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Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919.

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dern etwas sehr Ernstes und Wahrhaftes, aber vielleicht zu-
weilen sich selbst in seinem Sinn Mißdeutendes ist es dagegen,
wenn manche jener Jugendgemeinschaften, die in der Stille in
den letzten Jahren gewachsen sind, ihrer eigenen menschlichen
Gemeinschaftsbeziehung die Deutung einer religiösen, kosmi-
schen oder mystischen Beziehung geben. So wahr es ist, daß
jeder Akt echter Brüderlichkeit sich mit dem Wissen darum zu
verknüpfen vermag, daß dadurch einem überpersönlichen Reich
etwas hinzugefügt wird, was unverlierbar bleibt, so zweifel-
haft scheint mir, ob die Würde rein menschlicher Gemeinschafts-
beziehungen durch jene religiösen Deutungen gesteigert wird.
- Jndessen, das gehört nicht mehr hierher. -

Es ist das Schicksal unserer Zeit, mit der ihr eigenen
Rationalisierung und Jntellektualisierung, vor allem: Ent-
zauberung der Welt, daß gerade die letzten und sublimsten
Werte zurückgetreten sind aus der Öffentlichkeit, entweder in
das hinterweltliche Reich mystischen Lebens oder in die
Brüderlichkeit unmittelbarer Beziehungen der einzelnen zu-
einander. Es ist weder zufällig, daß unsere höchste Kunst
eine intime und keine monumentale ist, noch daß heute nur
innerhalb der kleinsten Gemeinschaftskreise, von Mensch zu
Mensch, im pianissimo, jenes Etwas pulsiert, das dem ent-
spricht, was früher als prophetisches Pneuma in stürmischem
Feuer durch die großen Gemeinden ging und sie zusammen-
schweißte. Versuchen wir, monumentale Kunstgesinnung zu
erzwingen und zu "erfinden", dann entsteht ein so jämmerliches
Mißgebilde wie in den vielen Denkmälern der letzten 20 Jahre.
Versucht man religiöse Neubildungen zu ergrübeln ohne neue,
echte Prophetie, so entsteht im innerlichen Sinn etwas Ähn-
liches, was noch übler wirken muß. Und die Katheder-
prophetie wird vollends nur fanatische Sekten, aber nie eine
echte Gemeinschaft schaffen. Wer dies Schicksal der Zeit nicht
männlich ertragen kann, dem muß man sagen: Er kehre lieber,
schweigend, ohne die übliche öffentliche Renegatenreklame,
sondern schlicht und einfach, in die weit und erbarmend ge-
öffneten Arme der alten Kirchen zurück. Sie machen es ihm
ja nicht schwer. Jrgendwie hat er dabei - das ist unvermeid-

dern etwas ſehr Ernſtes und Wahrhaftes, aber vielleicht zu-
weilen ſich ſelbſt in ſeinem Sinn Mißdeutendes iſt es dagegen,
wenn manche jener Jugendgemeinſchaften, die in der Stille in
den letzten Jahren gewachſen ſind, ihrer eigenen menſchlichen
Gemeinſchaftsbeziehung die Deutung einer religiöſen, kosmi-
ſchen oder myſtiſchen Beziehung geben. So wahr es iſt, daß
jeder Akt echter Brüderlichkeit ſich mit dem Wiſſen darum zu
verknüpfen vermag, daß dadurch einem überperſönlichen Reich
etwas hinzugefügt wird, was unverlierbar bleibt, ſo zweifel-
haft ſcheint mir, ob die Würde rein menſchlicher Gemeinſchafts-
beziehungen durch jene religiöſen Deutungen geſteigert wird.
– Jndeſſen, das gehört nicht mehr hierher. –

Es iſt das Schickſal unſerer Zeit, mit der ihr eigenen
Rationaliſierung und Jntellektualiſierung, vor allem: Ent-
zauberung der Welt, daß gerade die letzten und ſublimſten
Werte zurückgetreten ſind aus der Öffentlichkeit, entweder in
das hinterweltliche Reich myſtiſchen Lebens oder in die
Brüderlichkeit unmittelbarer Beziehungen der einzelnen zu-
einander. Es iſt weder zufällig, daß unſere höchſte Kunſt
eine intime und keine monumentale iſt, noch daß heute nur
innerhalb der kleinſten Gemeinſchaftskreiſe, von Menſch zu
Menſch, im pianissimo, jenes Etwas pulſiert, das dem ent-
ſpricht, was früher als prophetiſches Pneuma in ſtürmiſchem
Feuer durch die großen Gemeinden ging und ſie zuſammen-
ſchweißte. Verſuchen wir, monumentale Kunſtgeſinnung zu
erzwingen und zu „erfinden“, dann entſteht ein ſo jämmerliches
Mißgebilde wie in den vielen Denkmälern der letzten 20 Jahre.
Verſucht man religiöſe Neubildungen zu ergrübeln ohne neue,
echte Prophetie, ſo entſteht im innerlichen Sinn etwas Ähn-
liches, was noch übler wirken muß. Und die Katheder-
prophetie wird vollends nur fanatiſche Sekten, aber nie eine
echte Gemeinſchaft ſchaffen. Wer dies Schickſal der Zeit nicht
männlich ertragen kann, dem muß man ſagen: Er kehre lieber,
ſchweigend, ohne die übliche öffentliche Renegatenreklame,
ſondern ſchlicht und einfach, in die weit und erbarmend ge-
öffneten Arme der alten Kirchen zurück. Sie machen es ihm
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[36/0035] dern etwas ſehr Ernſtes und Wahrhaftes, aber vielleicht zu- weilen ſich ſelbſt in ſeinem Sinn Mißdeutendes iſt es dagegen, wenn manche jener Jugendgemeinſchaften, die in der Stille in den letzten Jahren gewachſen ſind, ihrer eigenen menſchlichen Gemeinſchaftsbeziehung die Deutung einer religiöſen, kosmi- ſchen oder myſtiſchen Beziehung geben. So wahr es iſt, daß jeder Akt echter Brüderlichkeit ſich mit dem Wiſſen darum zu verknüpfen vermag, daß dadurch einem überperſönlichen Reich etwas hinzugefügt wird, was unverlierbar bleibt, ſo zweifel- haft ſcheint mir, ob die Würde rein menſchlicher Gemeinſchafts- beziehungen durch jene religiöſen Deutungen geſteigert wird. – Jndeſſen, das gehört nicht mehr hierher. – Es iſt das Schickſal unſerer Zeit, mit der ihr eigenen Rationaliſierung und Jntellektualiſierung, vor allem: Ent- zauberung der Welt, daß gerade die letzten und ſublimſten Werte zurückgetreten ſind aus der Öffentlichkeit, entweder in das hinterweltliche Reich myſtiſchen Lebens oder in die Brüderlichkeit unmittelbarer Beziehungen der einzelnen zu- einander. Es iſt weder zufällig, daß unſere höchſte Kunſt eine intime und keine monumentale iſt, noch daß heute nur innerhalb der kleinſten Gemeinſchaftskreiſe, von Menſch zu Menſch, im pianissimo, jenes Etwas pulſiert, das dem ent- ſpricht, was früher als prophetiſches Pneuma in ſtürmiſchem Feuer durch die großen Gemeinden ging und ſie zuſammen- ſchweißte. Verſuchen wir, monumentale Kunſtgeſinnung zu erzwingen und zu „erfinden“, dann entſteht ein ſo jämmerliches Mißgebilde wie in den vielen Denkmälern der letzten 20 Jahre. Verſucht man religiöſe Neubildungen zu ergrübeln ohne neue, echte Prophetie, ſo entſteht im innerlichen Sinn etwas Ähn- liches, was noch übler wirken muß. Und die Katheder- prophetie wird vollends nur fanatiſche Sekten, aber nie eine echte Gemeinſchaft ſchaffen. Wer dies Schickſal der Zeit nicht männlich ertragen kann, dem muß man ſagen: Er kehre lieber, ſchweigend, ohne die übliche öffentliche Renegatenreklame, ſondern ſchlicht und einfach, in die weit und erbarmend ge- öffneten Arme der alten Kirchen zurück. Sie machen es ihm ja nicht ſchwer. Jrgendwie hat er dabei – das iſt unvermeid-

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Zitationshilfe: Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_wissenschaft_1919/35>, abgerufen am 30.11.2024.