Wehrli, Max: Allgemeine Literaturwissenschaft. Zweite, durchgesehen Auflage. Bern u. a., 1969.pwe_110.001 Gegen diese auch sonst (Wellek-Warren) hervorgehobenen Kriterien pwe_110.022 Dieser auf seinen stilkritischen Sinn reduzierte Gebrauch des Wertbegriffs pwe_110.035 1 pwe_110.040
Emil Staiger, Versuch über den Begriff des Schönen. Trivium III (1945) 185 ff. pwe_110.001 Gegen diese auch sonst (Wellek-Warren) hervorgehobenen Kriterien pwe_110.022 Dieser auf seinen stilkritischen Sinn reduzierte Gebrauch des Wertbegriffs pwe_110.035 1 pwe_110.040
Emil Staiger, Versuch über den Begriff des Schönen. Trivium III (1945) 185 ff. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0116" n="110"/><lb n="pwe_110.001"/> Stilaspekts zu werten: etwa den Hexameter oder das Epigramm oder die <lb n="pwe_110.002"/> Idee der Vergänglichkeit als wertvoll bzw. minderwertig zu bezeichnen. <lb n="pwe_110.003"/> Wertung kann im Bereich der Poetik – sofern Dichtung wirklich eine unreduzierbare <lb n="pwe_110.004"/> Erscheinung eigenen Rechts ist – sich nur auf eine poetische <lb n="pwe_110.005"/> Ganzheit beziehen und dann eben nur die „formale“ Feststellung bedeuten, <lb n="pwe_110.006"/> ob und in welchem Grade eine Dichtung poetische Ganzheit, d. h. Dichtung <lb n="pwe_110.007"/> ist. Es ist das Verdienst eines kleinen Aufsatzes von <hi rendition="#k">Emil Staiger</hi><note xml:id="PWE_110_1" place="foot" n="1"><lb n="pwe_110.040"/> Emil Staiger, <hi rendition="#i">Versuch über den Begriff des Schönen.</hi> Trivium III (1945) 185 ff.</note>, dies <lb n="pwe_110.008"/> mit wünschenswerter Klarheit betont zu haben. Poetisch „wertvoll“ ist <lb n="pwe_110.009"/> dann nichts anderes als „<hi rendition="#i">schön</hi>“ in einem allgemeinen, von jeder Regelpoetik <lb n="pwe_110.010"/> freien Sinn. „Schön aber muß nun ein Kunstwerk heißen, das <lb n="pwe_110.011"/> stilistisch <hi rendition="#i">einstimmig</hi> ist.“ „Die Einstimmigkeit wird nachgewiesen in kunstgerechter <lb n="pwe_110.012"/> Auslegung, die alles mit allem zusammenhält: den Vers, das <lb n="pwe_110.013"/> Motiv, die Komposition, die Idee ... den fundamentalen Rhythmus.“ Unvollkommen, <lb n="pwe_110.014"/> unschön wäre die Dichtung, die nicht durchstilisiert ist, die <lb n="pwe_110.015"/> Stilmischung ist. Die vollkommenen Stile verschiedener Werke, verschiedener <lb n="pwe_110.016"/> Epochen dagegen können streng genommen nicht wertmäßig unterschieden <lb n="pwe_110.017"/> werden oder höchstens nach dem Maß, in dem sie die <hi rendition="#g">Fülle</hi> des <lb n="pwe_110.018"/> Lebens erschließen (z. B. nennt <hi rendition="#k">Staiger</hi> Shakespeare „größer“ als Kleist). <lb n="pwe_110.019"/> Man kann auch sagen: Wertmaßstab ist die Ergiebigkeit der stilistischen <lb n="pwe_110.020"/> Interpretation.</p> <lb n="pwe_110.021"/> <p> Gegen diese auch sonst (<hi rendition="#k">Wellek-Warren</hi>) hervorgehobenen Kriterien <lb n="pwe_110.022"/> der Stimmigkeit und Dichte wäre vielleicht nur einzuwenden, daß sie so <lb n="pwe_110.023"/> allgemein sind, daß sie wenig mehr besagen. Eine dramatische Welt z. B. <lb n="pwe_110.024"/> muß gerade in ihrer dialektischen Widersprüchlichkeit und Unstimmigkeit <lb n="pwe_110.025"/> als in höherem Sinne stimmig begriffen werden können; auch <hi rendition="#k">Auerbach</hi> <lb n="pwe_110.026"/> spricht von Stilmischung, aber meint damit gerade eine hintergründigere, <lb n="pwe_110.027"/> gerade in ihrer unstimmigen Offenheit wertvollere Dichtung. Ob dabei <lb n="pwe_110.028"/> wirklich zwischen den Aspekten eine Stimmigkeit oder eine Spannung, ja <lb n="pwe_110.029"/> Widerspruch oder Beziehungslosigkeit herrscht, wird sehr schwer entscheidbar <lb n="pwe_110.030"/> und damit bewertbar sein. Und ebenso: was ist Fülle – wo es vielleicht <lb n="pwe_110.031"/> um Wahl, Entscheidung und Verzicht geht? Wenn Shakespeare <lb n="pwe_110.032"/> größer ist als Kleist, heißt das auch, daß er schöner sei, oder kommen hier <lb n="pwe_110.033"/> doch andere Kriterien ins Spiel?</p> <lb n="pwe_110.034"/> <p> Dieser auf seinen stilkritischen Sinn reduzierte Gebrauch des Wertbegriffs <lb n="pwe_110.035"/> ist immer wieder als ungenügend empfunden, als Relativismus, als <lb n="pwe_110.036"/> Haltung des l'art pour l'art bezeichnet worden. Überall dort, wo in der <lb n="pwe_110.037"/> Interpretation das Schema von Form und Inhalt, Symbol und Ausdruck in <lb n="pwe_110.038"/> irgendeiner Weise festgehalten wird, wird auch versucht, einer angeblich <lb n="pwe_110.039"/> formalistischen und ästhetizistischen Wertung entgegenzutreten und entsprechend </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [110/0116]
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Stilaspekts zu werten: etwa den Hexameter oder das Epigramm oder die pwe_110.002
Idee der Vergänglichkeit als wertvoll bzw. minderwertig zu bezeichnen. pwe_110.003
Wertung kann im Bereich der Poetik – sofern Dichtung wirklich eine unreduzierbare pwe_110.004
Erscheinung eigenen Rechts ist – sich nur auf eine poetische pwe_110.005
Ganzheit beziehen und dann eben nur die „formale“ Feststellung bedeuten, pwe_110.006
ob und in welchem Grade eine Dichtung poetische Ganzheit, d. h. Dichtung pwe_110.007
ist. Es ist das Verdienst eines kleinen Aufsatzes von Emil Staiger 1, dies pwe_110.008
mit wünschenswerter Klarheit betont zu haben. Poetisch „wertvoll“ ist pwe_110.009
dann nichts anderes als „schön“ in einem allgemeinen, von jeder Regelpoetik pwe_110.010
freien Sinn. „Schön aber muß nun ein Kunstwerk heißen, das pwe_110.011
stilistisch einstimmig ist.“ „Die Einstimmigkeit wird nachgewiesen in kunstgerechter pwe_110.012
Auslegung, die alles mit allem zusammenhält: den Vers, das pwe_110.013
Motiv, die Komposition, die Idee ... den fundamentalen Rhythmus.“ Unvollkommen, pwe_110.014
unschön wäre die Dichtung, die nicht durchstilisiert ist, die pwe_110.015
Stilmischung ist. Die vollkommenen Stile verschiedener Werke, verschiedener pwe_110.016
Epochen dagegen können streng genommen nicht wertmäßig unterschieden pwe_110.017
werden oder höchstens nach dem Maß, in dem sie die Fülle des pwe_110.018
Lebens erschließen (z. B. nennt Staiger Shakespeare „größer“ als Kleist). pwe_110.019
Man kann auch sagen: Wertmaßstab ist die Ergiebigkeit der stilistischen pwe_110.020
Interpretation.
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Gegen diese auch sonst (Wellek-Warren) hervorgehobenen Kriterien pwe_110.022
der Stimmigkeit und Dichte wäre vielleicht nur einzuwenden, daß sie so pwe_110.023
allgemein sind, daß sie wenig mehr besagen. Eine dramatische Welt z. B. pwe_110.024
muß gerade in ihrer dialektischen Widersprüchlichkeit und Unstimmigkeit pwe_110.025
als in höherem Sinne stimmig begriffen werden können; auch Auerbach pwe_110.026
spricht von Stilmischung, aber meint damit gerade eine hintergründigere, pwe_110.027
gerade in ihrer unstimmigen Offenheit wertvollere Dichtung. Ob dabei pwe_110.028
wirklich zwischen den Aspekten eine Stimmigkeit oder eine Spannung, ja pwe_110.029
Widerspruch oder Beziehungslosigkeit herrscht, wird sehr schwer entscheidbar pwe_110.030
und damit bewertbar sein. Und ebenso: was ist Fülle – wo es vielleicht pwe_110.031
um Wahl, Entscheidung und Verzicht geht? Wenn Shakespeare pwe_110.032
größer ist als Kleist, heißt das auch, daß er schöner sei, oder kommen hier pwe_110.033
doch andere Kriterien ins Spiel?
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Dieser auf seinen stilkritischen Sinn reduzierte Gebrauch des Wertbegriffs pwe_110.035
ist immer wieder als ungenügend empfunden, als Relativismus, als pwe_110.036
Haltung des l'art pour l'art bezeichnet worden. Überall dort, wo in der pwe_110.037
Interpretation das Schema von Form und Inhalt, Symbol und Ausdruck in pwe_110.038
irgendeiner Weise festgehalten wird, wird auch versucht, einer angeblich pwe_110.039
formalistischen und ästhetizistischen Wertung entgegenzutreten und entsprechend
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Emil Staiger, Versuch über den Begriff des Schönen. Trivium III (1945) 185 ff.
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