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Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919.

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mit ihm fertig werden will, nicht - die Flucht ergreifen darf,
wie es heute so gern geschieht, sondern daß man seine Wege
erst einmal zu Ende überschauen muß, um seine Macht und
seine Schranken zu sehen.

Daß Wissenschaft heute ein fachlich betriebener "Beruf" ist
im Dienst der Selbstbesinnung und der Erkenntnis tatsächlicher
Zusammenhänge, und nicht eine Heilsgüter und Offenbarungen
spendende Gnadengabe von Sehern, Propheten oder ein Be-
standteil des Nachdenkens von Weisen und Philosophen über
den Sinn der Welt -, das freilich ist eine unentrinnbare Ge-
gebenheit unserer historischen Situation, aus der wir, wenn
wir uns selbst treu bleiben, nicht herauskommen können. Und
wenn nun wieder Tolstoj in Jhnen aufsteht und fragt: "Wer
beantwortet, da es die Wissenschaft nicht tut, die Frage: was
sollen wir denn tun? und: wie sollen wir unser Leben ein-
richten?" oder in der heute abend hier gebrauchten Sprache:
"welchem der kämpfenden Götter sollen wir dienen? oder
vielleicht einem ganz anderen, und wer ist das?" - dann ist
zu sagen: nur ein Prophet oder ein Heiland. Wenn der
nicht da ist oder wenn seiner Verkündigung nicht mehr ge-
glaubt wird, dann werden Sie ihn ganz gewiß nicht dadurch
auf die Erde zwingen, daß Tausende von Professoren als
staatlich besoldete oder privilegierte kleine Propheten in ihren
Hörsälen ihm seine Rolle abzunehmen versuchen. Sie werden
damit nur das eine fertig bringen, daß das Wissen um den
entscheidenden Sachverhalt: der Prophet, nach dem sich so
viele unserer jüngsten Generation sehnen, ist eben nicht da,
ihnen niemals in der ganzen Wucht seiner Bedeutung lebendig
wird. Es kann, glaube ich, gerade dem inneren Jnteresse
eines wirklich religiös "musikalischen" Menschen nun und
nimmermehr gedient sein, wenn ihm und anderen diese Grund-
tatsache, daß er in einer gottfremden, prophetenlosen Zeit zu
leben das Schicksal hat, durch ein Surrogat, wie es alle diese
Kathederprophetien sind, verhüllt wird. Die Ehrlichkeit seines
religiösen Organs müßte, scheint mir, dagegen sich auflehnen.
Nun werden Sie geneigt sein, zu sagen: Aber wie stellt man
sich denn zu der Tatsache der Existenz der "Theologie" und

Weber, Geistige Arbeit als Beruf. I. 3

mit ihm fertig werden will, nicht – die Flucht ergreifen darf,
wie es heute ſo gern geſchieht, ſondern daß man ſeine Wege
erſt einmal zu Ende überſchauen muß, um ſeine Macht und
ſeine Schranken zu ſehen.

Daß Wiſſenſchaft heute ein fachlich betriebener „Beruf“ iſt
im Dienſt der Selbſtbeſinnung und der Erkenntnis tatſächlicher
Zuſammenhänge, und nicht eine Heilsgüter und Offenbarungen
ſpendende Gnadengabe von Sehern, Propheten oder ein Be-
ſtandteil des Nachdenkens von Weiſen und Philoſophen über
den Sinn der Welt –, das freilich iſt eine unentrinnbare Ge-
gebenheit unſerer hiſtoriſchen Situation, aus der wir, wenn
wir uns ſelbſt treu bleiben, nicht herauskommen können. Und
wenn nun wieder Tolſtoj in Jhnen aufſteht und fragt: „Wer
beantwortet, da es die Wiſſenſchaft nicht tut, die Frage: was
ſollen wir denn tun? und: wie ſollen wir unſer Leben ein-
richten?“ oder in der heute abend hier gebrauchten Sprache:
„welchem der kämpfenden Götter ſollen wir dienen? oder
vielleicht einem ganz anderen, und wer iſt das?“ – dann iſt
zu ſagen: nur ein Prophet oder ein Heiland. Wenn der
nicht da iſt oder wenn ſeiner Verkündigung nicht mehr ge-
glaubt wird, dann werden Sie ihn ganz gewiß nicht dadurch
auf die Erde zwingen, daß Tauſende von Profeſſoren als
ſtaatlich beſoldete oder privilegierte kleine Propheten in ihren
Hörſälen ihm ſeine Rolle abzunehmen verſuchen. Sie werden
damit nur das eine fertig bringen, daß das Wiſſen um den
entſcheidenden Sachverhalt: der Prophet, nach dem ſich ſo
viele unſerer jüngſten Generation ſehnen, iſt eben nicht da,
ihnen niemals in der ganzen Wucht ſeiner Bedeutung lebendig
wird. Es kann, glaube ich, gerade dem inneren Jntereſſe
eines wirklich religiös „muſikaliſchen“ Menſchen nun und
nimmermehr gedient ſein, wenn ihm und anderen dieſe Grund-
tatſache, daß er in einer gottfremden, prophetenloſen Zeit zu
leben das Schickſal hat, durch ein Surrogat, wie es alle dieſe
Kathederprophetien ſind, verhüllt wird. Die Ehrlichkeit ſeines
religiöſen Organs müßte, ſcheint mir, dagegen ſich auflehnen.
Nun werden Sie geneigt ſein, zu ſagen: Aber wie ſtellt man
ſich denn zu der Tatſache der Exiſtenz der „Theologie“ und

Weber, Geiſtige Arbeit als Beruf. I. 3
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[33/0032] mit ihm fertig werden will, nicht – die Flucht ergreifen darf, wie es heute ſo gern geſchieht, ſondern daß man ſeine Wege erſt einmal zu Ende überſchauen muß, um ſeine Macht und ſeine Schranken zu ſehen. Daß Wiſſenſchaft heute ein fachlich betriebener „Beruf“ iſt im Dienſt der Selbſtbeſinnung und der Erkenntnis tatſächlicher Zuſammenhänge, und nicht eine Heilsgüter und Offenbarungen ſpendende Gnadengabe von Sehern, Propheten oder ein Be- ſtandteil des Nachdenkens von Weiſen und Philoſophen über den Sinn der Welt –, das freilich iſt eine unentrinnbare Ge- gebenheit unſerer hiſtoriſchen Situation, aus der wir, wenn wir uns ſelbſt treu bleiben, nicht herauskommen können. Und wenn nun wieder Tolſtoj in Jhnen aufſteht und fragt: „Wer beantwortet, da es die Wiſſenſchaft nicht tut, die Frage: was ſollen wir denn tun? und: wie ſollen wir unſer Leben ein- richten?“ oder in der heute abend hier gebrauchten Sprache: „welchem der kämpfenden Götter ſollen wir dienen? oder vielleicht einem ganz anderen, und wer iſt das?“ – dann iſt zu ſagen: nur ein Prophet oder ein Heiland. Wenn der nicht da iſt oder wenn ſeiner Verkündigung nicht mehr ge- glaubt wird, dann werden Sie ihn ganz gewiß nicht dadurch auf die Erde zwingen, daß Tauſende von Profeſſoren als ſtaatlich beſoldete oder privilegierte kleine Propheten in ihren Hörſälen ihm ſeine Rolle abzunehmen verſuchen. Sie werden damit nur das eine fertig bringen, daß das Wiſſen um den entſcheidenden Sachverhalt: der Prophet, nach dem ſich ſo viele unſerer jüngſten Generation ſehnen, iſt eben nicht da, ihnen niemals in der ganzen Wucht ſeiner Bedeutung lebendig wird. Es kann, glaube ich, gerade dem inneren Jntereſſe eines wirklich religiös „muſikaliſchen“ Menſchen nun und nimmermehr gedient ſein, wenn ihm und anderen dieſe Grund- tatſache, daß er in einer gottfremden, prophetenloſen Zeit zu leben das Schickſal hat, durch ein Surrogat, wie es alle dieſe Kathederprophetien ſind, verhüllt wird. Die Ehrlichkeit ſeines religiöſen Organs müßte, ſcheint mir, dagegen ſich auflehnen. Nun werden Sie geneigt ſein, zu ſagen: Aber wie ſtellt man ſich denn zu der Tatſache der Exiſtenz der „Theologie“ und Weber, Geiſtige Arbeit als Beruf. I. 3

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Zitationshilfe: Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_wissenschaft_1919/32>, abgerufen am 29.11.2024.