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Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919.

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schönen Stelle, irre ich nicht: der Florentiner Geschichten, einen
seiner Helden jene Bürger preisen, denen die Größe der
Vaterstadt höher stand als das Heil ihrer Seele.

Wenn Sie statt Vaterstadt oder "Vaterland", was ja zur-
zeit nicht jedem ein eindeutiger Wert sein mag, sagen: "die
Zukunft des Sozialismus" oder auch der "internationalen
Befriedung", - dann haben Sie das Problem in der Art, wie
es jetzt liegt. Denn das alles, erstrebt durch politisches
Handeln, welches mit gewaltsamen Mitteln und auf dem Wege
der Verantwortungsethik arbeitet, gefährdet das "Heil der
Seele". Wenn ihm aber mit reiner Gesinnungsethik im
Glaubenskampf nachgejagt wird, dann kann es Schaden leiden
und diskreditiert werden auf Generationen hinaus, weil die
Verantwortung für die Folgen fehlt. Denn dann bleiben
dem Handelnden jene diabolischen Mächte, die im Spiel sind,
unbewußt. Sie sind unerbittlich und schaffen Konsequenzen
für sein Handeln, auch für ihn selbst innerlich, denen er hilf-
los preisgegeben ist, wenn er sie nicht sieht. "Der Teufel,
der ist alt." Und nicht die Jahre, nicht das Lebensalter ist
bei dem Satz gemeint: "so werdet alt, ihn zu verstehen".
Mit dem Datum des Geburtsscheines bei Diskussionen über-
stochen zu werden, habe auch ich mir nie gefallen lassen;
aber die bloße Tatsache, daß einer 20 Jahre zählt und ich
über 50 bin, kann mich schließlich auch nicht veranlassen, zu
meinen, das allein wäre eine Leistung, vor der ich in Ehr-
furcht ersterbe. Nicht das Alter macht es. Aber allerdings:
die geschulte Rücksichtslosigkeit des Blickes in die Realitäten
des Lebens, und die Fähigkeit, sie zu ertragen und ihnen inner-
lich gewachsen zu sein.

Wahrlich: Politik wird zwar mit dem Kopf, aber ganz
gewiß nicht nur mit dem Kopf gemacht. Darin haben die
Gesinnungsethiker durchaus recht. Ob man aber als Gesinnungs-
ethiker oder als Verantwortungsethiker handeln soll, und
wann das eine und das andere, darüber kann man niemandem
Vorschriften machen. Nur eins kann man sagen: wenn jetzt in
diesen Zeiten einer, wie Sie glauben, nicht "sterilen" Auf-
geregtheit - aber Aufgeregtheit ist eben doch und durchaus

ſchönen Stelle, irre ich nicht: der Florentiner Geſchichten, einen
ſeiner Helden jene Bürger preiſen, denen die Größe der
Vaterſtadt höher ſtand als das Heil ihrer Seele.

Wenn Sie ſtatt Vaterſtadt oder „Vaterland“, was ja zur-
zeit nicht jedem ein eindeutiger Wert ſein mag, ſagen: „die
Zukunft des Sozialismus“ oder auch der „internationalen
Befriedung“, – dann haben Sie das Problem in der Art, wie
es jetzt liegt. Denn das alles, erſtrebt durch politiſches
Handeln, welches mit gewaltſamen Mitteln und auf dem Wege
der Verantwortungsethik arbeitet, gefährdet das „Heil der
Seele“. Wenn ihm aber mit reiner Geſinnungsethik im
Glaubenskampf nachgejagt wird, dann kann es Schaden leiden
und diskreditiert werden auf Generationen hinaus, weil die
Verantwortung für die Folgen fehlt. Denn dann bleiben
dem Handelnden jene diaboliſchen Mächte, die im Spiel ſind,
unbewußt. Sie ſind unerbittlich und ſchaffen Konſequenzen
für ſein Handeln, auch für ihn ſelbſt innerlich, denen er hilf-
los preisgegeben iſt, wenn er ſie nicht ſieht. „Der Teufel,
der iſt alt.“ Und nicht die Jahre, nicht das Lebensalter iſt
bei dem Satz gemeint: „ſo werdet alt, ihn zu verſtehen“.
Mit dem Datum des Geburtsſcheines bei Diskuſſionen über-
ſtochen zu werden, habe auch ich mir nie gefallen laſſen;
aber die bloße Tatſache, daß einer 20 Jahre zählt und ich
über 50 bin, kann mich ſchließlich auch nicht veranlaſſen, zu
meinen, das allein wäre eine Leiſtung, vor der ich in Ehr-
furcht erſterbe. Nicht das Alter macht es. Aber allerdings:
die geſchulte Rückſichtsloſigkeit des Blickes in die Realitäten
des Lebens, und die Fähigkeit, ſie zu ertragen und ihnen inner-
lich gewachſen zu ſein.

Wahrlich: Politik wird zwar mit dem Kopf, aber ganz
gewiß nicht nur mit dem Kopf gemacht. Darin haben die
Geſinnungsethiker durchaus recht. Ob man aber als Geſinnungs-
ethiker oder als Verantwortungsethiker handeln ſoll, und
wann das eine und das andere, darüber kann man niemandem
Vorſchriften machen. Nur eins kann man ſagen: wenn jetzt in
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[64/0064] ſchönen Stelle, irre ich nicht: der Florentiner Geſchichten, einen ſeiner Helden jene Bürger preiſen, denen die Größe der Vaterſtadt höher ſtand als das Heil ihrer Seele. Wenn Sie ſtatt Vaterſtadt oder „Vaterland“, was ja zur- zeit nicht jedem ein eindeutiger Wert ſein mag, ſagen: „die Zukunft des Sozialismus“ oder auch der „internationalen Befriedung“, – dann haben Sie das Problem in der Art, wie es jetzt liegt. Denn das alles, erſtrebt durch politiſches Handeln, welches mit gewaltſamen Mitteln und auf dem Wege der Verantwortungsethik arbeitet, gefährdet das „Heil der Seele“. Wenn ihm aber mit reiner Geſinnungsethik im Glaubenskampf nachgejagt wird, dann kann es Schaden leiden und diskreditiert werden auf Generationen hinaus, weil die Verantwortung für die Folgen fehlt. Denn dann bleiben dem Handelnden jene diaboliſchen Mächte, die im Spiel ſind, unbewußt. Sie ſind unerbittlich und ſchaffen Konſequenzen für ſein Handeln, auch für ihn ſelbſt innerlich, denen er hilf- los preisgegeben iſt, wenn er ſie nicht ſieht. „Der Teufel, der iſt alt.“ Und nicht die Jahre, nicht das Lebensalter iſt bei dem Satz gemeint: „ſo werdet alt, ihn zu verſtehen“. Mit dem Datum des Geburtsſcheines bei Diskuſſionen über- ſtochen zu werden, habe auch ich mir nie gefallen laſſen; aber die bloße Tatſache, daß einer 20 Jahre zählt und ich über 50 bin, kann mich ſchließlich auch nicht veranlaſſen, zu meinen, das allein wäre eine Leiſtung, vor der ich in Ehr- furcht erſterbe. Nicht das Alter macht es. Aber allerdings: die geſchulte Rückſichtsloſigkeit des Blickes in die Realitäten des Lebens, und die Fähigkeit, ſie zu ertragen und ihnen inner- lich gewachſen zu ſein. Wahrlich: Politik wird zwar mit dem Kopf, aber ganz gewiß nicht nur mit dem Kopf gemacht. Darin haben die Geſinnungsethiker durchaus recht. Ob man aber als Geſinnungs- ethiker oder als Verantwortungsethiker handeln ſoll, und wann das eine und das andere, darüber kann man niemandem Vorſchriften machen. Nur eins kann man ſagen: wenn jetzt in dieſen Zeiten einer, wie Sie glauben, nicht „ſterilen“ Auf- geregtheit – aber Aufgeregtheit iſt eben doch und durchaus

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Zitationshilfe: Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919/64>, abgerufen am 23.11.2024.