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Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919.

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nicht immer echte Leidenschaft -, wenn da plötzlich die
Gesinnungspolitiker massenhaft in das Kraut schießen mit der
Parole: "die Welt ist dumm und gemein, nicht ich, die Ver-
antwortung für die Folgen trifft nicht mich, sondern die andern,
in deren Dienst ich arbeite, und deren Dummheit oder Gemein-
heit ich ausrotten werde", so sage ich offen: daß ich zunächst
einmal nach dem Maße des inneren Schwergewichts
frage, was hinter dieser Gesinnungsethik steht, und den Ein-
druck habe: daß ich es in neun von zehn Fällen mit Windbeuteln
zu tun habe, die nicht real fühlen, was sie auf sich nehmen,
sondern sich an romantischen Sensationen berauschen. Das
interessiert mich menschlich nicht sehr und erschüttert mich ganz
und gar nicht. Während es unermeßlich erschütternd ist, wenn
ein reifer Mensch - einerlei ob alt oder jung an Jahren -,
der diese Verantwortung für die Folgen real und mit voller
Seele empfindet und verantwortungsethisch handelt, an irgend-
einem Punkte sagt: "ich kann nicht anders, hier stehe ich".
Das ist etwas, was menschlich echt ist und ergreift. Denn
diese Lage muß freilich für jeden von uns, der nicht inner-
lich tot ist, irgendwann eintreten können. Jnsofern sind Ge-
sinnungsethik und Verantwortungsethik nicht absolute Gegen-
sätze, sondern Ergänzungen, die zusammen erst den echten
Menschen ausmachen, den, der den "Beruf zur Politik"
haben kann.

Und nun, verehrte Anwesende, wollen wir uns nach zehn
Jahren
über diesen Punkt einmal wieder sprechen. Wenn
dann, wie ich leider befürchten muß, aus einer ganzen Reihe
von Gründen, die Zeit der Reaktion längst hereingebrochen
und von dem, was gewiß viele von Jhnen und, wie ich offen
gestehe, auch ich gewünscht und gehofft haben, wenig, vielleicht
nicht gerade nichts, aber wenigstens dem Scheine nach wenig
in Erfüllung gegangen ist - das ist sehr wahrscheinlich, es
wird mich nicht zerbrechen, aber es ist freilich eine innerliche
Belastung, das zu wissen -, dann wünschte ich wohl zu sehen,
was aus denjenigen von Jhnen, die jetzt sich als echte "Ge-
sinnungspolitiker" fühlen und an dem Rausch teilnehmen, den
diese Revolution bedeutet, - was aus denen im inneren Sinne

Weber, Geistige Arbeit als Beruf. II. 5

nicht immer echte Leidenſchaft –, wenn da plötzlich die
Geſinnungspolitiker maſſenhaft in das Kraut ſchießen mit der
Parole: „die Welt iſt dumm und gemein, nicht ich, die Ver-
antwortung für die Folgen trifft nicht mich, ſondern die andern,
in deren Dienſt ich arbeite, und deren Dummheit oder Gemein-
heit ich ausrotten werde“, ſo ſage ich offen: daß ich zunächſt
einmal nach dem Maße des inneren Schwergewichts
frage, was hinter dieſer Geſinnungsethik ſteht, und den Ein-
druck habe: daß ich es in neun von zehn Fällen mit Windbeuteln
zu tun habe, die nicht real fühlen, was ſie auf ſich nehmen,
ſondern ſich an romantiſchen Senſationen berauſchen. Das
intereſſiert mich menſchlich nicht ſehr und erſchüttert mich ganz
und gar nicht. Während es unermeßlich erſchütternd iſt, wenn
ein reifer Menſch – einerlei ob alt oder jung an Jahren –,
der dieſe Verantwortung für die Folgen real und mit voller
Seele empfindet und verantwortungsethiſch handelt, an irgend-
einem Punkte ſagt: „ich kann nicht anders, hier ſtehe ich“.
Das iſt etwas, was menſchlich echt iſt und ergreift. Denn
dieſe Lage muß freilich für jeden von uns, der nicht inner-
lich tot iſt, irgendwann eintreten können. Jnſofern ſind Ge-
ſinnungsethik und Verantwortungsethik nicht abſolute Gegen-
sätze, ſondern Ergänzungen, die zuſammen erſt den echten
Menſchen ausmachen, den, der den „Beruf zur Politik“
haben kann.

Und nun, verehrte Anweſende, wollen wir uns nach zehn
Jahren
über dieſen Punkt einmal wieder ſprechen. Wenn
dann, wie ich leider befürchten muß, aus einer ganzen Reihe
von Gründen, die Zeit der Reaktion längſt hereingebrochen
und von dem, was gewiß viele von Jhnen und, wie ich offen
geſtehe, auch ich gewünſcht und gehofft haben, wenig, vielleicht
nicht gerade nichts, aber wenigſtens dem Scheine nach wenig
in Erfüllung gegangen iſt – das iſt ſehr wahrſcheinlich, es
wird mich nicht zerbrechen, aber es iſt freilich eine innerliche
Belaſtung, das zu wiſſen –, dann wünſchte ich wohl zu ſehen,
was aus denjenigen von Jhnen, die jetzt ſich als echte „Ge-
ſinnungspolitiker“ fühlen und an dem Rauſch teilnehmen, den
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[65/0065] nicht immer echte Leidenſchaft –, wenn da plötzlich die Geſinnungspolitiker maſſenhaft in das Kraut ſchießen mit der Parole: „die Welt iſt dumm und gemein, nicht ich, die Ver- antwortung für die Folgen trifft nicht mich, ſondern die andern, in deren Dienſt ich arbeite, und deren Dummheit oder Gemein- heit ich ausrotten werde“, ſo ſage ich offen: daß ich zunächſt einmal nach dem Maße des inneren Schwergewichts frage, was hinter dieſer Geſinnungsethik ſteht, und den Ein- druck habe: daß ich es in neun von zehn Fällen mit Windbeuteln zu tun habe, die nicht real fühlen, was ſie auf ſich nehmen, ſondern ſich an romantiſchen Senſationen berauſchen. Das intereſſiert mich menſchlich nicht ſehr und erſchüttert mich ganz und gar nicht. Während es unermeßlich erſchütternd iſt, wenn ein reifer Menſch – einerlei ob alt oder jung an Jahren –, der dieſe Verantwortung für die Folgen real und mit voller Seele empfindet und verantwortungsethiſch handelt, an irgend- einem Punkte ſagt: „ich kann nicht anders, hier ſtehe ich“. Das iſt etwas, was menſchlich echt iſt und ergreift. Denn dieſe Lage muß freilich für jeden von uns, der nicht inner- lich tot iſt, irgendwann eintreten können. Jnſofern ſind Ge- ſinnungsethik und Verantwortungsethik nicht abſolute Gegen- sätze, ſondern Ergänzungen, die zuſammen erſt den echten Menſchen ausmachen, den, der den „Beruf zur Politik“ haben kann. Und nun, verehrte Anweſende, wollen wir uns nach zehn Jahren über dieſen Punkt einmal wieder ſprechen. Wenn dann, wie ich leider befürchten muß, aus einer ganzen Reihe von Gründen, die Zeit der Reaktion längſt hereingebrochen und von dem, was gewiß viele von Jhnen und, wie ich offen geſtehe, auch ich gewünſcht und gehofft haben, wenig, vielleicht nicht gerade nichts, aber wenigſtens dem Scheine nach wenig in Erfüllung gegangen iſt – das iſt ſehr wahrſcheinlich, es wird mich nicht zerbrechen, aber es iſt freilich eine innerliche Belaſtung, das zu wiſſen –, dann wünſchte ich wohl zu ſehen, was aus denjenigen von Jhnen, die jetzt ſich als echte „Ge- ſinnungspolitiker“ fühlen und an dem Rauſch teilnehmen, den dieſe Revolution bedeutet, – was aus denen im inneren Sinne Weber, Geiſtige Arbeit als Beruf. II. 5

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Zitationshilfe: Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919/65>, abgerufen am 27.11.2024.