Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919.seinem Sinn nach ihm am Abend seiner Tage gebracht hatte, Wie stellt man sich dazu? Hat der "Fortschritt" als Ungeheuer ist da nun der Gegensatz zwischen Vergangenheit Weber, Geistige Arbeit als Beruf. I. 2
ſeinem Sinn nach ihm am Abend ſeiner Tage gebracht hatte, Wie ſtellt man ſich dazu? Hat der „Fortſchritt“ als Ungeheuer iſt da nun der Gegenſatz zwiſchen Vergangenheit Weber, Geiſtige Arbeit als Beruf. I. 2
<TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0016" n="17"/> ſeinem Sinn nach ihm am Abend ſeiner Tage gebracht hatte,<lb/> was es bieten konnte, weil für ihn keine Rätſel, die er zu löſen<lb/> wünſchte, übrig blieben und er deshalb „genug“ daran haben<lb/> konnte. Ein Kulturmenſch aber, hineingeſtellt in die fort-<lb/> währende Anreicherung der Ziviliſation mit Gedanken, Wiſſen,<lb/> Problemen, der kann „lebensmüde“ werden, aber nicht: lebens-<lb/> geſättigt. Denn er erhaſcht von dem, was das Leben des<lb/> Geiſtes ſtets neu gebiert, ja nur den winzigſten Teil, und<lb/> immer nur etwas Vorläufiges, nichts Endgültiges, und deshalb<lb/> iſt der Tod für ihn eine ſinnloſe Begebenheit. Und weil der<lb/> Tod ſinnlos iſt, iſt es auch das Kulturleben als ſolches,<lb/> welches ja eben durch ſeine ſinnloſe „Fortſchrittlichkeit“ den<lb/> Tod zur Sinnloſigkeit ſtempelt. Überall in ſeinen ſpäten<lb/> Romanen findet ſich dieſer Gedanke als Grundton der Tol-<lb/> ſtojſchen Kunſt.</p><lb/> <p>Wie ſtellt man ſich dazu? Hat der „Fortſchritt“ als<lb/> ſolcher einen erkennbaren, über das Techniſche hinausreichenden<lb/> Sinn, ſo daß dadurch der Dienſt an ihm ein ſinnvoller Beruf<lb/> würde? Die Frage muß aufgeworfen werden. Das iſt nun<lb/> aber nicht mehr nur die Frage des Berufs <hi rendition="#g">für</hi> die Wiſſen-<lb/> ſchaft, das Problem alſo: Was bedeutet die Wiſſenſchaft als<lb/> Beruf für den, der ſich ihr hingibt, ſondern ſchon die andere:<lb/> Welches iſt der <hi rendition="#g">Beruf der Wiſſenſchaft</hi> innerhalb des<lb/> Geſamtlebens der Menſchheit? und welches ihr Wert?</p><lb/> <p>Ungeheuer iſt da nun der Gegenſatz zwiſchen Vergangenheit<lb/> und Gegenwart. Wenn Sie ſich erinnern an das wundervolle<lb/> Bild zu Anfang des ſiebenten Buches von Platons Politeia:<lb/> jene gefeſſelten Höhlenmenſchen, deren Geſicht gerichtet iſt auf<lb/> die Felswand vor ihnen, hinter ihnen liegt die Lichtquelle, die<lb/> ſie nicht ſehen können, ſie befaſſen ſich daher nur mit den<lb/> Schattenbildern, die ſie auf die Wand wirft, und ſuchen ihren<lb/> Zuſammenhang zu ergründen. Bis es einem von ihnen ge-<lb/> lingt, die Feſſeln zu ſprengen, und er dreht ſich um und er-<lb/> blickt: die Sonne. Geblendet tappt er umher und ſtammelt<lb/> von dem, was er ſah. Die anderen ſagen, er ſei irre. Aber<lb/> allmählich lernt er, in das Licht zu ſchauen, und dann iſt ſeine<lb/> Aufgabe, hinabzuſteigen zu den Höhlenmenſchen und ſie empor-<lb/> <fw type="sig" place="bottom"><hi rendition="#g">Weber</hi>, Geiſtige Arbeit als Beruf. I. <hi rendition="#right">2</hi></fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [17/0016]
ſeinem Sinn nach ihm am Abend ſeiner Tage gebracht hatte,
was es bieten konnte, weil für ihn keine Rätſel, die er zu löſen
wünſchte, übrig blieben und er deshalb „genug“ daran haben
konnte. Ein Kulturmenſch aber, hineingeſtellt in die fort-
währende Anreicherung der Ziviliſation mit Gedanken, Wiſſen,
Problemen, der kann „lebensmüde“ werden, aber nicht: lebens-
geſättigt. Denn er erhaſcht von dem, was das Leben des
Geiſtes ſtets neu gebiert, ja nur den winzigſten Teil, und
immer nur etwas Vorläufiges, nichts Endgültiges, und deshalb
iſt der Tod für ihn eine ſinnloſe Begebenheit. Und weil der
Tod ſinnlos iſt, iſt es auch das Kulturleben als ſolches,
welches ja eben durch ſeine ſinnloſe „Fortſchrittlichkeit“ den
Tod zur Sinnloſigkeit ſtempelt. Überall in ſeinen ſpäten
Romanen findet ſich dieſer Gedanke als Grundton der Tol-
ſtojſchen Kunſt.
Wie ſtellt man ſich dazu? Hat der „Fortſchritt“ als
ſolcher einen erkennbaren, über das Techniſche hinausreichenden
Sinn, ſo daß dadurch der Dienſt an ihm ein ſinnvoller Beruf
würde? Die Frage muß aufgeworfen werden. Das iſt nun
aber nicht mehr nur die Frage des Berufs für die Wiſſen-
ſchaft, das Problem alſo: Was bedeutet die Wiſſenſchaft als
Beruf für den, der ſich ihr hingibt, ſondern ſchon die andere:
Welches iſt der Beruf der Wiſſenſchaft innerhalb des
Geſamtlebens der Menſchheit? und welches ihr Wert?
Ungeheuer iſt da nun der Gegenſatz zwiſchen Vergangenheit
und Gegenwart. Wenn Sie ſich erinnern an das wundervolle
Bild zu Anfang des ſiebenten Buches von Platons Politeia:
jene gefeſſelten Höhlenmenſchen, deren Geſicht gerichtet iſt auf
die Felswand vor ihnen, hinter ihnen liegt die Lichtquelle, die
ſie nicht ſehen können, ſie befaſſen ſich daher nur mit den
Schattenbildern, die ſie auf die Wand wirft, und ſuchen ihren
Zuſammenhang zu ergründen. Bis es einem von ihnen ge-
lingt, die Feſſeln zu ſprengen, und er dreht ſich um und er-
blickt: die Sonne. Geblendet tappt er umher und ſtammelt
von dem, was er ſah. Die anderen ſagen, er ſei irre. Aber
allmählich lernt er, in das Licht zu ſchauen, und dann iſt ſeine
Aufgabe, hinabzuſteigen zu den Höhlenmenſchen und ſie empor-
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