Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891.Hast du zu Nacht gebetet, Desdemona? Das Herz krampft sich mir zusammen -- -- Unsinn! -- Auch die heilige Agnes starb um ihrer Zurückhaltung willen und war nicht halb so nackt wie du! -- Einen Kuß noch auf deinen blühenden Leib, -- deine kindlich schwellende Brust -- deine süßgerundeten -- deine grausamen Kniee. ... Die Sache will's, die Sache will's, mein Herz! Laßt sie mich euch nicht nennen, keusche Sterne! Die Sache wills! -- (Das Bild fällt in die Tiefe; er schließt den Deckel.) Vierte Scene. Ein Heuboden. -- Melchior liegt auf dem Rücken im frischen Heu. Wendla kommt die Leiter herauf. Wendla. Hier hast du dich verkrochen? -- Alles sucht dich. Der Wagen ist wieder hinaus. Du mußt helfen. Es ist ein Gewitter im Anzug. Melchior. Weg von mir! -- Weg von mir! -- Wendla. Was ist dir denn? -- Was verbirgst du dein Gesicht? Melchior. Fort, fort! -- Ich werfe dich in die Tenne hinunter. Wendla. Nun geh' ich erst recht nicht. -- (Kniet neben ihm nieder.) Warum kommst du nicht mit auf die Matte hinaus, Melchior? -- Hier ist es schwül und düster. Werden wir auch naß bis auf die Haut, was macht uns das! Melchior. Das Heu duftet so herrlich. -- Der Himmel draußen muß schwarz wie ein Bahrtuch sein. -- Ich sehe nur Haſt du zu Nacht gebetet, Desdemona? Das Herz krampft ſich mir zuſammen — — Unſinn! — Auch die heilige Agnes ſtarb um ihrer Zurückhaltung willen und war nicht halb ſo nackt wie du! — Einen Kuß noch auf deinen blühenden Leib, — deine kindlich ſchwellende Bruſt — deine ſüßgerundeten — deine grauſamen Kniee. … Die Sache will's, die Sache will's, mein Herz! Laßt ſie mich euch nicht nennen, keuſche Sterne! Die Sache wills! — (Das Bild fällt in die Tiefe; er ſchließt den Deckel.) Vierte Scene. Ein Heuboden. — Melchior liegt auf dem Rücken im friſchen Heu. Wendla kommt die Leiter herauf. Wendla. Hier haſt du dich verkrochen? — Alles ſucht dich. Der Wagen iſt wieder hinaus. Du mußt helfen. Es iſt ein Gewitter im Anzug. Melchior. Weg von mir! — Weg von mir! — Wendla. Was iſt dir denn? — Was verbirgſt du dein Geſicht? Melchior. Fort, fort! — Ich werfe dich in die Tenne hinunter. Wendla. Nun geh' ich erſt recht nicht. — (Kniet neben ihm nieder.) Warum kommſt du nicht mit auf die Matte hinaus, Melchior? — Hier iſt es ſchwül und düſter. Werden wir auch naß bis auf die Haut, was macht uns das! Melchior. Das Heu duftet ſo herrlich. — Der Himmel draußen muß ſchwarz wie ein Bahrtuch ſein. — Ich ſehe nur <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#HAN"> <pb n="38" facs="#f0054"/> <p> <hi rendition="#c">Haſt du zu Nacht gebetet, Desdemona?</hi> </p><lb/> <p>Das Herz krampft ſich mir zuſammen — — Unſinn! —<lb/> Auch die heilige <hi rendition="#g">Agnes</hi> ſtarb um ihrer Zurückhaltung willen<lb/> und war nicht halb ſo nackt wie du! — Einen Kuß noch auf<lb/> deinen blühenden Leib, — deine kindlich ſchwellende Bruſt —<lb/> deine ſüßgerundeten — deine grauſamen Kniee. …</p><lb/> <p>Die Sache will's, die Sache will's, mein Herz!</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Laßt ſie mich euch nicht nennen, keuſche Sterne</hi>!</p><lb/> <p>Die Sache wills! —</p><lb/> <stage>(Das Bild fällt in die Tiefe; er ſchließt den Deckel.)</stage> </sp> </div><lb/> <milestone unit="section" rendition="#hr"/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Vierte Scene.</hi> </head><lb/> <stage>Ein <hi rendition="#g">Heuboden. — Melchior</hi> liegt auf dem Rücken im friſchen Heu.<lb/><hi rendition="#g">Wendla</hi> kommt die Leiter herauf.</stage><lb/> <sp who="#WEN"> <speaker><hi rendition="#g">Wendla</hi>.</speaker> <p><hi rendition="#g">Hier</hi> haſt du dich verkrochen? — Alles ſucht<lb/> dich. Der Wagen iſt wieder hinaus. Du mußt helfen. Es iſt<lb/> ein Gewitter im Anzug.</p> </sp><lb/> <sp who="#MEL"> <speaker><hi rendition="#g">Melchior</hi>.</speaker> <p>Weg von mir! — Weg von mir! —</p> </sp><lb/> <sp who="#WEN"> <speaker><hi rendition="#g">Wendla</hi>.</speaker> <p>Was iſt dir denn? — Was verbirgſt du dein<lb/> Geſicht?</p> </sp><lb/> <sp who="#MEL"> <speaker><hi rendition="#g">Melchior</hi>.</speaker> <p>Fort, fort! — Ich werfe dich in die Tenne<lb/> hinunter.</p> </sp><lb/> <sp who="#WEN"> <speaker><hi rendition="#g">Wendla</hi>.</speaker> <p>Nun geh' ich erſt recht nicht. —</p> <stage>(Kniet neben ihm<lb/> nieder.)</stage> <p>Warum kommſt du nicht mit auf die Matte hinaus,<lb/> Melchior? — Hier iſt es ſchwül und düſter. Werden wir auch<lb/> naß bis auf die Haut, was macht <hi rendition="#g">uns</hi> das!</p> </sp><lb/> <sp who="#MEL"> <speaker><hi rendition="#g">Melchior</hi>.</speaker> <p>Das Heu duftet ſo herrlich. — Der Himmel<lb/> draußen muß ſchwarz wie ein Bahrtuch ſein. — Ich ſehe nur<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [38/0054]
Haſt du zu Nacht gebetet, Desdemona?
Das Herz krampft ſich mir zuſammen — — Unſinn! —
Auch die heilige Agnes ſtarb um ihrer Zurückhaltung willen
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deinen blühenden Leib, — deine kindlich ſchwellende Bruſt —
deine ſüßgerundeten — deine grauſamen Kniee. …
Die Sache will's, die Sache will's, mein Herz!
Laßt ſie mich euch nicht nennen, keuſche Sterne!
Die Sache wills! —
(Das Bild fällt in die Tiefe; er ſchließt den Deckel.)
Vierte Scene.
Ein Heuboden. — Melchior liegt auf dem Rücken im friſchen Heu.
Wendla kommt die Leiter herauf.
Wendla. Hier haſt du dich verkrochen? — Alles ſucht
dich. Der Wagen iſt wieder hinaus. Du mußt helfen. Es iſt
ein Gewitter im Anzug.
Melchior. Weg von mir! — Weg von mir! —
Wendla. Was iſt dir denn? — Was verbirgſt du dein
Geſicht?
Melchior. Fort, fort! — Ich werfe dich in die Tenne
hinunter.
Wendla. Nun geh' ich erſt recht nicht. — (Kniet neben ihm
nieder.) Warum kommſt du nicht mit auf die Matte hinaus,
Melchior? — Hier iſt es ſchwül und düſter. Werden wir auch
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Zitationshilfe: | Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_erwachen_1891/54>, abgerufen am 03.03.2025. |