Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919.wissenschaftlicher Arbeit: das rationale Experiment, als Mittel Was bedeutete nun die Wissenschaft diesen Menschen an 2*
wiſſenſchaftlicher Arbeit: das rationale Experiment, als Mittel Was bedeutete nun die Wiſſenſchaft dieſen Menſchen an 2*
<TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0018" n="19"/> wiſſenſchaftlicher Arbeit: das rationale Experiment, als Mittel<lb/> zuverläſſig kontrollierter Erfahrung, ohne welches die heutige<lb/> empiriſche Wiſſenſchaft unmöglich wäre. Experimentiert hatte<lb/> man auch früher: phyſiologiſch z. B. in Jndien im Dienſt der<lb/> aſketiſchen Technik des Yogi, in der helleniſchen Antike mathe-<lb/> matiſch zu kriegstechniſchen Zwecken, im Mittelalter z. B. zum<lb/> Zwecke des Bergbaus. Aber das Experiment zum Prinzip<lb/> der Forſchung als ſolcher erhoben zu haben, iſt die Leiſtung<lb/> der Renaiſſance. Und zwar bildeten die Bahnbrecher die<lb/> großen Neuerer auf dem Gebiete der <hi rendition="#g">Kunſt</hi>: Lionardo und<lb/> ſeinesgleichen, vor allem charakteriſtiſch die Experimentatoren<lb/> in der Muſik des 16. Jahrhunderts mit ihren Verſuchsklavieren.<lb/> Von ihnen wanderte das Experiment in die Wiſſenſchaft vor<lb/> allem durch Galilei, in die Theorie durch Bacon; und dann<lb/> übernahmen es die exakten Einzeldiſziplinen an den Univerſi-<lb/> täten des Kontinents, zunächſt vor allem in Jtalien und den<lb/> Niederlanden.</p><lb/> <p>Was bedeutete nun die Wiſſenſchaft dieſen Menſchen an<lb/> der Schwelle der Neuzeit? Den künſtleriſchen Experimen-<lb/> tatoren von der Art Lionardos und den muſikaliſchen Neuerern<lb/> bedeutete ſie den Weg zur <hi rendition="#g">wahren</hi> Kunſt, und das hieß für<lb/> ſie zu gleich: zur wahren <hi rendition="#g">Natur</hi>. Die Kunſt ſollte zum Rang<lb/> einer Wiſſenſchaft, und das hieß zugleich und vor allem:<lb/> der Künſtler zum Rang eines Doktors, ſozial und dem Sinne<lb/> ſeines Lebens nach, erhoben werden. Das iſt der Ehrgeiz,<lb/> der z. B. auch Lionardos Malerbuch zugrunde liegt. Und<lb/> heute? „Die Wiſſenſchaft als der Weg zur Natur“ – das<lb/> würde der Jugend klingen wie eine Blasphemie. Nein, um-<lb/> gekehrt: Erlöſung vom Jntellektualismus der Wiſſenſchaft, um<lb/> zur eigenen Natur und damit zur Natur überhaupt zurück-<lb/> zukommen! Als Weg zur Kunſt vollends? Da bedarf es<lb/> keiner Kritik. – Aber man erwartete von der Wiſſenſchaft im<lb/> Zeitalter der Entſtehung der exakten Naturwiſſenſchaften noch<lb/> mehr. Wenn Sie ſich an den Ausſpruch Swammerdams er-<lb/> innern: „Jch bringe Jhnen hier den Nachweis der Vorſehung<lb/> Gottes in der Anatomie einer Laus“, ſo ſehen Sie, was die<lb/> (indirekt) proteſtantiſch und puritaniſch beeinflußte wiſſenſchaft-<lb/> liche Arbeit damals ſich als ihre eigene Aufgabe dachte: den<lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#right">2*</hi></fw> </p> </div> </body> </text> </TEI> [19/0018]
wiſſenſchaftlicher Arbeit: das rationale Experiment, als Mittel
zuverläſſig kontrollierter Erfahrung, ohne welches die heutige
empiriſche Wiſſenſchaft unmöglich wäre. Experimentiert hatte
man auch früher: phyſiologiſch z. B. in Jndien im Dienſt der
aſketiſchen Technik des Yogi, in der helleniſchen Antike mathe-
matiſch zu kriegstechniſchen Zwecken, im Mittelalter z. B. zum
Zwecke des Bergbaus. Aber das Experiment zum Prinzip
der Forſchung als ſolcher erhoben zu haben, iſt die Leiſtung
der Renaiſſance. Und zwar bildeten die Bahnbrecher die
großen Neuerer auf dem Gebiete der Kunſt: Lionardo und
ſeinesgleichen, vor allem charakteriſtiſch die Experimentatoren
in der Muſik des 16. Jahrhunderts mit ihren Verſuchsklavieren.
Von ihnen wanderte das Experiment in die Wiſſenſchaft vor
allem durch Galilei, in die Theorie durch Bacon; und dann
übernahmen es die exakten Einzeldiſziplinen an den Univerſi-
täten des Kontinents, zunächſt vor allem in Jtalien und den
Niederlanden.
Was bedeutete nun die Wiſſenſchaft dieſen Menſchen an
der Schwelle der Neuzeit? Den künſtleriſchen Experimen-
tatoren von der Art Lionardos und den muſikaliſchen Neuerern
bedeutete ſie den Weg zur wahren Kunſt, und das hieß für
ſie zu gleich: zur wahren Natur. Die Kunſt ſollte zum Rang
einer Wiſſenſchaft, und das hieß zugleich und vor allem:
der Künſtler zum Rang eines Doktors, ſozial und dem Sinne
ſeines Lebens nach, erhoben werden. Das iſt der Ehrgeiz,
der z. B. auch Lionardos Malerbuch zugrunde liegt. Und
heute? „Die Wiſſenſchaft als der Weg zur Natur“ – das
würde der Jugend klingen wie eine Blasphemie. Nein, um-
gekehrt: Erlöſung vom Jntellektualismus der Wiſſenſchaft, um
zur eigenen Natur und damit zur Natur überhaupt zurück-
zukommen! Als Weg zur Kunſt vollends? Da bedarf es
keiner Kritik. – Aber man erwartete von der Wiſſenſchaft im
Zeitalter der Entſtehung der exakten Naturwiſſenſchaften noch
mehr. Wenn Sie ſich an den Ausſpruch Swammerdams er-
innern: „Jch bringe Jhnen hier den Nachweis der Vorſehung
Gottes in der Anatomie einer Laus“, ſo ſehen Sie, was die
(indirekt) proteſtantiſch und puritaniſch beeinflußte wiſſenſchaft-
liche Arbeit damals ſich als ihre eigene Aufgabe dachte: den
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