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Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969.

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V. LITERARHISTORIE
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1. literarhistorie und poetik
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Die kennzeichnendste Wandlung in der Geschichte unserer Wissenschaft prägt pwe_132.004
sich schon terminologisch aus: sie hieß bis tief in unser Jahrhundert hinein pwe_132.005
und konventionellerweise oft noch heute Literatur geschichte, Literarhistorie pwe_132.006
- wogegen heute der Name Literaturwissenschaft als Oberbegriff pwe_132.007
gelten muß und die historische Erforschung als ein bloßer Sektor erscheint. pwe_132.008
Ja, die Literarhistorie hat sogar eigentlich um ihre Legitimität zu pwe_132.009
kämpfen, wenn sie, wie z. B. bei Mahrholz oder Kayser, der Literaturwissenschaft pwe_132.010
entgegengesetzt oder auf sekundäre Aufgaben beschränkt wurde.

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Die Überwindung einer nach naturwissenschaftlichem Vorbild kausal "erklärenden" pwe_132.012
Wissenschaft führte zunächst zur Retablierung der Geisteswissenschaften pwe_132.013
als Geistesgeschichte mit ihrem neoidealistischen Hintergrund. pwe_132.014
Die Überwindung des "Historismus" seit der George-Schule, seit Phänomenologie pwe_132.015
und Existenzphilosophie hat schließlich die historische Methode pwe_132.016
im Bereich der Dichtung selbst angegriffen. Literarhistorie war praktisch pwe_132.017
allzusehr zum Brauch und Mißbrauch geworden, das literarische Werk zum pwe_132.018
bloßen Beleg eines außerkünstlerischen Vorgangs oder Tatbestands zu degradieren: pwe_132.019
es wurde Indiz oder allenfalls Funktion eines seelischen, geistigen, pwe_132.020
gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Geschehens; und solange es vorwiegend pwe_132.021
als Ausdrucksphänomen und nicht als Werk begriffen wurde, war pwe_132.022
das ausgedrückte "Erlebnis" oder der geistesgeschichtliche "Inhalt", ja das pwe_132.023
"Problem" der wichtige Kern, dessen künstlerische Schale man gleichsam pwe_132.024
aufknackte, um sie selbst nicht weiter zu beachten. Das gilt selbst für die pwe_132.025
Praxis der geisteswissenschaftlichen Schule Diltheys bis zu einem gewissen pwe_132.026
Grade. Und auch wo man Literaturgeschichte an sich selbst treiben wollte, pwe_132.027
wo man die Werke als solche gelten ließ, trieb man Historie dadurch, daß pwe_132.028
man diese Werke chronologisch anreihte und durch eine fragwürdige Kausalbeziehung pwe_132.029
von literarischen "Einflüssen" und "Abhängigkeiten" miteinander pwe_132.030
verknüpfte; auch auf diesem Wege entging das Werk als solches dem pwe_132.031
Blick. Die landläufigen Literaturgeschichten wurden im übrigen nicht viel pwe_132.032
mehr als chronologische Aufzählungen, die man ebenso gut und übersichtlicher pwe_132.033
in lexikalischer Form hätte ordnen können. Die Bewegung der Literaturwissenschaft pwe_132.034
als Poetik wollte dagegen wieder das "selig in ihm selbst" pwe_132.035
ruhende Werk in seinem Wesen als Kunst begreifen. Diesem Willen liegt

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V. LITERARHISTORIE
pwe_132.002
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Die kennzeichnendste Wandlung in der Geschichte unserer Wissenschaft prägt pwe_132.004
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entgegengesetzt oder auf sekundäre Aufgaben beschränkt wurde.

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  Die Überwindung einer nach naturwissenschaftlichem Vorbild kausal „erklärenden“ pwe_132.012
Wissenschaft führte zunächst zur Retablierung der Geisteswissenschaften pwe_132.013
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Zitationshilfe: Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969, S. E132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wehrli_poetik_1951/138>, abgerufen am 26.11.2024.