noch so starke Regenerationskraft besitzt, bei den höheren Wirbelthieren dieselbe ganz verloren hat; der Mechanismus wäre dort allzu verwickelt geworden.
Ein einfacherer Mechanismus, als der hier angenommene, lässt sich nur dann ausdenken, wenn man mit Herbert Spencer1) jeder der "Einheiten", welche den Körper zusammensetzen, das Vermögen zuspricht, sich je nach Bedürfniss zu jedem gerade nothwendigen Organ zusammenzuordnen. Man muss sich dann das ganze Thier als einen Krystall vorstellen, in dessen ein- zelnen Theilchen "das Vermögen schlummert, sich in die Form dieser Art umzugestalten, gerade wie in den Molekülen eines Salzes die innere Fähigkeit schlummert, nach einem bestimmten System zu krystallisiren". Der Unterschied zwischen den Krystall- theilchen und denen des Organismus ist nur immer der, dass die ersteren untereinander gleich sind und bleiben, dass die letzteren aber sich sehr verschiedenartig zusammenordnen müssen, um Regeneration zu ermöglichen, je nachdem ein ganzes Bein, oder ein ganzer Schwanz, oder Kiemen, oder aber blos eine Zehe, oder blos Vorderarm und Hand wieder ersetzt werden sollen. Wer zeigt den "Einheiten" an, was fehlt, und wie sie sich diesmal anzuordnen haben? Wir kommen auf diesem Wege zum Nisus formativus Blumenbach's zurück. In der That sagt auch Spencer selbst: "wenn wir bei dem Krystall annehmen, dass das Ganze über seine Theile eine gewisse Kraft ausübe, welche die neu integrirten Moleküle zwinge, eine be- stimmte Form anzunehmen, so müssen wir bei dem Organismus wohl eine analoge Kraft voraussetzen". Diese Kraft wäre eben der Spiritus rector oder Nisus formativus früherer Zeiten und enthielte keine Spur einer mechanischen Erklärung. Spencer fügt zwar noch hinzu, diese seine Annahme sei "nicht eine
1)Herbert Spencer, "Die Principien der Biologie", übersetzt von Vetter. Stuttgart 1876. I, p. 194 und 196.
noch so starke Regenerationskraft besitzt, bei den höheren Wirbelthieren dieselbe ganz verloren hat; der Mechanismus wäre dort allzu verwickelt geworden.
Ein einfacherer Mechanismus, als der hier angenommene, lässt sich nur dann ausdenken, wenn man mit Herbert Spencer1) jeder der „Einheiten“, welche den Körper zusammensetzen, das Vermögen zuspricht, sich je nach Bedürfniss zu jedem gerade nothwendigen Organ zusammenzuordnen. Man muss sich dann das ganze Thier als einen Krystall vorstellen, in dessen ein- zelnen Theilchen „das Vermögen schlummert, sich in die Form dieser Art umzugestalten, gerade wie in den Molekülen eines Salzes die innere Fähigkeit schlummert, nach einem bestimmten System zu krystallisiren“. Der Unterschied zwischen den Krystall- theilchen und denen des Organismus ist nur immer der, dass die ersteren untereinander gleich sind und bleiben, dass die letzteren aber sich sehr verschiedenartig zusammenordnen müssen, um Regeneration zu ermöglichen, je nachdem ein ganzes Bein, oder ein ganzer Schwanz, oder Kiemen, oder aber blos eine Zehe, oder blos Vorderarm und Hand wieder ersetzt werden sollen. Wer zeigt den „Einheiten“ an, was fehlt, und wie sie sich diesmal anzuordnen haben? Wir kommen auf diesem Wege zum Nisus formativus Blumenbach’s zurück. In der That sagt auch Spencer selbst: „wenn wir bei dem Krystall annehmen, dass das Ganze über seine Theile eine gewisse Kraft ausübe, welche die neu integrirten Moleküle zwinge, eine be- stimmte Form anzunehmen, so müssen wir bei dem Organismus wohl eine analoge Kraft voraussetzen“. Diese Kraft wäre eben der Spiritus rector oder Nisus formativus früherer Zeiten und enthielte keine Spur einer mechanischen Erklärung. Spencer fügt zwar noch hinzu, diese seine Annahme sei „nicht eine
1)Herbert Spencer, „Die Principien der Biologie“, übersetzt von Vetter. Stuttgart 1876. I, p. 194 und 196.
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noch so starke Regenerationskraft besitzt, bei den höheren
Wirbelthieren dieselbe ganz verloren hat; der Mechanismus wäre
dort allzu verwickelt geworden.
Ein einfacherer Mechanismus, als der hier angenommene,
lässt sich nur dann ausdenken, wenn man mit Herbert Spencer 1)
jeder der „Einheiten“, welche den Körper zusammensetzen, das
Vermögen zuspricht, sich je nach Bedürfniss zu jedem gerade
nothwendigen Organ zusammenzuordnen. Man muss sich dann
das ganze Thier als einen Krystall vorstellen, in dessen ein-
zelnen Theilchen „das Vermögen schlummert, sich in die Form
dieser Art umzugestalten, gerade wie in den Molekülen eines
Salzes die innere Fähigkeit schlummert, nach einem bestimmten
System zu krystallisiren“. Der Unterschied zwischen den Krystall-
theilchen und denen des Organismus ist nur immer der, dass
die ersteren untereinander gleich sind und bleiben, dass die
letzteren aber sich sehr verschiedenartig zusammenordnen müssen,
um Regeneration zu ermöglichen, je nachdem ein ganzes Bein,
oder ein ganzer Schwanz, oder Kiemen, oder aber blos eine
Zehe, oder blos Vorderarm und Hand wieder ersetzt werden
sollen. Wer zeigt den „Einheiten“ an, was fehlt, und wie sie
sich diesmal anzuordnen haben? Wir kommen auf diesem
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That sagt auch Spencer selbst: „wenn wir bei dem Krystall
annehmen, dass das Ganze über seine Theile eine gewisse Kraft
ausübe, welche die neu integrirten Moleküle zwinge, eine be-
stimmte Form anzunehmen, so müssen wir bei dem Organismus
wohl eine analoge Kraft voraussetzen“. Diese Kraft wäre eben
der Spiritus rector oder Nisus formativus früherer Zeiten und
enthielte keine Spur einer mechanischen Erklärung. Spencer
fügt zwar noch hinzu, diese seine Annahme sei „nicht eine
1) Herbert Spencer, „Die Principien der Biologie“, übersetzt
von Vetter. Stuttgart 1876. I, p. 194 und 196.
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/163>, abgerufen am 24.11.2024.
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