eine ins Einzelne gehende<lb/>
Durcharbeitung der Vererbungs-Erscheinungen nicht enthalten<lb/>
kann, so lässt sich doch seine Meinung darüber klar erkennen.</p><lb/>
          <p>Einmal setzt sich der ganze Organismus aus diesen Ein-<lb/>
heiten zusammen, die alle untereinander gleich sind, dann aber<lb/>
enthalten auch die Keimzellen &#x201E;kleine Gruppen&#x201C; derselben. Das<lb/>
Erstere befähigt jeden hinreichend grossen Theil des Körpers zur<lb/>
Regeneration, das Letztere giebt der Keimzelle die Kraft, das<lb/>
Ganze aus sich hervorzubringen, Beides dadurch, dass die &#x201E;Ein-<lb/>
heiten&#x201C; mittelst ihrer &#x201E;Polarität&#x201C; bestrebt sind, sich so anzu-<lb/>
ordnen, dass dadurch der ganze Krystall &#x2014; der Organismus &#x2014;<lb/>
entweder blos wieder hergestellt, oder neu gebildet wird. Die<lb/>
blosse <hi rendition="#g">verschiedene Anordnung</hi> der in ihrem Wesen gleichen<lb/>
Einheiten also bedingt die Verschiedenheit der <hi rendition="#g">Körpertheile</hi>,<lb/>
die Verschiedenheit der <hi rendition="#g">Arten</hi> aber und auch die der <hi rendition="#g">In-<lb/>
dividuen</hi> wird auf eine Verschiedenheit in der Zusammen-<lb/>
setzung der &#x201E;Einheiten&#x201C; bezogen.</p><lb/>
          <p>Die Einheiten des Individuums sind also gewissermassen<lb/>
in physiologischem Sinne proteusartig; sie können sich in un-<lb/>
endlich vielfältiger Weise zusammenordnen und bilden so die<lb/>
verschiedenartigsten Zellen, Gewebe, Organe und Körpertheile;<lb/>
sie thun dies aber immer nur unter dem dirigirenden Einfluss<lb/>
des Ganzen, so zwar, dass das Ganze den Einheiten eines Theiles<lb/>
die Nothwendigkeit aufzwingt, sich gerade so anzuordnen, wie<lb/>
es zum Zustandekommen des für die Harmonie des Ganzen noch<lb/>
erforderlichen Theiles nöthig ist. <hi rendition="#g">Spencer</hi> sagt darüber: &#x201E;es<lb/>
scheint zunächst schwierig, sich vorzustellen, dass sich dies<lb/>
so verhalten könne; allein wir sehen, dass es so <hi rendition="#g">ist</hi>. Gruppen<lb/>
von Einheiten, die wir aus einem Organismus herausnehmen,<lb/>
besitzen in der That dieses Vermögen, das Ganze von Neuem<lb/>
aufzubauen, und wir sind somit genöthigt, anzuerkennen, dass<lb/>
allen Theilen des Organismus das Streben innewohne, die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[2/0026] cipien der Biologie“ ist und deshalb eine ins Einzelne gehende Durcharbeitung der Vererbungs-Erscheinungen nicht enthalten kann, so lässt sich doch seine Meinung darüber klar erkennen. Einmal setzt sich der ganze Organismus aus diesen Ein- heiten zusammen, die alle untereinander gleich sind, dann aber enthalten auch die Keimzellen „kleine Gruppen“ derselben. Das Erstere befähigt jeden hinreichend grossen Theil des Körpers zur Regeneration, das Letztere giebt der Keimzelle die Kraft, das Ganze aus sich hervorzubringen, Beides dadurch, dass die „Ein- heiten“ mittelst ihrer „Polarität“ bestrebt sind, sich so anzu- ordnen, dass dadurch der ganze Krystall — der Organismus — entweder blos wieder hergestellt, oder neu gebildet wird. Die blosse verschiedene Anordnung der in ihrem Wesen gleichen Einheiten also bedingt die Verschiedenheit der Körpertheile, die Verschiedenheit der Arten aber und auch die der In- dividuen wird auf eine Verschiedenheit in der Zusammen- setzung der „Einheiten“ bezogen. Die Einheiten des Individuums sind also gewissermassen in physiologischem Sinne proteusartig; sie können sich in un- endlich vielfältiger Weise zusammenordnen und bilden so die verschiedenartigsten Zellen, Gewebe, Organe und Körpertheile; sie thun dies aber immer nur unter dem dirigirenden Einfluss des Ganzen, so zwar, dass das Ganze den Einheiten eines Theiles die Nothwendigkeit aufzwingt, sich gerade so anzuordnen, wie es zum Zustandekommen des für die Harmonie des Ganzen noch erforderlichen Theiles nöthig ist. Spencer sagt darüber: „es scheint zunächst schwierig, sich vorzustellen, dass sich dies so verhalten könne; allein wir sehen, dass es so ist. Gruppen von Einheiten, die wir aus einem Organismus herausnehmen, besitzen in der That dieses Vermögen, das Ganze von Neuem aufzubauen, und wir sind somit genöthigt, anzuerkennen, dass allen Theilen des Organismus das Streben innewohne, die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/26
Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/26>, abgerufen am 25.11.2024.