Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969.pwe_076.001 Das sind soweit ausgezeichnete Ergebnisse: 1. eine Klärung der Terminologie, pwe_076.023 1 pwe_076.036 Schon Novalis hat gefragt: "Sind Epos, Lyra und Drama etwa nur die pwe_076.037 3 Elemente jedes Gedichts und nur das vorzüglich Epos, wo das Epos vorzüglich pwe_076.038 heraustritt, und so fort?" 2 pwe_076.039 Justus Schwarz, Der Lebenssinn der Dichtungsgattungen. DuV 42 (1942) pwe_076.040 93 ff. 3 pwe_076.041
Emil Staiger, Zum Problem der Poetik. Trivium VI (1948), 274 ff. pwe_076.001 Das sind soweit ausgezeichnete Ergebnisse: 1. eine Klärung der Terminologie, pwe_076.023 1 pwe_076.036 Schon Novalis hat gefragt: „Sind Epos, Lyra und Drama etwa nur die pwe_076.037 3 Elemente jedes Gedichts und nur das vorzüglich Epos, wo das Epos vorzüglich pwe_076.038 heraustritt, und so fort?“ 2 pwe_076.039 Justus Schwarz, Der Lebenssinn der Dichtungsgattungen. DuV 42 (1942) pwe_076.040 93 ff. 3 pwe_076.041
Emil Staiger, Zum Problem der Poetik. Trivium VI (1948), 274 ff. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0082" n="76"/><lb n="pwe_076.001"/> Spannung des Willens oder einer problematischen Spannung des entworfenen <lb n="pwe_076.002"/> Gedankens; und jeder dieser zwei dramatischen Typen kennt <lb n="pwe_076.003"/> eine tragische oder eine komische Lösung. Erinnerung, Vorstellung, Spannung <lb n="pwe_076.004"/> sind aber die literarische Form der drei Ekstasen der existenziellen <lb n="pwe_076.005"/> Zeit, als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Damit sind die Gattungsstile <lb n="pwe_076.006"/> auf ihren gemeinsamen Nenner gebracht; damit ist begründet, warum <lb n="pwe_076.007"/> nur diese und nicht andere oder weitere zu unterscheiden sind; und damit <lb n="pwe_076.008"/> ist schließlich auch erklärt, warum diese Typen niemals rein, sondern nur <lb n="pwe_076.009"/> vorwiegend erscheinen können: wie Silbe, Wort und Satz in der Sprache, <lb n="pwe_076.010"/> oder wie Seele, Leib und Geist beim Menschen nur ineinander da sind, so <lb n="pwe_076.011"/> tritt, in genauer Entsprechung, ein Stiltypus nur als besondere Akzentuierung <lb n="pwe_076.012"/> hervor<note xml:id="PWE_076_1" place="foot" n="1"><lb n="pwe_076.036"/> Schon Novalis hat gefragt: „Sind Epos, Lyra und Drama etwa nur die <lb n="pwe_076.037"/> 3 Elemente jedes Gedichts und nur das vorzüglich Epos, wo das Epos vorzüglich <lb n="pwe_076.038"/> heraustritt, und so fort?“</note>. Darum ist z. B. das Dramatische auch an einer Novelle <lb n="pwe_076.013"/> oder einem Epigramm zu demonstrieren und sind diese Formen poetisch legitim. <lb n="pwe_076.014"/> (Schon vor <hi rendition="#k">Staiger</hi> hat übrigens <hi rendition="#k">Justus Schwarz</hi><note xml:id="PWE_076_2" place="foot" n="2"><lb n="pwe_076.039"/> Justus Schwarz, <hi rendition="#i">Der Lebenssinn der Dichtungsgattungen.</hi> DuV 42 (1942) <lb n="pwe_076.040"/> 93 ff.</note> die Frage nach <lb n="pwe_076.015"/> dem „urphänomenalen“ Charakter der Gattungen gestellt und zum Ausgangspunkt <lb n="pwe_076.016"/> ihr Verhältnis zur „Zeitlichkeit unseres Daseins“ genommen. <lb n="pwe_076.017"/> Ohne Bezugnahme auf <hi rendition="#k">Heidegger</hi> kommt er zu teilweise andern Zuordnungen: <lb n="pwe_076.018"/> die Lyrik ist Gegenwart als die ursprunghafte Mitte, die sich nach <lb n="pwe_076.019"/> entgegengesetzten Seiten entfaltet, als Epik im Raum der Vergangenheit, <lb n="pwe_076.020"/> als Dramatik im Zeichen der Zukunft; auch hier sind die Gattungsprinzipien <lb n="pwe_076.021"/> als immer gleichzeitig wirksame „dynamische Momente“ aufgefaßt.)</p> <lb n="pwe_076.022"/> <p> Das sind soweit ausgezeichnete Ergebnisse: 1. eine Klärung der Terminologie, <lb n="pwe_076.023"/> die man ungestraft nicht mehr wird übersehen können, 2. die Begründung <lb n="pwe_076.024"/> einer philosophisch fundierten, dichtungseigenen und geschlossenen <lb n="pwe_076.025"/> Stiltypologie, die den Gesamtstil und nicht nur Einzelaspekte betrifft, und <lb n="pwe_076.026"/> 3. die Befreiung des Gattungsproblems vom Wertgesichtspunkt (vgl. unten). <lb n="pwe_076.027"/> Sind damit die Gattungen als Klassen, als „das“ Drama, „die“ Lyrik <lb n="pwe_076.028"/> usw. abgetan? Was bedeutet es, wenn wir doch in Wirklichkeit solche wie <lb n="pwe_076.029"/> es scheint nach einheitlichem Modell gebaute Gruppen von Werken antreffen? <lb n="pwe_076.030"/> Sind substantivische Gattungsbezeichnungen wesenlose Nomina? Ist es <lb n="pwe_076.031"/> belanglos, wenn z. B. der Typus Epik nur Homer, aber die gesamte herkömmlicherweise <lb n="pwe_076.032"/> auch zur Epik gerechnete abendländische Erzählung nur <lb n="pwe_076.033"/> teilweise deckt? Hier beschwert sich <hi rendition="#k">Staiger</hi><note xml:id="PWE_076_3" place="foot" n="3"><lb n="pwe_076.041"/> Emil Staiger, <hi rendition="#i">Zum Problem der Poetik.</hi> Trivium VI (1948), 274 ff.</note> über die „seltsamsten Mißverständnisse“, <lb n="pwe_076.034"/> die seinem Buch widerfahren seien. Er gibt zu, daß er sich <lb n="pwe_076.035"/> nicht getraue, jeden Zusammenhang zwischen dem Epischen und dem Epos, </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [76/0082]
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Spannung des Willens oder einer problematischen Spannung des entworfenen pwe_076.002
Gedankens; und jeder dieser zwei dramatischen Typen kennt pwe_076.003
eine tragische oder eine komische Lösung. Erinnerung, Vorstellung, Spannung pwe_076.004
sind aber die literarische Form der drei Ekstasen der existenziellen pwe_076.005
Zeit, als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Damit sind die Gattungsstile pwe_076.006
auf ihren gemeinsamen Nenner gebracht; damit ist begründet, warum pwe_076.007
nur diese und nicht andere oder weitere zu unterscheiden sind; und damit pwe_076.008
ist schließlich auch erklärt, warum diese Typen niemals rein, sondern nur pwe_076.009
vorwiegend erscheinen können: wie Silbe, Wort und Satz in der Sprache, pwe_076.010
oder wie Seele, Leib und Geist beim Menschen nur ineinander da sind, so pwe_076.011
tritt, in genauer Entsprechung, ein Stiltypus nur als besondere Akzentuierung pwe_076.012
hervor 1. Darum ist z. B. das Dramatische auch an einer Novelle pwe_076.013
oder einem Epigramm zu demonstrieren und sind diese Formen poetisch legitim. pwe_076.014
(Schon vor Staiger hat übrigens Justus Schwarz 2 die Frage nach pwe_076.015
dem „urphänomenalen“ Charakter der Gattungen gestellt und zum Ausgangspunkt pwe_076.016
ihr Verhältnis zur „Zeitlichkeit unseres Daseins“ genommen. pwe_076.017
Ohne Bezugnahme auf Heidegger kommt er zu teilweise andern Zuordnungen: pwe_076.018
die Lyrik ist Gegenwart als die ursprunghafte Mitte, die sich nach pwe_076.019
entgegengesetzten Seiten entfaltet, als Epik im Raum der Vergangenheit, pwe_076.020
als Dramatik im Zeichen der Zukunft; auch hier sind die Gattungsprinzipien pwe_076.021
als immer gleichzeitig wirksame „dynamische Momente“ aufgefaßt.)
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Das sind soweit ausgezeichnete Ergebnisse: 1. eine Klärung der Terminologie, pwe_076.023
die man ungestraft nicht mehr wird übersehen können, 2. die Begründung pwe_076.024
einer philosophisch fundierten, dichtungseigenen und geschlossenen pwe_076.025
Stiltypologie, die den Gesamtstil und nicht nur Einzelaspekte betrifft, und pwe_076.026
3. die Befreiung des Gattungsproblems vom Wertgesichtspunkt (vgl. unten). pwe_076.027
Sind damit die Gattungen als Klassen, als „das“ Drama, „die“ Lyrik pwe_076.028
usw. abgetan? Was bedeutet es, wenn wir doch in Wirklichkeit solche wie pwe_076.029
es scheint nach einheitlichem Modell gebaute Gruppen von Werken antreffen? pwe_076.030
Sind substantivische Gattungsbezeichnungen wesenlose Nomina? Ist es pwe_076.031
belanglos, wenn z. B. der Typus Epik nur Homer, aber die gesamte herkömmlicherweise pwe_076.032
auch zur Epik gerechnete abendländische Erzählung nur pwe_076.033
teilweise deckt? Hier beschwert sich Staiger 3 über die „seltsamsten Mißverständnisse“, pwe_076.034
die seinem Buch widerfahren seien. Er gibt zu, daß er sich pwe_076.035
nicht getraue, jeden Zusammenhang zwischen dem Epischen und dem Epos,
1 pwe_076.036
Schon Novalis hat gefragt: „Sind Epos, Lyra und Drama etwa nur die pwe_076.037
3 Elemente jedes Gedichts und nur das vorzüglich Epos, wo das Epos vorzüglich pwe_076.038
heraustritt, und so fort?“
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Emil Staiger, Zum Problem der Poetik. Trivium VI (1948), 274 ff.
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