Weigel, Valentin: Gnothi seauton. Nosce teipsum. Erkenne dich selbst. Neustadt, 1615.Das Ander Büchlein. jahr jhrer Seligkeit/ dann wer nit eingehet durch die Thür der demü-tigen gelassenen Menscheit Christi/ der mag nimmer zu seiner Gott- heit gelangen: Das geschach einem Priester/ der wolte sich in keinem wege bekümmern mit der edlen Menschheit Christi/ vnd ward jhm bit- ter sein Leyden zubetrachten: Er wolte nur allein vmbgehen mit der ho- hen Gottheit/ die er doch nicht begreiffen möchte: Nun da er wehnete/ daß er gar sicher stunde/ da fiel er/ vnnd in dem Fall erkandte er sich zu grunde/ vnd fieng da an vnd sprach: Ach ewiger barmhertziger Gott/ ich erkenne nun leyder wol/ daß ich vnrecht gethan habe/ dann ich wolte nicht gehen durch die Menschheit/ Darumb so kondte vnnd vermochte ich nicht zukommen zu der höhe deiner Gottheit: Dann so ich meinen weg gerichtet hette durch dich zugehen/ in gantzer gelassenheit/ vnd ni- drigkeit/ vnd hette also nachgefolget dem lautern Bilde deines heiligen Lebens/ so were ich nicht also gefallen/ Darumb wer da kommen wil zu der hohen Gottheit in das Leben/ der muß durch die nidrige Mensch- heit Christi eingehen/ vnd mit jhm sterben. Das 18. Capittel. Daß der Baum deß Todes gevrsprunget sey auß dem Baum deß Lebens/ durch freyen willen/ vnd nicht möge widerumb kom- men in den Baum deß Lebens/ dann durch ersterben vnd erfaulen sein selbst. DIeses nachfolgende Capittel zuverstehen muß man achtung bleibet P
Das Ander Buͤchlein. jahr jhrer Seligkeit/ dann wer nit eingehet durch die Thuͤr der demuͤ-tigen gelaſſenen Menſcheit Chriſti/ der mag nimmer zu ſeiner Gott- heit gelangen: Das geſchach einem Prieſter/ der wolte ſich in keinem wege bekuͤmmern mit der edlen Menſchheit Chriſti/ vnd ward jhm bit- ter ſein Leyden zubetrachten: Er wolte nur allein vmbgehen mit der ho- hen Gottheit/ die er doch nicht begreiffen moͤchte: Nun da er wehnete/ daß er gar ſicher ſtunde/ da fiel er/ vnnd in dem Fall erkandte er ſich zu grunde/ vnd fieng da an vnd ſprach: Ach ewiger barmhertziger Gott/ ich erkenne nun leyder wol/ daß ich vnrecht gethan habe/ dann ich wolte nicht gehen durch die Menſchheit/ Darumb ſo kondte vnnd vermochte ich nicht zukommen zu der hoͤhe deiner Gottheit: Dann ſo ich meinen weg gerichtet hette durch dich zugehen/ in gantzer gelaſſenheit/ vnd ni- drigkeit/ vnd hette alſo nachgefolget dem lautern Bilde deines heiligen Lebens/ ſo were ich nicht alſo gefallen/ Darumb wer da kommen wil zu der hohen Gottheit in das Leben/ der muß durch die nidrige Menſch- heit Chriſti eingehen/ vnd mit jhm ſterben. Das 18. Capittel. Daß der Baum deß Todes gevrſprunget ſey auß dem Baum deß Lebens/ durch freyen willen/ vnd nicht moͤge widerumb kom- men in den Baum deß Lebens/ dann durch erſterben vnd erfaulen ſein ſelbſt. DIeſes nachfolgende Capittel zuverſtehen muß man achtung bleibet P
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Das Ander Buͤchlein.
jahr jhrer Seligkeit/ dann wer nit eingehet durch die Thuͤr der demuͤ-
tigen gelaſſenen Menſcheit Chriſti/ der mag nimmer zu ſeiner Gott-
heit gelangen: Das geſchach einem Prieſter/ der wolte ſich in keinem
wege bekuͤmmern mit der edlen Menſchheit Chriſti/ vnd ward jhm bit-
ter ſein Leyden zubetrachten: Er wolte nur allein vmbgehen mit der ho-
hen Gottheit/ die er doch nicht begreiffen moͤchte: Nun da er wehnete/
daß er gar ſicher ſtunde/ da fiel er/ vnnd in dem Fall erkandte er ſich zu
grunde/ vnd fieng da an vnd ſprach: Ach ewiger barmhertziger Gott/
ich erkenne nun leyder wol/ daß ich vnrecht gethan habe/ dann ich wolte
nicht gehen durch die Menſchheit/ Darumb ſo kondte vnnd vermochte
ich nicht zukommen zu der hoͤhe deiner Gottheit: Dann ſo ich meinen
weg gerichtet hette durch dich zugehen/ in gantzer gelaſſenheit/ vnd ni-
drigkeit/ vnd hette alſo nachgefolget dem lautern Bilde deines heiligen
Lebens/ ſo were ich nicht alſo gefallen/ Darumb wer da kommen wil zu
der hohen Gottheit in das Leben/ der muß durch die nidrige Menſch-
heit Chriſti eingehen/ vnd mit jhm ſterben.
Das 18. Capittel.
Daß der Baum deß Todes gevrſprunget ſey auß dem
Baum deß Lebens/ durch freyen willen/ vnd nicht moͤge widerumb kom-
men in den Baum deß Lebens/ dann durch erſterben
vnd erfaulen ſein ſelbſt.
DIeſes nachfolgende Capittel zuverſtehen muß man achtung
geben auff das principium vnd principatum, das iſt/ auff
den anfang oder vrſprung/ vnd auff das angefangene vnd ge-
vrſprungete/ was ſie vor eygenſchafft haben/ als Gott iſt ein vrſprung
vnd anfang aller dinge/ die Creatur iſt gevrſprunget vnd angefangen/
wil ſie zu Gott kommen/ vnnd ſeiner genieſſen/ ſo muß ſie an jhr ſelbſt
auffhoͤren zuſeyn. Das Gute iſt ein Brunn vnd Vrſprung deß Boͤ-
ſen/ denn es were kein boͤſes/ wo nicht das gute zuvor were/ Es were kein
Teuffel/ wenn nicht die guten Engel weren/ Es were kein jrꝛdiſcher A-
dam/ wann nicht der Himmeliſche zuvor were/ Es were auch kein An-
tichriſt/ wo nicht Chriſtus were. Der Vrſprung oder Principium
bleibet
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Zitationshilfe: | Weigel, Valentin: Gnothi seauton. Nosce teipsum. Erkenne dich selbst. Neustadt, 1615, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weigel_gnothi_1615/113>, abgerufen am 03.03.2025. |