Wedekind, Frank: Die Büchse der Pandora. Berlin, [1903].
nichts anderes als ein entsetzliches Unglück sehen, das sie betroffen hat. Ich glaube auch, mein Vater hätte, wäre er mit dem Leben davon gekommen, seine Hand nicht vollständig von ihr abgezogen. Ob Ihnen Ihr Befreiungs- plan gelingen wird, scheint mir immer noch zweifelhaft, obschon ich Sie nicht entmutigen möchte. Aber ich finde keine Worte für die Bewunderung, die mir Ihre Auf- opferung, Ihre Thatkraft, Ihre übermenschlische Todes- verachtung einflößen. Ich glaube nicht, daß je ein Mann soviel für eine Frau, geschweige denn für einen Freund auf's Spiel gesetzt hat. Ich weiß nicht, Fräulein von Geschwitz, wie reich Sie sind; aber die Ausgaben für diese Bewerkstellungen müssen Ihre Vermögensverhält- nisse zerrüttet haben. Darf ich Ihnen ein Darlehen von zwanzigtausend Mark anbieten, dessen Herbeischaffung in barem Gelde für mich mit keinerlei Schwierigkeiten ver- bunden wäre? Die Geschwitz. Wie wir gejubelt haben, als die Schwester Theophila glücklich tot war! Von dem Tage an waren wir ohne Aufsicht. Wir wechselten nach Belieben die Betten. Ich hatte ihr meine Frisur ge- macht und ahmte in jedem Laut ihre Stimme nach. Wenn der Professor kam, redete er sie per gnädiges Fräulein an und sagte zu mir: Hier lebt sich's besser als im Gefängnis! -- Als die Schwester ausblieb, sahen wir einander gespannt an; wir beide waren fünf Tage krank; jetzt mußte es sich entscheiden. Am nächsten Morgen kam der Assistenzarzt. -- "Wie geht es der Schwester?" -- "Tot!" -- Wir verständigten uns hinter seinem Rücken und als er hinaus war, sanken wir uns in die Arme: "Gott sei Dank! Gott sei Dank!" -- Welche Mühe es kostete, damit mein Liebling nicht ver- riet, wie gesund er schon war! -- "Du hast neun Jahre
nichts anderes als ein entſetzliches Unglück ſehen, das ſie betroffen hat. Ich glaube auch, mein Vater hätte, wäre er mit dem Leben davon gekommen, ſeine Hand nicht vollſtändig von ihr abgezogen. Ob Ihnen Ihr Befreiungs- plan gelingen wird, ſcheint mir immer noch zweifelhaft, obſchon ich Sie nicht entmutigen möchte. Aber ich finde keine Worte für die Bewunderung, die mir Ihre Auf- opferung, Ihre Thatkraft, Ihre übermenſchliſche Todes- verachtung einflößen. Ich glaube nicht, daß je ein Mann ſoviel für eine Frau, geſchweige denn für einen Freund auf’s Spiel geſetzt hat. Ich weiß nicht, Fräulein von Geſchwitz, wie reich Sie ſind; aber die Ausgaben für dieſe Bewerkſtellungen müſſen Ihre Vermögensverhält- niſſe zerrüttet haben. Darf ich Ihnen ein Darlehen von zwanzigtauſend Mark anbieten, deſſen Herbeiſchaffung in barem Gelde für mich mit keinerlei Schwierigkeiten ver- bunden wäre? Die Geſchwitz. Wie wir gejubelt haben, als die Schweſter Theophila glücklich tot war! Von dem Tage an waren wir ohne Aufſicht. Wir wechſelten nach Belieben die Betten. Ich hatte ihr meine Friſur ge- macht und ahmte in jedem Laut ihre Stimme nach. Wenn der Profeſſor kam, redete er ſie per gnädiges Fräulein an und ſagte zu mir: Hier lebt ſich’s beſſer als im Gefängnis! — Als die Schweſter ausblieb, ſahen wir einander geſpannt an; wir beide waren fünf Tage krank; jetzt mußte es ſich entſcheiden. Am nächſten Morgen kam der Aſſiſtenzarzt. — „Wie geht es der Schweſter?“ — „Tot!“ — Wir verſtändigten uns hinter ſeinem Rücken und als er hinaus war, ſanken wir uns in die Arme: „Gott ſei Dank! Gott ſei Dank!“ — Welche Mühe es koſtete, damit mein Liebling nicht ver- riet, wie geſund er ſchon war! — „Du haſt neun Jahre <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#ALW"> <p><pb facs="#f0018" n="10"/> nichts anderes als ein entſetzliches Unglück ſehen, das ſie<lb/> betroffen hat. Ich glaube auch, mein Vater hätte, wäre<lb/> er mit dem Leben davon gekommen, ſeine Hand nicht<lb/> vollſtändig von ihr abgezogen. Ob Ihnen Ihr Befreiungs-<lb/> plan gelingen wird, ſcheint mir immer noch zweifelhaft,<lb/> obſchon ich Sie nicht entmutigen möchte. Aber ich finde<lb/> keine Worte für die Bewunderung, die mir Ihre Auf-<lb/> opferung, Ihre Thatkraft, Ihre übermenſchliſche Todes-<lb/> verachtung einflößen. Ich glaube nicht, daß je ein Mann<lb/> ſoviel für eine Frau, geſchweige denn für einen Freund<lb/> auf’s Spiel geſetzt hat. Ich weiß nicht, Fräulein von<lb/> Geſchwitz, wie reich Sie ſind; aber die Ausgaben für<lb/> dieſe Bewerkſtellungen müſſen Ihre Vermögensverhält-<lb/> niſſe zerrüttet haben. Darf ich Ihnen ein Darlehen von<lb/> zwanzigtauſend Mark anbieten, deſſen Herbeiſchaffung in<lb/> barem Gelde für mich mit keinerlei Schwierigkeiten ver-<lb/> bunden wäre?</p> </sp><lb/> <sp who="#GES"> <speaker><hi rendition="#g">Die Geſchwitz</hi>.</speaker> <p>Wie wir gejubelt haben, als<lb/> die Schweſter Theophila glücklich tot war! Von dem<lb/> Tage an waren wir ohne Aufſicht. Wir wechſelten nach<lb/> Belieben die Betten. Ich hatte ihr meine Friſur ge-<lb/> macht und ahmte in jedem Laut ihre Stimme nach.<lb/> Wenn der Profeſſor kam, redete er ſie per gnädiges<lb/> Fräulein an und ſagte zu mir: Hier lebt ſich’s beſſer als<lb/> im Gefängnis! — Als die Schweſter ausblieb, ſahen<lb/> wir einander geſpannt an; wir beide waren fünf Tage<lb/> krank; jetzt mußte es ſich entſcheiden. Am nächſten<lb/> Morgen kam der Aſſiſtenzarzt. — „Wie geht es der<lb/> Schweſter?“ — „Tot!“ — Wir verſtändigten uns hinter<lb/> ſeinem Rücken und als er hinaus war, ſanken wir uns<lb/> in die Arme: „Gott ſei Dank! Gott ſei Dank!“ —<lb/> Welche Mühe es koſtete, damit mein Liebling nicht ver-<lb/> riet, wie geſund er ſchon war! — „Du haſt neun Jahre<lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [10/0018]
nichts anderes als ein entſetzliches Unglück ſehen, das ſie
betroffen hat. Ich glaube auch, mein Vater hätte, wäre
er mit dem Leben davon gekommen, ſeine Hand nicht
vollſtändig von ihr abgezogen. Ob Ihnen Ihr Befreiungs-
plan gelingen wird, ſcheint mir immer noch zweifelhaft,
obſchon ich Sie nicht entmutigen möchte. Aber ich finde
keine Worte für die Bewunderung, die mir Ihre Auf-
opferung, Ihre Thatkraft, Ihre übermenſchliſche Todes-
verachtung einflößen. Ich glaube nicht, daß je ein Mann
ſoviel für eine Frau, geſchweige denn für einen Freund
auf’s Spiel geſetzt hat. Ich weiß nicht, Fräulein von
Geſchwitz, wie reich Sie ſind; aber die Ausgaben für
dieſe Bewerkſtellungen müſſen Ihre Vermögensverhält-
niſſe zerrüttet haben. Darf ich Ihnen ein Darlehen von
zwanzigtauſend Mark anbieten, deſſen Herbeiſchaffung in
barem Gelde für mich mit keinerlei Schwierigkeiten ver-
bunden wäre?
Die Geſchwitz. Wie wir gejubelt haben, als
die Schweſter Theophila glücklich tot war! Von dem
Tage an waren wir ohne Aufſicht. Wir wechſelten nach
Belieben die Betten. Ich hatte ihr meine Friſur ge-
macht und ahmte in jedem Laut ihre Stimme nach.
Wenn der Profeſſor kam, redete er ſie per gnädiges
Fräulein an und ſagte zu mir: Hier lebt ſich’s beſſer als
im Gefängnis! — Als die Schweſter ausblieb, ſahen
wir einander geſpannt an; wir beide waren fünf Tage
krank; jetzt mußte es ſich entſcheiden. Am nächſten
Morgen kam der Aſſiſtenzarzt. — „Wie geht es der
Schweſter?“ — „Tot!“ — Wir verſtändigten uns hinter
ſeinem Rücken und als er hinaus war, ſanken wir uns
in die Arme: „Gott ſei Dank! Gott ſei Dank!“ —
Welche Mühe es koſtete, damit mein Liebling nicht ver-
riet, wie geſund er ſchon war! — „Du haſt neun Jahre
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