Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969.pwe_129.001 pwe_129.023 Wir sind nun grundsätzlich auf anderem Boden, wo die soziale und ökonomische pwe_129.024 1 pwe_129.037 Henri Peyre, Writers and their Critics. A Study of Misunderstanding. Ithaca pwe_129.038 N. Y. 1944 (mit Bibliographie). 2 pwe_129.039
Sonja Marjasch, Der amerikanische Bestseller (Schweiz. Anglistische Arbeiten pwe_129.040 XVII, Bern 1946). pwe_129.001 pwe_129.023 Wir sind nun grundsätzlich auf anderem Boden, wo die soziale und ökonomische pwe_129.024 1 pwe_129.037 Henri Peyre, Writers and their Critics. A Study of Misunderstanding. Ithaca pwe_129.038 N. Y. 1944 (mit Bibliographie). 2 pwe_129.039
Sonja Marjasch, Der amerikanische Bestseller (Schweiz. Anglistische Arbeiten pwe_129.040 XVII, Bern 1946). <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0135" n="129"/><lb n="pwe_129.001"/> und Leser schaltet sich, oft in fragwürdiger Legitimation und in oft ebenso <lb n="pwe_129.002"/> fragwürdigem Zweifrontenkrieg, der <hi rendition="#g">Kritiker</hi> ein. Dessen Rolle während <lb n="pwe_129.003"/> der letzten 200 Jahre in Europa und Amerika ist von <hi rendition="#k">Henri Peyre</hi><note xml:id="PWE_129_1" place="foot" n="1"><lb n="pwe_129.037"/> Henri Peyre, <hi rendition="#i">Writers and their Critics. A Study of Misunderstanding.</hi> Ithaca <lb n="pwe_129.038"/> N. Y. 1944 (mit Bibliographie).</note> <lb n="pwe_129.004"/> in seinem sehr vielseitigen Buch dargestellt worden. <hi rendition="#i">A Study of Misunderstanding</hi> <lb n="pwe_129.005"/> konnte er es nennen; ein weniger optimistischer Autor hätte <lb n="pwe_129.006"/> es mit <hi rendition="#k">Muschg</hi> zur tragischen Literaturgeschichte gemacht. Das Urteil der <lb n="pwe_129.007"/> Gelehrten und der Dichter selbst erscheint dabei in keinem günstigeren <lb n="pwe_129.008"/> Licht als das der Tageskritiker. Wenn heute trotz ihren Fehlleistungen <lb n="pwe_129.009"/> die berufsmäßige Kritik eine notwendige Institution darstellt, so ist das ein <lb n="pwe_129.010"/> Symptom für die heute erweiterte Kluft zwischen Literatur und Leben; das <lb n="pwe_129.011"/> Publikum ist mangels unmittelbarer Teilhabe am literarischen Geschehen <lb n="pwe_129.012"/> gezwungen, sein Urteil an einen Spezialisten zu delegieren und so nur noch <lb n="pwe_129.013"/> aus zweiter Hand zu leben; umgekehrt ist dieser Kritiker selbst wieder <lb n="pwe_129.014"/> von seiner déformation professionnelle oder von den Einflüssen der ökonomischen <lb n="pwe_129.015"/> Organisation, in der er steht, bedroht. Zweitens, und teilweise im <lb n="pwe_129.016"/> Zusammenhang damit, ist der wirtschaftliche Faktor der Geschmacksbildung <lb n="pwe_129.017"/> und damit der Literaturproduktion selbst verstärkt worden in der <lb n="pwe_129.018"/> <hi rendition="#g">Buchindustrie</hi> des Bestsellers und dem unheilvollen Circulus vitiosus, <lb n="pwe_129.019"/> daß sie selbst auf Grund des Publikumsgeschmacks disponiert. Auch das <lb n="pwe_129.020"/> Phänomen des Bestseller, dessen Name natürlich jünger ist als die Sache <lb n="pwe_129.021"/> selbst, ist bereits zum Gegenstand wissenschaftlicher Ergründung geworden<note xml:id="PWE_129_2" place="foot" n="2"><lb n="pwe_129.039"/> Sonja Marjasch, <hi rendition="#i">Der amerikanische Bestseller</hi> (Schweiz. Anglistische Arbeiten <lb n="pwe_129.040"/> XVII, Bern 1946).</note>.</p> <lb n="pwe_129.022"/> <lb n="pwe_129.023"/> <p> Wir sind nun grundsätzlich auf anderem Boden, wo die soziale und ökonomische <lb n="pwe_129.024"/> Bedingtheit der Dichtung so ausschließlich gefaßt wird, daß diese <lb n="pwe_129.025"/> schlechthin zur Funktion – Organ oder Produkt – der wirtschaftlich-gesellschaftlichen <lb n="pwe_129.026"/> Gesetzmäßigkeiten wird, wobei dann gewöhnlich eine bestimmte <lb n="pwe_129.027"/> politische Doktrin diese Gesetzmäßigkeit in schlagwortartiger Vereinfachung <lb n="pwe_129.028"/> von vornherein festgelegt hat. Es ist das am deutlichsten der Fall <lb n="pwe_129.029"/> bei den Vertretern des historischen Materialismus nach Karl Marx: in <lb n="pwe_129.030"/> einer <hi rendition="#g">marxistischen Literaturbetrachtung</hi> findet die <lb n="pwe_129.031"/> soziologische Blickrichtung ihre grundsätzlichste Form, aber wohl auch bereits <lb n="pwe_129.032"/> ihre Entartung. Allerdings ist sie, zumal in der deutschen Forschung, <lb n="pwe_129.033"/> vor allem von freiwilligen oder unfreiwilligen Außenseitern vertreten. <lb n="pwe_129.034"/> Trotz einzelnen großen Begabungen besteht wohl das Urteil <hi rendition="#k">Hymans</hi> über <lb n="pwe_129.035"/> die bisherige marxistische Literaturkritik im ganzen zu Recht, „that so much <lb n="pwe_129.036"/> of it has been written in the last two decades and so little of it has come </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [129/0135]
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und Leser schaltet sich, oft in fragwürdiger Legitimation und in oft ebenso pwe_129.002
fragwürdigem Zweifrontenkrieg, der Kritiker ein. Dessen Rolle während pwe_129.003
der letzten 200 Jahre in Europa und Amerika ist von Henri Peyre 1 pwe_129.004
in seinem sehr vielseitigen Buch dargestellt worden. A Study of Misunderstanding pwe_129.005
konnte er es nennen; ein weniger optimistischer Autor hätte pwe_129.006
es mit Muschg zur tragischen Literaturgeschichte gemacht. Das Urteil der pwe_129.007
Gelehrten und der Dichter selbst erscheint dabei in keinem günstigeren pwe_129.008
Licht als das der Tageskritiker. Wenn heute trotz ihren Fehlleistungen pwe_129.009
die berufsmäßige Kritik eine notwendige Institution darstellt, so ist das ein pwe_129.010
Symptom für die heute erweiterte Kluft zwischen Literatur und Leben; das pwe_129.011
Publikum ist mangels unmittelbarer Teilhabe am literarischen Geschehen pwe_129.012
gezwungen, sein Urteil an einen Spezialisten zu delegieren und so nur noch pwe_129.013
aus zweiter Hand zu leben; umgekehrt ist dieser Kritiker selbst wieder pwe_129.014
von seiner déformation professionnelle oder von den Einflüssen der ökonomischen pwe_129.015
Organisation, in der er steht, bedroht. Zweitens, und teilweise im pwe_129.016
Zusammenhang damit, ist der wirtschaftliche Faktor der Geschmacksbildung pwe_129.017
und damit der Literaturproduktion selbst verstärkt worden in der pwe_129.018
Buchindustrie des Bestsellers und dem unheilvollen Circulus vitiosus, pwe_129.019
daß sie selbst auf Grund des Publikumsgeschmacks disponiert. Auch das pwe_129.020
Phänomen des Bestseller, dessen Name natürlich jünger ist als die Sache pwe_129.021
selbst, ist bereits zum Gegenstand wissenschaftlicher Ergründung geworden 2.
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Wir sind nun grundsätzlich auf anderem Boden, wo die soziale und ökonomische pwe_129.024
Bedingtheit der Dichtung so ausschließlich gefaßt wird, daß diese pwe_129.025
schlechthin zur Funktion – Organ oder Produkt – der wirtschaftlich-gesellschaftlichen pwe_129.026
Gesetzmäßigkeiten wird, wobei dann gewöhnlich eine bestimmte pwe_129.027
politische Doktrin diese Gesetzmäßigkeit in schlagwortartiger Vereinfachung pwe_129.028
von vornherein festgelegt hat. Es ist das am deutlichsten der Fall pwe_129.029
bei den Vertretern des historischen Materialismus nach Karl Marx: in pwe_129.030
einer marxistischen Literaturbetrachtung findet die pwe_129.031
soziologische Blickrichtung ihre grundsätzlichste Form, aber wohl auch bereits pwe_129.032
ihre Entartung. Allerdings ist sie, zumal in der deutschen Forschung, pwe_129.033
vor allem von freiwilligen oder unfreiwilligen Außenseitern vertreten. pwe_129.034
Trotz einzelnen großen Begabungen besteht wohl das Urteil Hymans über pwe_129.035
die bisherige marxistische Literaturkritik im ganzen zu Recht, „that so much pwe_129.036
of it has been written in the last two decades and so little of it has come
1 pwe_129.037
Henri Peyre, Writers and their Critics. A Study of Misunderstanding. Ithaca pwe_129.038
N. Y. 1944 (mit Bibliographie).
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XVII, Bern 1946).
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