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Weise, Christian: Überflüßige Gedancken Der grünenden jugend. Leipzig, 1701.

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Fünfftes Gespräch.
chen fantasten in die sonne gehen. Also wenn das ge-
sichte bey den jungfern so schädlich ist/ wer heist die
junggesellen darnach sehn.
Gil. Das ansehn kömmt wohl ungefähr.
Ros. Jch weiß ein besser gleichnüß. Wenn ich in
meinem garten schöne äpffel hätte/ und einer sich des-
sentwegen zu tode grämen wolte/ daß er sie nicht genies-
sen könte; Jch hätte sie aber schon einem andern ver-
kaufft: Mein/ wer hätte schuld an dem tode?
Gil. Sie solte den garten so verwahren/ daß kein
ander könte hinein gucken.
Ros. Vielmehr solte der ander so klug seyn/ und
sich an dem jenigen nicht vergaffen/ das ihm verboten ist.
Mel. Was wollen sie sich zancken/ es sind alle beyde
schuld/ und keines kan recht davor. Die natur pflantzt
solche heimliche reitzungen in die gemüther/ daß sich
die jungfern gerne sehen lassen/ und die junggesellen
ihre augen gerne hinwenden/ wo man nun lust darzu
hat/ da läst man sich leicht fangen.
Fill. Es ist eine sache/ darüber jungfern und jung-
gesellen zu grübeln haben/ drum wollen wir sie ver-
schieben biß auf eine andere zusammenkunfft. Jtzt
möchte ich etwas zu singen haben.
Gil. Dein wille soll nicht geschehen. Hier habe ich
was zu lesen/ es schickt sich trefflich auf die vorige ma-
terie. An sich selbst ist es ein liebes-brieff.

MEin allerliebstes kind/ wofern sie ein belieben
An meinen schrifften hat/ so nehme sie den gruß
Den meine feder bringt/ und lese diß geschrieben/
Was ich auß blödigkeit annoch verschweigen muß.
Wir menschen haben doch kein fenster an dem hertzen/
Die lust/ die uns beschwert/ muß durch die worte gehn
Wer
B b 3
Fuͤnfftes Geſpraͤch.
chen fantaſten in die ſonne gehen. Alſo wenn das ge-
ſichte bey den jungfern ſo ſchaͤdlich iſt/ wer heiſt die
junggeſellen darnach ſehn.
Gil. Das anſehn koͤmmt wohl ungefaͤhr.
Roſ. Jch weiß ein beſſer gleichnuͤß. Wenn ich in
meinem garten ſchoͤne aͤpffel haͤtte/ und einer ſich deſ-
ſentwegẽ zu tode graͤmen wolte/ daß er ſie nicht genieſ-
ſen koͤnte; Jch haͤtte ſie aber ſchon einem andern ver-
kaufft: Mein/ wer haͤtte ſchuld an dem tode?
Gil. Sie ſolte den garten ſo verwahren/ daß kein
ander koͤnte hinein gucken.
Roſ. Vielmehr ſolte der ander ſo klug ſeyn/ und
ſich an dem jenigen nicht veꝛgaffen/ das ihm verbotẽ iſt.
Mel. Was wollen ſie ſich zancken/ es ſind alle beyde
ſchuld/ und keines kan recht davor. Die natur pflantzt
ſolche heimliche reitzungen in die gemuͤther/ daß ſich
die jungfern gerne ſehen laſſen/ und die junggeſellen
ihre augen gerne hinwenden/ wo man nun luſt darzu
hat/ da laͤſt man ſich leicht fangen.
Fill. Es iſt eine ſache/ daruͤber jungfern und jung-
geſellen zu gruͤbeln haben/ drum wollen wir ſie ver-
ſchieben biß auf eine andere zuſammenkunfft. Jtzt
moͤchte ich etwas zu ſingen haben.
Gil. Dein wille ſoll nicht geſchehen. Hier habe ich
was zu leſen/ es ſchickt ſich trefflich auf die vorige ma-
terie. An ſich ſelbſt iſt es ein liebes-brieff.

MEin allerliebſtes kind/ wofern ſie ein belieben
An meinen ſchrifften hat/ ſo nehme ſie den gruß
Den meine feder bringt/ und leſe diß geſchrieben/
Was ich auß bloͤdigkeit annoch verſchweigen muß.
Wir menſchen haben doch kein fenſter an dem hertzen/
Die luſt/ die uns beſchwert/ muß durch die worte gehn
Wer
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[389/0405] Fuͤnfftes Geſpraͤch. chen fantaſten in die ſonne gehen. Alſo wenn das ge- ſichte bey den jungfern ſo ſchaͤdlich iſt/ wer heiſt die junggeſellen darnach ſehn. Gil. Das anſehn koͤmmt wohl ungefaͤhr. Roſ. Jch weiß ein beſſer gleichnuͤß. Wenn ich in meinem garten ſchoͤne aͤpffel haͤtte/ und einer ſich deſ- ſentwegẽ zu tode graͤmen wolte/ daß er ſie nicht genieſ- ſen koͤnte; Jch haͤtte ſie aber ſchon einem andern ver- kaufft: Mein/ wer haͤtte ſchuld an dem tode? Gil. Sie ſolte den garten ſo verwahren/ daß kein ander koͤnte hinein gucken. Roſ. Vielmehr ſolte der ander ſo klug ſeyn/ und ſich an dem jenigen nicht veꝛgaffen/ das ihm verbotẽ iſt. Mel. Was wollen ſie ſich zancken/ es ſind alle beyde ſchuld/ und keines kan recht davor. Die natur pflantzt ſolche heimliche reitzungen in die gemuͤther/ daß ſich die jungfern gerne ſehen laſſen/ und die junggeſellen ihre augen gerne hinwenden/ wo man nun luſt darzu hat/ da laͤſt man ſich leicht fangen. Fill. Es iſt eine ſache/ daruͤber jungfern und jung- geſellen zu gruͤbeln haben/ drum wollen wir ſie ver- ſchieben biß auf eine andere zuſammenkunfft. Jtzt moͤchte ich etwas zu ſingen haben. Gil. Dein wille ſoll nicht geſchehen. Hier habe ich was zu leſen/ es ſchickt ſich trefflich auf die vorige ma- terie. An ſich ſelbſt iſt es ein liebes-brieff. MEin allerliebſtes kind/ wofern ſie ein belieben An meinen ſchrifften hat/ ſo nehme ſie den gruß Den meine feder bringt/ und leſe diß geſchrieben/ Was ich auß bloͤdigkeit annoch verſchweigen muß. Wir menſchen haben doch kein fenſter an dem hertzen/ Die luſt/ die uns beſchwert/ muß durch die worte gehn Wer B b 3

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Zitationshilfe: Weise, Christian: Überflüßige Gedancken Der grünenden jugend. Leipzig, 1701, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weise_jugend_1701/405>, abgerufen am 25.11.2024.