Wedekind, Frank: Die Büchse der Pandora. Berlin, [1903].
Dich bitte gleich entscheiden. Um halb ein Uhr fährt der Zug nach Marseilles. Sind wir bis elf Uhr nicht handelseinig, dann pfeife ich den Sergeant de Ville herauf. Andernfalls packe ich Dich, so wie Du dastehst, in einen Fiacre, fahre Dich nach der Gare de Lion und begleite Dich morgen Abend aufs Schiff. Lulu. Es kann Dir damit doch unmöglich ernst sein?! Casti Piani. Begreifst Du nicht, daß es mir nur um Deine leibliche Rettung zu tun ist? Lulu. Ich gehe mit Dir nach Amerika, nach China; aber ich kann mich selbst nicht verkaufen lassen! Das ist schlimmer als Gefängnis. Casti Piani. Lies einmal diesen Herzenserguß! (Er zieht einen Brief aus der Tasche.) Ich werde ihn Dir vor- lesen. Hier ist der Poststempel "Kairo", damit Du nicht glaubst, ich arbeite mit gefälschten Dokumenten. Das Mädchen ist Berlinerin, war zwei Jahre verheiratet, und das mit einem Mann, um den Du sie beneidet hättest, einem ehemaligen Kameraden von mir. Er reist jetzt in Diensten einer Hamburger Kolonialgesellschaft. Lulu. Dann besucht er seine Frau ja vielleicht ge- legentlich. Casti Piani. Das ist nicht ausgeschlossen. Aber höre diesen impulsiven Ausdruck ihrer Seligkeit! Mein Mädchenhandel erscheint mir durchaus nicht ehrenvoller, als ihn der erste beste Richter taxieren würde; aber solch ein Freudenschrei läßt mich für den Augenblick eine ge- wisse sittliche Genugtuung empfinden. Ich bin stolz darauf, mein Geld damit zu verdienen, daß ich das Glück mit vollen Händen ausstreue. (Er liest.) "Lieber Herr Meier!" -- So heiße ich als Mädchenhändler. -- "Wenn Sie nach Berlin kommen, gehen Sie bitte sofort in das Kon- servatorium an der Potsdamer Straße und fragen Sie
Dich bitte gleich entſcheiden. Um halb ein Uhr fährt der Zug nach Marſeilles. Sind wir bis elf Uhr nicht handelseinig, dann pfeife ich den Sergeant de Ville herauf. Andernfalls packe ich Dich, ſo wie Du daſtehſt, in einen Fiacre, fahre Dich nach der Gare de Lion und begleite Dich morgen Abend aufs Schiff. Lulu. Es kann Dir damit doch unmöglich ernſt ſein?! Caſti Piani. Begreifſt Du nicht, daß es mir nur um Deine leibliche Rettung zu tun iſt? Lulu. Ich gehe mit Dir nach Amerika, nach China; aber ich kann mich ſelbſt nicht verkaufen laſſen! Das iſt ſchlimmer als Gefängnis. Caſti Piani. Lies einmal dieſen Herzenserguß! (Er zieht einen Brief aus der Taſche.) Ich werde ihn Dir vor- leſen. Hier iſt der Poſtſtempel „Kairo“, damit Du nicht glaubſt, ich arbeite mit gefälſchten Dokumenten. Das Mädchen iſt Berlinerin, war zwei Jahre verheiratet, und das mit einem Mann, um den Du ſie beneidet hätteſt, einem ehemaligen Kameraden von mir. Er reiſt jetzt in Dienſten einer Hamburger Kolonialgeſellſchaft. Lulu. Dann beſucht er ſeine Frau ja vielleicht ge- legentlich. Caſti Piani. Das iſt nicht ausgeſchloſſen. Aber höre dieſen impulſiven Ausdruck ihrer Seligkeit! Mein Mädchenhandel erſcheint mir durchaus nicht ehrenvoller, als ihn der erſte beſte Richter taxieren würde; aber ſolch ein Freudenſchrei läßt mich für den Augenblick eine ge- wiſſe ſittliche Genugtuung empfinden. Ich bin ſtolz darauf, mein Geld damit zu verdienen, daß ich das Glück mit vollen Händen ausſtreue. (Er lieſt.) „Lieber Herr Meier!“ — So heiße ich als Mädchenhändler. — „Wenn Sie nach Berlin kommen, gehen Sie bitte ſofort in das Kon- ſervatorium an der Potsdamer Straße und fragen Sie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#PIA"> <p><pb facs="#f0047" n="39"/> Dich bitte gleich entſcheiden. Um halb ein Uhr fährt<lb/> der Zug nach Marſeilles. Sind wir bis elf Uhr nicht<lb/> handelseinig, dann pfeife ich den Sergeant de Ville<lb/> herauf. Andernfalls packe ich Dich, ſo wie Du daſtehſt,<lb/> in einen Fiacre, fahre Dich nach der Gare de Lion und<lb/> begleite Dich morgen Abend aufs Schiff.</p> </sp><lb/> <sp who="#LUL"> <speaker><hi rendition="#g">Lulu</hi>.</speaker> <p>Es kann Dir damit doch unmöglich ernſt ſein?!</p> </sp><lb/> <sp who="#PIA"> <speaker><hi rendition="#g">Caſti Piani</hi>.</speaker> <p>Begreifſt Du nicht, daß es mir nur<lb/> um Deine leibliche Rettung zu tun iſt?</p> </sp><lb/> <sp who="#LUL"> <speaker><hi rendition="#g">Lulu</hi>.</speaker> <p>Ich gehe mit Dir nach Amerika, nach China;<lb/> aber ich kann mich ſelbſt nicht verkaufen laſſen! Das iſt<lb/> ſchlimmer als Gefängnis.</p> </sp><lb/> <sp who="#PIA"> <speaker><hi rendition="#g">Caſti Piani</hi>.</speaker> <p>Lies einmal dieſen Herzenserguß!</p><lb/> <stage>(Er zieht einen Brief aus der Taſche.)</stage> <p>Ich werde ihn Dir vor-<lb/> leſen. Hier iſt der Poſtſtempel „Kairo“, damit Du nicht<lb/> glaubſt, ich arbeite mit gefälſchten Dokumenten. Das<lb/> Mädchen iſt Berlinerin, war zwei Jahre verheiratet,<lb/> und das mit einem Mann, um den Du ſie beneidet<lb/> hätteſt, einem ehemaligen Kameraden von mir. Er reiſt<lb/> jetzt in Dienſten einer Hamburger Kolonialgeſellſchaft.</p> </sp><lb/> <sp who="#LUL"> <speaker><hi rendition="#g">Lulu</hi>.</speaker> <p>Dann beſucht er ſeine Frau ja vielleicht ge-<lb/> legentlich.</p> </sp><lb/> <sp who="#PIA"> <speaker><hi rendition="#g">Caſti Piani</hi>.</speaker> <p>Das iſt nicht ausgeſchloſſen. Aber<lb/> höre dieſen impulſiven Ausdruck ihrer Seligkeit! Mein<lb/> Mädchenhandel erſcheint mir durchaus nicht ehrenvoller,<lb/> als ihn der erſte beſte Richter taxieren würde; aber ſolch<lb/> ein Freudenſchrei läßt mich für den Augenblick eine ge-<lb/> wiſſe ſittliche Genugtuung empfinden. Ich bin ſtolz darauf,<lb/> mein Geld damit zu verdienen, daß ich das Glück mit<lb/> vollen Händen ausſtreue.</p> <stage>(Er lieſt.)</stage> <p>„Lieber Herr Meier!“<lb/> — So heiße ich als Mädchenhändler. — „Wenn Sie<lb/> nach Berlin kommen, gehen Sie bitte ſofort in das Kon-<lb/> ſervatorium an der Potsdamer Straße und fragen Sie<lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [39/0047]
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handelseinig, dann pfeife ich den Sergeant de Ville
herauf. Andernfalls packe ich Dich, ſo wie Du daſtehſt,
in einen Fiacre, fahre Dich nach der Gare de Lion und
begleite Dich morgen Abend aufs Schiff.
Lulu. Es kann Dir damit doch unmöglich ernſt ſein?!
Caſti Piani. Begreifſt Du nicht, daß es mir nur
um Deine leibliche Rettung zu tun iſt?
Lulu. Ich gehe mit Dir nach Amerika, nach China;
aber ich kann mich ſelbſt nicht verkaufen laſſen! Das iſt
ſchlimmer als Gefängnis.
Caſti Piani. Lies einmal dieſen Herzenserguß!
(Er zieht einen Brief aus der Taſche.) Ich werde ihn Dir vor-
leſen. Hier iſt der Poſtſtempel „Kairo“, damit Du nicht
glaubſt, ich arbeite mit gefälſchten Dokumenten. Das
Mädchen iſt Berlinerin, war zwei Jahre verheiratet,
und das mit einem Mann, um den Du ſie beneidet
hätteſt, einem ehemaligen Kameraden von mir. Er reiſt
jetzt in Dienſten einer Hamburger Kolonialgeſellſchaft.
Lulu. Dann beſucht er ſeine Frau ja vielleicht ge-
legentlich.
Caſti Piani. Das iſt nicht ausgeſchloſſen. Aber
höre dieſen impulſiven Ausdruck ihrer Seligkeit! Mein
Mädchenhandel erſcheint mir durchaus nicht ehrenvoller,
als ihn der erſte beſte Richter taxieren würde; aber ſolch
ein Freudenſchrei läßt mich für den Augenblick eine ge-
wiſſe ſittliche Genugtuung empfinden. Ich bin ſtolz darauf,
mein Geld damit zu verdienen, daß ich das Glück mit
vollen Händen ausſtreue. (Er lieſt.) „Lieber Herr Meier!“
— So heiße ich als Mädchenhändler. — „Wenn Sie
nach Berlin kommen, gehen Sie bitte ſofort in das Kon-
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Zitationshilfe: | Wedekind, Frank: Die Büchse der Pandora. Berlin, [1903], S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_pandora_1902/47>, abgerufen am 22.07.2024. |