Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891.
im Schaufenster liegen sah -- ebenso berückend noch diese ge- schmeidigen Glieder, diese sanfte Wölbung der Hüften, diese jugendlich straffen Brüste -- o wie berauscht von Glück muß der große Meister gewesen sein, als das vierzehnjährige Original vor seinen Blicken hingestreckt auf dem Divan lag! Wirst du mich auch bisweilen im Traum besuchen? -- Mit ausgebreiteten Armen empfang ich dich und will dich küssen, daß dir der Athem vergeht. Du ziehst bei mir ein wie die ange- stammte Herrin in ihr verödetes Schloß. Thor und Thüren öffnen sich von unsichtbarer Hand, während der Springquell unten im Parke fröhlich zu plätschern beginnt ... Die Sache will's! -- Die Sache will's! -- Daß ich nicht aus frivoler Regung morde, sagt dir das fürchterliche Pochen in meiner Brust. Die Kehle schnürt sich mir zu im Gedanken an meine einsamen Nächte. Ich schwöre dir bei meiner Seele, Kind, daß nicht Ueberdruß mich beherrscht. Wer wollte sich rühmen, deiner überdrüßig geworden zu sein! Aber du saugst mir das Mark aus den Knochen, du krümmst mir den Rücken, du raubst meinen jungen Augen den letzten Glanz. -- Du bist mir zu anspruchsvoll in deiner unmenschlichen Bescheidenheit, zu aufreibend mit deinen unbeweglichen Glied- maßen! -- Du oder ich! -- und ich habe den Sieg davongetragen. Wenn ich sie herzählen wollte -- all die Entschlafenen, mit denen ich hier den nämlichen Kampf gekämpft! --: Psyche von Thumann -- noch ein Vermächtniß der spindeldürren Made- moiselle Angelique, dieser Klapperschlange im Paradies meiner Kinderjahre; Jo von Corregio; Galathea von Lossow; dann ein Amor von Bouguereau; Ada von J. van Beers -- diese Ada, die ich Papa aus einem Geheimfach seines Sekretärs ent- führen mußte, um sie meinem Harem einzuverleiben; eine zitternde, zuckende Leda von Makart, die ich zufällig unter den Collegien-
im Schaufenſter liegen ſah — ebenſo berückend noch dieſe ge- ſchmeidigen Glieder, dieſe ſanfte Wölbung der Hüften, dieſe jugendlich ſtraffen Brüſte — o wie berauſcht von Glück muß der große Meiſter geweſen ſein, als das vierzehnjährige Original vor ſeinen Blicken hingeſtreckt auf dem Divan lag! Wirſt du mich auch bisweilen im Traum beſuchen? — Mit ausgebreiteten Armen empfang ich dich und will dich küſſen, daß dir der Athem vergeht. Du ziehſt bei mir ein wie die ange- ſtammte Herrin in ihr verödetes Schloß. Thor und Thüren öffnen ſich von unſichtbarer Hand, während der Springquell unten im Parke fröhlich zu plätſchern beginnt … Die Sache will's! — Die Sache will's! — Daß ich nicht aus frivoler Regung morde, ſagt dir das fürchterliche Pochen in meiner Bruſt. Die Kehle ſchnürt ſich mir zu im Gedanken an meine einſamen Nächte. Ich ſchwöre dir bei meiner Seele, Kind, daß nicht Ueberdruß mich beherrſcht. Wer wollte ſich rühmen, deiner überdrüßig geworden zu ſein! Aber du ſaugſt mir das Mark aus den Knochen, du krümmſt mir den Rücken, du raubſt meinen jungen Augen den letzten Glanz. — Du biſt mir zu anſpruchsvoll in deiner unmenſchlichen Beſcheidenheit, zu aufreibend mit deinen unbeweglichen Glied- maßen! — Du oder ich! — und ich habe den Sieg davongetragen. Wenn ich ſie herzählen wollte — all die Entſchlafenen, mit denen ich hier den nämlichen Kampf gekämpft! —: Pſyche von Thumann — noch ein Vermächtniß der ſpindeldürren Made- moiſelle Angelique, dieſer Klapperſchlange im Paradies meiner Kinderjahre; Jo von Corregio; Galathea von Loſſow; dann ein Amor von Bouguereau; Ada von J. van Beers — dieſe Ada, die ich Papa aus einem Geheimfach ſeines Sekretärs ent- führen mußte, um ſie meinem Harem einzuverleiben; eine zitternde, zuckende Leda von Makart, die ich zufällig unter den Collegien- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#HAN"> <p><pb facs="#f0052" n="36"/> im Schaufenſter liegen ſah — ebenſo berückend noch dieſe ge-<lb/> ſchmeidigen Glieder, dieſe ſanfte Wölbung der Hüften, dieſe<lb/> jugendlich ſtraffen Brüſte — o wie berauſcht von Glück muß der<lb/> große Meiſter geweſen ſein, als das vierzehnjährige Original vor<lb/> ſeinen Blicken hingeſtreckt auf dem Divan lag!</p><lb/> <p>Wirſt du mich auch bisweilen im Traum beſuchen? — Mit<lb/> ausgebreiteten Armen empfang ich dich und will dich küſſen, daß<lb/> dir der Athem vergeht. Du ziehſt bei mir ein wie die ange-<lb/> ſtammte Herrin in ihr verödetes Schloß. Thor und Thüren öffnen<lb/> ſich von unſichtbarer Hand, während der Springquell unten im<lb/> Parke fröhlich zu plätſchern beginnt …</p><lb/> <p>Die Sache will's! — Die Sache will's! — Daß ich nicht<lb/> aus frivoler Regung morde, ſagt dir das fürchterliche Pochen in<lb/> meiner Bruſt. Die Kehle ſchnürt ſich mir zu im Gedanken an<lb/> meine einſamen Nächte. Ich ſchwöre dir bei meiner Seele, Kind,<lb/> daß nicht Ueberdruß mich beherrſcht. Wer wollte ſich rühmen,<lb/> deiner überdrüßig geworden zu ſein!</p><lb/> <p>Aber du ſaugſt mir das Mark aus den Knochen, du krümmſt<lb/> mir den Rücken, du raubſt meinen jungen Augen den letzten<lb/> Glanz. — Du biſt mir zu anſpruchsvoll in deiner unmenſchlichen<lb/> Beſcheidenheit, zu aufreibend mit deinen unbeweglichen Glied-<lb/> maßen! — Du oder ich! — und <hi rendition="#g">ich</hi> habe den Sieg davongetragen.</p><lb/> <p>Wenn ich ſie herzählen wollte — all die Entſchlafenen, mit<lb/> denen ich hier den nämlichen Kampf gekämpft! —: Pſyche von<lb/><hi rendition="#g">Thumann</hi> — noch ein Vermächtniß der ſpindeldürren Made-<lb/> moiſelle <hi rendition="#g">Angelique</hi>, dieſer Klapperſchlange im Paradies meiner<lb/> Kinderjahre; Jo von <hi rendition="#g">Corregio</hi>; Galathea von <hi rendition="#g">Loſſow</hi>; dann<lb/> ein Amor von <hi rendition="#g">Bouguereau</hi>; Ada von J. van <hi rendition="#g">Beers</hi> — dieſe<lb/> Ada, die ich Papa aus einem Geheimfach ſeines Sekretärs ent-<lb/> führen mußte, um ſie meinem Harem einzuverleiben; eine zitternde,<lb/> zuckende Leda von <hi rendition="#g">Makart</hi>, die ich zufällig unter den Collegien-<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [36/0052]
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ſchmeidigen Glieder, dieſe ſanfte Wölbung der Hüften, dieſe
jugendlich ſtraffen Brüſte — o wie berauſcht von Glück muß der
große Meiſter geweſen ſein, als das vierzehnjährige Original vor
ſeinen Blicken hingeſtreckt auf dem Divan lag!
Wirſt du mich auch bisweilen im Traum beſuchen? — Mit
ausgebreiteten Armen empfang ich dich und will dich küſſen, daß
dir der Athem vergeht. Du ziehſt bei mir ein wie die ange-
ſtammte Herrin in ihr verödetes Schloß. Thor und Thüren öffnen
ſich von unſichtbarer Hand, während der Springquell unten im
Parke fröhlich zu plätſchern beginnt …
Die Sache will's! — Die Sache will's! — Daß ich nicht
aus frivoler Regung morde, ſagt dir das fürchterliche Pochen in
meiner Bruſt. Die Kehle ſchnürt ſich mir zu im Gedanken an
meine einſamen Nächte. Ich ſchwöre dir bei meiner Seele, Kind,
daß nicht Ueberdruß mich beherrſcht. Wer wollte ſich rühmen,
deiner überdrüßig geworden zu ſein!
Aber du ſaugſt mir das Mark aus den Knochen, du krümmſt
mir den Rücken, du raubſt meinen jungen Augen den letzten
Glanz. — Du biſt mir zu anſpruchsvoll in deiner unmenſchlichen
Beſcheidenheit, zu aufreibend mit deinen unbeweglichen Glied-
maßen! — Du oder ich! — und ich habe den Sieg davongetragen.
Wenn ich ſie herzählen wollte — all die Entſchlafenen, mit
denen ich hier den nämlichen Kampf gekämpft! —: Pſyche von
Thumann — noch ein Vermächtniß der ſpindeldürren Made-
moiſelle Angelique, dieſer Klapperſchlange im Paradies meiner
Kinderjahre; Jo von Corregio; Galathea von Loſſow; dann
ein Amor von Bouguereau; Ada von J. van Beers — dieſe
Ada, die ich Papa aus einem Geheimfach ſeines Sekretärs ent-
führen mußte, um ſie meinem Harem einzuverleiben; eine zitternde,
zuckende Leda von Makart, die ich zufällig unter den Collegien-
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| Zitationshilfe: | Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_erwachen_1891/52>, abgerufen am 24.11.2024. |
