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Weigel, Erhard: Arithmetische Beschreibung der Moral-Weißheit von Personen und Sachen Worauf das gemeine Wesen bestehet. Jena, 1674.

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Das Neunzehende Capitel.
Von den Moralischen Kräfften/ und
zwar vom Vermögen.

§. 1.

DJe Potestät oder die Macht/ das Vermögen/ ist eine Mo-
ralische Qualität/ dadurch nicht so wohl der Mensch an et-
was folgerlich gebunden/ als vielmehr ihme etwas zu folgen/
und zu willen zu stehen/ verbunden ist. Nehmlich wie das Mittelpunct
der Erden nicht an die lastbaren Sachen gebunden/ sondern diese viel-
mehr durch unsichtbahre Dringungs-Bande/ dem Mittelpunct zu fol-
gen sich verbunden befinden. Dahero nicht allein alle lastbahre Sa-
chen immer hinein gegen das Centrum drücken/ daß wenns müglich wä-
re/ und sie von andern derzwischen-stehenden nicht auffgehalten wür-
den/ sie sich schnur stracks und je näher je geschwinder/ mit denselben ver-
einigen und abfinden würden; Sondern auch sie folgen überal mit
dahin/ wohin das Centrum sich begiebet und fortgehet/ nicht als ob etwa
solche mit Stricken vom Centro fortgezogen würden; Sondern/ weil sie
selbst einen innerlichen Trieb bey sich haben/ (impetus genannt) welcher
sie dahin treibet.

§. 2. Also bestehet die Moralische Macht an- und vor sich nicht
darinnen/ daß der Machthaber den an sich obligirten allezeit mit Ge-
walt selbst zuziehen hätte; sondern daß der Obligirte durch innerlichen
Trieb seiner dahin gegebenen parole, seines dahin gesetzten Trau- und
Glaubens/ von sich selbst dahin zudringen habe.

Weil aber auch allhier die Wiedersinnigkeit des Menschen der
Natur ihre Tugenden so genau nicht nachzuthun pfleget/ sondern ver-
gist offt des innerlichen Triebs/ und stehet still/ oder gehet zu rücke; So
hat man sich im gemeinen Wesen auch eines Zwang-Mittels hierzu
bedienen müssen/ wie folget:

§. 3. Nehmlich/ wiewohl die Planeten am Himmel ihre Epi-
cyclische Wendungen und gerade Folgungen in bloßer subtilen Him-
mels-Lufft gantz frey verrichten; Weil man aber zumahl bey Anfang

sich
Das Neunzehende Capitel.
Von den Moraliſchen Kraͤfften/ und
zwar vom Vermoͤgen.

§. 1.

DJe Poteſtt oder die Macht/ das Vermoͤgen/ iſt eine Mo-
raliſche Qualitaͤt/ dadurch nicht ſo wohl der Menſch an et-
was folgerlich gebunden/ als vielmehr ihme etwas zu folgen/
und zu willen zu ſtehen/ verbunden iſt. Nehmlich wie das Mittelpunct
der Erden nicht an die laſtbaren Sachen gebunden/ ſondern dieſe viel-
mehr durch unſichtbahre Dringungs-Bande/ dem Mittelpunct zu fol-
gen ſich verbunden befinden. Dahero nicht allein alle laſtbahre Sa-
chen im̃er hinein gegen das Centrum druͤcken/ daß weñs muͤglich waͤ-
re/ und ſie von andern derzwiſchen-ſtehenden nicht auffgehalten wuͤr-
den/ ſie ſich ſchnur ſtracks und je naͤher je geſchwinder/ mit denſelbẽ ver-
einigen und abfinden wuͤrden; Sondern auch ſie folgen uͤberal mit
dahin/ wohin das Centrum ſich begiebet und fortgehet/ nicht als ob etwa
ſolche mit Stricken vom Centro fortgezogen wuͤrden; Sondern/ weil ſie
ſelbſt einen innerlichen Trieb bey ſich haben/ (impetus genañt) welcher
ſie dahin treibet.

§. 2. Alſo beſtehet die Moraliſche Macht an- und vor ſich nicht
darinnen/ daß der Machthaber den an ſich obligirten allezeit mit Ge-
walt ſelbſt zuziehen haͤtte; ſondern daß der Obligirte durch innerlichen
Trieb ſeiner dahin gegebenen parole, ſeines dahin geſetzten Trau- und
Glaubens/ von ſich ſelbſt dahin zudringen habe.

Weil aber auch allhier die Wiederſinnigkeit des Menſchen der
Natur ihre Tugenden ſo genau nicht nachzuthun pfleget/ ſondern ver-
giſt offt des innerlichen Triebs/ und ſtehet ſtill/ oder gehet zu ruͤcke; So
hat man ſich im gemeinen Weſen auch eines Zwang-Mittels hierzu
bedienen muͤſſen/ wie folget:

§. 3. Nehmlich/ wiewohl die Planeten am Himmel ihre Epi-
cycliſche Wendungen und gerade Folgungen in bloßer ſubtilen Him-
mels-Lufft gantz frey verrichten; Weil man aber zumahl bey Anfang

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[135/0145] Das Neunzehende Capitel. Von den Moraliſchen Kraͤfften/ und zwar vom Vermoͤgen. §. 1. DJe Poteſtaͤt oder die Macht/ das Vermoͤgen/ iſt eine Mo- raliſche Qualitaͤt/ dadurch nicht ſo wohl der Menſch an et- was folgerlich gebunden/ als vielmehr ihme etwas zu folgen/ und zu willen zu ſtehen/ verbunden iſt. Nehmlich wie das Mittelpunct der Erden nicht an die laſtbaren Sachen gebunden/ ſondern dieſe viel- mehr durch unſichtbahre Dringungs-Bande/ dem Mittelpunct zu fol- gen ſich verbunden befinden. Dahero nicht allein alle laſtbahre Sa- chen im̃er hinein gegen das Centrum druͤcken/ daß weñs muͤglich waͤ- re/ und ſie von andern derzwiſchen-ſtehenden nicht auffgehalten wuͤr- den/ ſie ſich ſchnur ſtracks und je naͤher je geſchwinder/ mit denſelbẽ ver- einigen und abfinden wuͤrden; Sondern auch ſie folgen uͤberal mit dahin/ wohin das Centrum ſich begiebet und fortgehet/ nicht als ob etwa ſolche mit Stricken vom Centro fortgezogen wuͤrden; Sondern/ weil ſie ſelbſt einen innerlichen Trieb bey ſich haben/ (impetus genañt) welcher ſie dahin treibet. §. 2. Alſo beſtehet die Moraliſche Macht an- und vor ſich nicht darinnen/ daß der Machthaber den an ſich obligirten allezeit mit Ge- walt ſelbſt zuziehen haͤtte; ſondern daß der Obligirte durch innerlichen Trieb ſeiner dahin gegebenen parole, ſeines dahin geſetzten Trau- und Glaubens/ von ſich ſelbſt dahin zudringen habe. Weil aber auch allhier die Wiederſinnigkeit des Menſchen der Natur ihre Tugenden ſo genau nicht nachzuthun pfleget/ ſondern ver- giſt offt des innerlichen Triebs/ und ſtehet ſtill/ oder gehet zu ruͤcke; So hat man ſich im gemeinen Weſen auch eines Zwang-Mittels hierzu bedienen muͤſſen/ wie folget: §. 3. Nehmlich/ wiewohl die Planeten am Himmel ihre Epi- cycliſche Wendungen und gerade Folgungen in bloßer ſubtilen Him- mels-Lufft gantz frey verrichten; Weil man aber zumahl bey Anfang ſich

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Zitationshilfe: Weigel, Erhard: Arithmetische Beschreibung der Moral-Weißheit von Personen und Sachen Worauf das gemeine Wesen bestehet. Jena, 1674, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weigel_moralweissheit_1674/145>, abgerufen am 21.11.2024.