Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wedekind, Frank: Die Büchse der Pandora. Berlin, [1903].

Bild:
<< vorherige Seite
Gefängnis vor Dir!" rief ich von früh bis spät. --
Man läßt sie jetzt auch wohl keine drei Tage mehr in
der Isolierbaracke.
Rodrigo. Ich habe volle drei Monate im Kranken-
haus gelegen, um das Terrain zu sondieren; nachdem
ich mir die Qualitäten zu einem so ausgedehnten Aufent-
halt erst mühsam zusammenhausiert hatte. Jetzt spiele
ich hier bei Ihnen, Herr Doktor, den Kammerdiener,
damit keine fremde Bedienung ins Haus kommt. Wo
hat je ein Bräutigam mehr für seine Braut getan.
Meine Vermögensverhältnisse sind auch zerrüttet.
Alwa. Wenn es Ihnen gelingt, die Frau zu einer
anständigen Künstlerin auszubilden, dann haben Sie sich um
Ihre Mitwelt verdient gemacht. Mit dem Temperament
und der Schönheit, die sie aus dem Innersten ihrer Natur
heraus zu geben hat, kann sie das blasierteste Publikum
in Atem halten. Dabei wäre sie durch die Wiedergabe
der Leidenschaft davor geschützt, zum zweitenmal in
Wirklichkeit zur Verbrecherin zu werden.
Rodrigo. Ich will ihr ihre Zicken schon aus-
treiben!
Die Geschwitz. Da kommt er!
(Auf der Galerie werden Schritte laut; dann teilt sich der Vorhang
über der Treppe und Schigolch in langem schwarzen Gehrock, einen
weißen Entoutcas in der Rechten, tritt heraus.)
Schigolch. Vermaledeite Finsternis! -- Draußen
brennt einem die Sonne die Augen aus.
Die Geschwitz (sich mühsam aus der Decke wickelnd). Ich
komme schon!
Rodrigo. Gräfliche Gnaden haben seit drei Tagen
kein Tageslicht mehr gesehen. Wir leben hier wie in
einer Schnupftabaksdose.
Schigolch. Seit heute früh um neun fahre ich bei
allen Lumpensammlern herum. Drei nagelneue Koffer,
Gefängnis vor Dir!“ rief ich von früh bis ſpät. —
Man läßt ſie jetzt auch wohl keine drei Tage mehr in
der Iſolierbaracke.
Rodrigo. Ich habe volle drei Monate im Kranken-
haus gelegen, um das Terrain zu ſondieren; nachdem
ich mir die Qualitäten zu einem ſo ausgedehnten Aufent-
halt erſt mühſam zuſammenhauſiert hatte. Jetzt ſpiele
ich hier bei Ihnen, Herr Doktor, den Kammerdiener,
damit keine fremde Bedienung ins Haus kommt. Wo
hat je ein Bräutigam mehr für ſeine Braut getan.
Meine Vermögensverhältniſſe ſind auch zerrüttet.
Alwa. Wenn es Ihnen gelingt, die Frau zu einer
anſtändigen Künſtlerin auszubilden, dann haben Sie ſich um
Ihre Mitwelt verdient gemacht. Mit dem Temperament
und der Schönheit, die ſie aus dem Innerſten ihrer Natur
heraus zu geben hat, kann ſie das blaſierteſte Publikum
in Atem halten. Dabei wäre ſie durch die Wiedergabe
der Leidenſchaft davor geſchützt, zum zweitenmal in
Wirklichkeit zur Verbrecherin zu werden.
Rodrigo. Ich will ihr ihre Zicken ſchon aus-
treiben!
Die Geſchwitz. Da kommt er!
(Auf der Galerie werden Schritte laut; dann teilt ſich der Vorhang
über der Treppe und Schigolch in langem ſchwarzen Gehrock, einen
weißen Entoutcas in der Rechten, tritt heraus.)
Schigolch. Vermaledeite Finſternis! — Draußen
brennt einem die Sonne die Augen aus.
Die Geſchwitz (ſich mühſam aus der Decke wickelnd). Ich
komme ſchon!
Rodrigo. Gräfliche Gnaden haben ſeit drei Tagen
kein Tageslicht mehr geſehen. Wir leben hier wie in
einer Schnupftabaksdoſe.
Schigolch. Seit heute früh um neun fahre ich bei
allen Lumpenſammlern herum. Drei nagelneue Koffer,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <sp who="#GES">
          <p><pb facs="#f0019" n="11"/>
Gefängnis vor Dir!&#x201C; rief ich von früh bis &#x017F;pät. &#x2014;<lb/>
Man läßt &#x017F;ie jetzt auch wohl keine drei Tage mehr in<lb/>
der I&#x017F;olierbaracke.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#ROD">
          <speaker><hi rendition="#g">Rodrigo</hi>.</speaker>
          <p>Ich habe volle drei Monate im Kranken-<lb/>
haus gelegen, um das Terrain zu &#x017F;ondieren; nachdem<lb/>
ich mir die Qualitäten zu einem &#x017F;o ausgedehnten Aufent-<lb/>
halt er&#x017F;t müh&#x017F;am zu&#x017F;ammenhau&#x017F;iert hatte. Jetzt &#x017F;piele<lb/>
ich hier bei Ihnen, Herr Doktor, den Kammerdiener,<lb/>
damit keine fremde Bedienung ins Haus kommt. Wo<lb/>
hat je ein Bräutigam mehr für &#x017F;eine Braut getan.<lb/>
Meine Vermögensverhältni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ind auch zerrüttet.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#ALW">
          <speaker><hi rendition="#g">Alwa</hi>.</speaker>
          <p>Wenn es Ihnen gelingt, die Frau zu einer<lb/>
an&#x017F;tändigen Kün&#x017F;tlerin auszubilden, dann haben Sie &#x017F;ich um<lb/>
Ihre Mitwelt verdient gemacht. Mit dem Temperament<lb/>
und der Schönheit, die &#x017F;ie aus dem Inner&#x017F;ten ihrer Natur<lb/>
heraus zu geben hat, kann &#x017F;ie das bla&#x017F;ierte&#x017F;te Publikum<lb/>
in Atem halten. Dabei wäre &#x017F;ie durch die Wiedergabe<lb/>
der Leiden&#x017F;chaft davor ge&#x017F;chützt, zum zweitenmal in<lb/>
Wirklichkeit zur Verbrecherin zu werden.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#ROD">
          <speaker><hi rendition="#g">Rodrigo</hi>.</speaker>
          <p>Ich will ihr ihre Zicken &#x017F;chon aus-<lb/>
treiben!</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#GES">
          <speaker><hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chwitz</hi>.</speaker>
          <p>Da kommt er!</p><lb/>
          <stage>(Auf der Galerie werden Schritte laut; dann teilt &#x017F;ich der Vorhang<lb/>
über der Treppe und Schigolch in langem &#x017F;chwarzen Gehrock, einen<lb/>
weißen Entoutcas in der Rechten, tritt heraus.)</stage>
        </sp><lb/>
        <sp who="#SCH">
          <speaker><hi rendition="#g">Schigolch</hi>.</speaker>
          <p>Vermaledeite Fin&#x017F;ternis! &#x2014; Draußen<lb/>
brennt einem die Sonne die Augen aus.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#GES">
          <speaker> <hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chwitz</hi> </speaker>
          <stage>(&#x017F;ich müh&#x017F;am aus der Decke wickelnd).</stage>
          <p>Ich<lb/>
komme &#x017F;chon!</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#ROD">
          <speaker><hi rendition="#g">Rodrigo</hi>.</speaker>
          <p>Gräfliche Gnaden haben &#x017F;eit drei Tagen<lb/>
kein Tageslicht mehr ge&#x017F;ehen. Wir leben hier wie in<lb/>
einer Schnupftabaksdo&#x017F;e.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#SCH">
          <speaker><hi rendition="#g">Schigolch</hi>.</speaker>
          <p>Seit heute früh um neun fahre ich bei<lb/>
allen Lumpen&#x017F;ammlern herum. Drei nagelneue Koffer,<lb/></p>
        </sp>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[11/0019] Gefängnis vor Dir!“ rief ich von früh bis ſpät. — Man läßt ſie jetzt auch wohl keine drei Tage mehr in der Iſolierbaracke. Rodrigo. Ich habe volle drei Monate im Kranken- haus gelegen, um das Terrain zu ſondieren; nachdem ich mir die Qualitäten zu einem ſo ausgedehnten Aufent- halt erſt mühſam zuſammenhauſiert hatte. Jetzt ſpiele ich hier bei Ihnen, Herr Doktor, den Kammerdiener, damit keine fremde Bedienung ins Haus kommt. Wo hat je ein Bräutigam mehr für ſeine Braut getan. Meine Vermögensverhältniſſe ſind auch zerrüttet. Alwa. Wenn es Ihnen gelingt, die Frau zu einer anſtändigen Künſtlerin auszubilden, dann haben Sie ſich um Ihre Mitwelt verdient gemacht. Mit dem Temperament und der Schönheit, die ſie aus dem Innerſten ihrer Natur heraus zu geben hat, kann ſie das blaſierteſte Publikum in Atem halten. Dabei wäre ſie durch die Wiedergabe der Leidenſchaft davor geſchützt, zum zweitenmal in Wirklichkeit zur Verbrecherin zu werden. Rodrigo. Ich will ihr ihre Zicken ſchon aus- treiben! Die Geſchwitz. Da kommt er! (Auf der Galerie werden Schritte laut; dann teilt ſich der Vorhang über der Treppe und Schigolch in langem ſchwarzen Gehrock, einen weißen Entoutcas in der Rechten, tritt heraus.) Schigolch. Vermaledeite Finſternis! — Draußen brennt einem die Sonne die Augen aus. Die Geſchwitz (ſich mühſam aus der Decke wickelnd). Ich komme ſchon! Rodrigo. Gräfliche Gnaden haben ſeit drei Tagen kein Tageslicht mehr geſehen. Wir leben hier wie in einer Schnupftabaksdoſe. Schigolch. Seit heute früh um neun fahre ich bei allen Lumpenſammlern herum. Drei nagelneue Koffer,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Bei dieser Ausgabe handelt es sich um die erste s… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_pandora_1902
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_pandora_1902/19
Zitationshilfe: Wedekind, Frank: Die Büchse der Pandora. Berlin, [1903], S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_pandora_1902/19>, abgerufen am 28.11.2024.