Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

Möglichkeiten schaaren. Nichtsdestoweniger aber kann Niemand
mehr empfinden, als ich selbst, wie sehr es nur ein erster
Versuch ist, dem bessere folgen müssen, und ich habe ihm
deshalb auch so wenig als möglich die Form eines Lehrgebäudes
gegeben, sondern mehr die einer Untersuchung; nicht Axiome
sollten verkündet, sondern Fragen sollten gestellt, und entweder
mehr oder weniger sicher beantwortet, oder auch der Zukunft
zur Lösung zugeschoben werden. Ich betrachte meine Theorie
nicht als ein Unveränderbares und Abgeschlossenes, sondern als
ein der Verbesserung sehr Bedürftiges und hoffentlich auch
Fähiges.

Es war mein Bestreben, einfach und verständlich zu
schreiben, nicht wie Einer, der nur für Fachmänner schreibt,
sondern wie Einer, der wünscht, seine Sache Allen nahe zu
legen, die sich für biologische Probleme interessiren, vor Allem
dem Mediciner und dem Philosophen. Aus diesem Grunde habe
ich auch eine Anzahl von Figuren beigegeben, von denen viele
dem Zoologen oder Botaniker überflüssig scheinen werden, die
aber dem ferner Stehenden eine deutlichere Vorstellung der
besprochenen Dinge vermitteln sollen.

Dass mir als Zoologen zunächst die Erscheinungen bei den
Thieren, einschliesslich des Menschen vor Augen schwebten,
war unvermeidlich; Jeder bildet seine Anschauungen nach dem
ihm geläufigsten Kreis von Thatsachen. Ich habe mich aber
bemüht, auch den Thatsachen gerecht zu werden, welche uns
die Pflanzen an die Hand geben, und den Ansichten der
Botaniker Rechnung zu tragen, soweit mir dies nur irgend
möglich war. Es wird sich zeigen, dass gerade gewisse Ver-
erbungs-Erscheinungen bei Pflanzen fundamentalen Annahmen
meiner Theorie sehr günstig sind, und dass auch scheinbar ihr
widerstreitende Thatsachen sich ihr einordnen lassen.

Manche werden vielleicht ein genaueres und vielseitigeres

Möglichkeiten schaaren. Nichtsdestoweniger aber kann Niemand
mehr empfinden, als ich selbst, wie sehr es nur ein erster
Versuch ist, dem bessere folgen müssen, und ich habe ihm
deshalb auch so wenig als möglich die Form eines Lehrgebäudes
gegeben, sondern mehr die einer Untersuchung; nicht Axiome
sollten verkündet, sondern Fragen sollten gestellt, und entweder
mehr oder weniger sicher beantwortet, oder auch der Zukunft
zur Lösung zugeschoben werden. Ich betrachte meine Theorie
nicht als ein Unveränderbares und Abgeschlossenes, sondern als
ein der Verbesserung sehr Bedürftiges und hoffentlich auch
Fähiges.

Es war mein Bestreben, einfach und verständlich zu
schreiben, nicht wie Einer, der nur für Fachmänner schreibt,
sondern wie Einer, der wünscht, seine Sache Allen nahe zu
legen, die sich für biologische Probleme interessiren, vor Allem
dem Mediciner und dem Philosophen. Aus diesem Grunde habe
ich auch eine Anzahl von Figuren beigegeben, von denen viele
dem Zoologen oder Botaniker überflüssig scheinen werden, die
aber dem ferner Stehenden eine deutlichere Vorstellung der
besprochenen Dinge vermitteln sollen.

Dass mir als Zoologen zunächst die Erscheinungen bei den
Thieren, einschliesslich des Menschen vor Augen schwebten,
war unvermeidlich; Jeder bildet seine Anschauungen nach dem
ihm geläufigsten Kreis von Thatsachen. Ich habe mich aber
bemüht, auch den Thatsachen gerecht zu werden, welche uns
die Pflanzen an die Hand geben, und den Ansichten der
Botaniker Rechnung zu tragen, soweit mir dies nur irgend
möglich war. Es wird sich zeigen, dass gerade gewisse Ver-
erbungs-Erscheinungen bei Pflanzen fundamentalen Annahmen
meiner Theorie sehr günstig sind, und dass auch scheinbar ihr
widerstreitende Thatsachen sich ihr einordnen lassen.

Manche werden vielleicht ein genaueres und vielseitigeres

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0022" n="XVI"/>
Möglichkeiten schaaren. Nichtsdestoweniger aber kann Niemand<lb/>
mehr empfinden, als ich selbst, wie sehr es nur ein erster<lb/>
Versuch ist, dem bessere folgen müssen, und ich habe ihm<lb/>
deshalb auch so wenig als möglich die Form eines Lehrgebäudes<lb/>
gegeben, sondern mehr die einer <hi rendition="#g">Untersuchung</hi>; nicht Axiome<lb/>
sollten verkündet, sondern Fragen sollten gestellt, und entweder<lb/>
mehr oder weniger sicher beantwortet, oder auch der Zukunft<lb/>
zur Lösung zugeschoben werden. Ich betrachte meine Theorie<lb/>
nicht als ein Unveränderbares und Abgeschlossenes, sondern als<lb/>
ein der Verbesserung sehr Bedürftiges und hoffentlich auch<lb/>
Fähiges.</p><lb/>
        <p>Es war mein Bestreben, einfach und verständlich zu<lb/>
schreiben, nicht wie Einer, der nur für Fachmänner schreibt,<lb/>
sondern wie Einer, der wünscht, seine Sache Allen nahe zu<lb/>
legen, die sich für biologische Probleme interessiren, vor Allem<lb/>
dem Mediciner und dem Philosophen. Aus diesem Grunde habe<lb/>
ich auch eine Anzahl von Figuren beigegeben, von denen viele<lb/>
dem Zoologen oder Botaniker überflüssig scheinen werden, die<lb/>
aber dem ferner Stehenden eine deutlichere Vorstellung der<lb/>
besprochenen Dinge vermitteln sollen.</p><lb/>
        <p>Dass mir als Zoologen zunächst die Erscheinungen bei den<lb/>
Thieren, einschliesslich des Menschen vor Augen schwebten,<lb/>
war unvermeidlich; Jeder bildet seine Anschauungen nach dem<lb/>
ihm geläufigsten Kreis von Thatsachen. Ich habe mich aber<lb/>
bemüht, auch den Thatsachen gerecht zu werden, welche uns<lb/>
die <hi rendition="#g">Pflanzen</hi> an die Hand geben, und den Ansichten der<lb/>
Botaniker Rechnung zu tragen, soweit mir dies nur irgend<lb/>
möglich war. Es wird sich zeigen, dass gerade gewisse Ver-<lb/>
erbungs-Erscheinungen bei Pflanzen fundamentalen Annahmen<lb/>
meiner Theorie sehr günstig sind, und dass auch scheinbar ihr<lb/>
widerstreitende Thatsachen sich ihr einordnen lassen.</p><lb/>
        <p>Manche werden vielleicht ein genaueres und vielseitigeres<lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[XVI/0022] Möglichkeiten schaaren. Nichtsdestoweniger aber kann Niemand mehr empfinden, als ich selbst, wie sehr es nur ein erster Versuch ist, dem bessere folgen müssen, und ich habe ihm deshalb auch so wenig als möglich die Form eines Lehrgebäudes gegeben, sondern mehr die einer Untersuchung; nicht Axiome sollten verkündet, sondern Fragen sollten gestellt, und entweder mehr oder weniger sicher beantwortet, oder auch der Zukunft zur Lösung zugeschoben werden. Ich betrachte meine Theorie nicht als ein Unveränderbares und Abgeschlossenes, sondern als ein der Verbesserung sehr Bedürftiges und hoffentlich auch Fähiges. Es war mein Bestreben, einfach und verständlich zu schreiben, nicht wie Einer, der nur für Fachmänner schreibt, sondern wie Einer, der wünscht, seine Sache Allen nahe zu legen, die sich für biologische Probleme interessiren, vor Allem dem Mediciner und dem Philosophen. Aus diesem Grunde habe ich auch eine Anzahl von Figuren beigegeben, von denen viele dem Zoologen oder Botaniker überflüssig scheinen werden, die aber dem ferner Stehenden eine deutlichere Vorstellung der besprochenen Dinge vermitteln sollen. Dass mir als Zoologen zunächst die Erscheinungen bei den Thieren, einschliesslich des Menschen vor Augen schwebten, war unvermeidlich; Jeder bildet seine Anschauungen nach dem ihm geläufigsten Kreis von Thatsachen. Ich habe mich aber bemüht, auch den Thatsachen gerecht zu werden, welche uns die Pflanzen an die Hand geben, und den Ansichten der Botaniker Rechnung zu tragen, soweit mir dies nur irgend möglich war. Es wird sich zeigen, dass gerade gewisse Ver- erbungs-Erscheinungen bei Pflanzen fundamentalen Annahmen meiner Theorie sehr günstig sind, und dass auch scheinbar ihr widerstreitende Thatsachen sich ihr einordnen lassen. Manche werden vielleicht ein genaueres und vielseitigeres

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/22
Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. XVI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/22>, abgerufen am 24.11.2024.