eine merkliche Abnahme des Organs eintritt. Wenn man die gänzlich funktionslosen, unter dem Federkleid versteckten Flügel- rudimente des australischen Kiwi-Kiwi (Apteryx) untersucht, so enthalten dieselben noch alle Knochen des ausgebildeten Vogelflügels, aber vielfach verkleinert. Dies wäre dahin zu verstehen, dass zuerst die ganze Determinanten-Gruppe des Flügels noch bestehen bleibt im Keim-Id, dass sie aber an Kraft abnimmt, d. h. dass ihre Elemente sich nicht mehr so stark ver- mehren und also nur kleinere Zellgruppen noch bestimmen können. Schreitet der Rückbildungsprocess weiter fort, so ver- kleinert sich das Organ nicht nur immer noch mehr, sondern nun schwinden auch in ungleichem Tempo die einzelnen Theile desselben, verlieren die charakteristische Form und werden zu fast unkenntlichen Rudimenten, wie dies z. B. bei den unter der Haut liegenden Rudimenten der hinteren Extremität bei den Walen in einzelnen Arten schon eingetreten ist, während bei anderen immer noch die Gestalt der einzelnen Knochenstücke einigermassen erhalten geblieben ist, und das Oberschenkelbein sich von den Unterschenkelknochen noch deutlich unterscheidet. Hier müssen also viele der früheren Determinanten ganz aus- gefallen sein aus dem Bau des Keim-Id's, die übriggebliebenen aber noch mehr als im Stadium des Apteryx-Flügels die "Kraft" der Vermehrung eingebüsst haben.
Wir wissen aber, dass selbst bei solchen Thieren, deren Extremitäten seit ganzen geologischen Perioden vollständig ver- loren gegangen sind, wie bei den meisten Schlangen, dennoch heute noch in frühen Stadien der Ontogenese die Anlagen der- selben, als sog. Muskelknospen auftreten, um bald wieder zu verschwinden 1), und dies dürfte idioplasmatisch so gedeutet
1) Vergleiche: J. van Bemmelen "Over den oorsprong von de vorste ledematen en de tongspieren bij Reptilen". Kon. Akademie d. Wetenschappen te Amsterdam, 30. Juni 1888.
eine merkliche Abnahme des Organs eintritt. Wenn man die gänzlich funktionslosen, unter dem Federkleid versteckten Flügel- rudimente des australischen Kiwi-Kiwi (Apteryx) untersucht, so enthalten dieselben noch alle Knochen des ausgebildeten Vogelflügels, aber vielfach verkleinert. Dies wäre dahin zu verstehen, dass zuerst die ganze Determinanten-Gruppe des Flügels noch bestehen bleibt im Keim-Id, dass sie aber an Kraft abnimmt, d. h. dass ihre Elemente sich nicht mehr so stark ver- mehren und also nur kleinere Zellgruppen noch bestimmen können. Schreitet der Rückbildungsprocess weiter fort, so ver- kleinert sich das Organ nicht nur immer noch mehr, sondern nun schwinden auch in ungleichem Tempo die einzelnen Theile desselben, verlieren die charakteristische Form und werden zu fast unkenntlichen Rudimenten, wie dies z. B. bei den unter der Haut liegenden Rudimenten der hinteren Extremität bei den Walen in einzelnen Arten schon eingetreten ist, während bei anderen immer noch die Gestalt der einzelnen Knochenstücke einigermassen erhalten geblieben ist, und das Oberschenkelbein sich von den Unterschenkelknochen noch deutlich unterscheidet. Hier müssen also viele der früheren Determinanten ganz aus- gefallen sein aus dem Bau des Keim-Id’s, die übriggebliebenen aber noch mehr als im Stadium des Apteryx-Flügels die „Kraft“ der Vermehrung eingebüsst haben.
Wir wissen aber, dass selbst bei solchen Thieren, deren Extremitäten seit ganzen geologischen Perioden vollständig ver- loren gegangen sind, wie bei den meisten Schlangen, dennoch heute noch in frühen Stadien der Ontogenese die Anlagen der- selben, als sog. Muskelknospen auftreten, um bald wieder zu verschwinden 1), und dies dürfte idioplasmatisch so gedeutet
1) Vergleiche: J. van Bemmelen „Over den oorsprong von de vorste ledematen en de tongspieren bij Reptilen“. Kon. Akademie d. Wetenschappen te Amsterdam, 30. Juni 1888.
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eine merkliche Abnahme des Organs eintritt. Wenn man die
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rudimente des australischen Kiwi-Kiwi (Apteryx) untersucht,
so enthalten dieselben noch alle Knochen des ausgebildeten
Vogelflügels, aber vielfach verkleinert. Dies wäre dahin zu
verstehen, dass zuerst die ganze Determinanten-Gruppe des
Flügels noch bestehen bleibt im Keim-Id, dass sie aber an Kraft
abnimmt, d. h. dass ihre Elemente sich nicht mehr so stark ver-
mehren und also nur kleinere Zellgruppen noch bestimmen
können. Schreitet der Rückbildungsprocess weiter fort, so ver-
kleinert sich das Organ nicht nur immer noch mehr, sondern
nun schwinden auch in ungleichem Tempo die einzelnen Theile
desselben, verlieren die charakteristische Form und werden zu
fast unkenntlichen Rudimenten, wie dies z. B. bei den unter
der Haut liegenden Rudimenten der hinteren Extremität bei
den Walen in einzelnen Arten schon eingetreten ist, während
bei anderen immer noch die Gestalt der einzelnen Knochenstücke
einigermassen erhalten geblieben ist, und das Oberschenkelbein
sich von den Unterschenkelknochen noch deutlich unterscheidet.
Hier müssen also viele der früheren Determinanten ganz aus-
gefallen sein aus dem Bau des Keim-Id’s, die übriggebliebenen
aber noch mehr als im Stadium des Apteryx-Flügels die „Kraft“
der Vermehrung eingebüsst haben.
Wir wissen aber, dass selbst bei solchen Thieren, deren
Extremitäten seit ganzen geologischen Perioden vollständig ver-
loren gegangen sind, wie bei den meisten Schlangen, dennoch
heute noch in frühen Stadien der Ontogenese die Anlagen der-
selben, als sog. Muskelknospen auftreten, um bald wieder zu
verschwinden 1), und dies dürfte idioplasmatisch so gedeutet
1) Vergleiche: J. van Bemmelen „Over den oorsprong von de
vorste ledematen en de tongspieren bij Reptilen“. Kon. Akademie d.
Wetenschappen te Amsterdam, 30. Juni 1888.
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/135>, abgerufen am 22.12.2024.
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