Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919.schwindet oder wird - was noch wirksamer ist - Bestandteil Wer Politik überhaupt und wer vollends Politik als ſchwindet oder wird – was noch wirkſamer iſt – Beſtandteil Wer Politik überhaupt und wer vollends Politik als <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0063" n="63"/> ſchwindet oder wird – was noch wirkſamer iſt – Beſtandteil<lb/> der konventionellen Phraſe der politiſchen Banauſen und Tech-<lb/> niker. Dieſe Entwicklung vollzieht ſich gerade beim Glaubens-<lb/> kampf beſonders ſchnell, weil er von echten <hi rendition="#g">Führern</hi>: Pro-<lb/> pheten der Revolution, geleitet oder inſpiriert zu werden pflegt.<lb/> Denn wie bei jedem Führerapparat, ſo auch hier iſt die Ent-<lb/> leerung und Verſachlichung, die ſeeliſche Proletariſierung im<lb/> Jntereſſe der „Disziplin“, eine der Bedingungen des Erfolges.<lb/> Die herrſchend gewordene Gefolgſchaft eines Glaubenskämpfers<lb/> pflegt daher beſonders leicht in eine ganz gewöhnliche Pfründner-<lb/> ſchicht zu entarten.</p><lb/> <p>Wer Politik überhaupt und wer vollends Politik als<lb/> Beruf betreiben will, hat ſich jener ethiſchen Paradoxien und<lb/> ſeiner Verantwortung für das, was aus <hi rendition="#g">ihm ſelbſt</hi> unter<lb/> ihrem Druck werden kann, bewußt zu ſein. Er läßt ſich, ich<lb/> wiederhole es, mit den diaboliſchen Mächten ein, die in jeder<lb/> Gewaltſamkeit lauern. Die großen Virtuoſen der akos-<lb/> miſtiſchen Menſchenliebe und Güte, mochten ſie aus Nazareth<lb/> oder aus Aſſiſi oder aus indiſchen Königsſchlöſſern ſtammen,<lb/> haben nicht mit dem politiſchen Mittel: der Gewalt, gearbeitet,<lb/> ihr Reich war „nicht von dieſer Welt“, und doch wirkten und<lb/> wirken ſie in dieſer Welt, und die Figuren des Platon Kara-<lb/> tajew und der Doſtojewſkiſchen Heiligen ſind immer noch ihre<lb/> adäquateſten Nachkonſtruktionen. Wer das Heil ſeiner Seele<lb/> und die Rettung anderer Seelen ſucht, der ſucht das nicht<lb/> auf dem Wege der Politik, die ganz andere Aufgaben hat:<lb/> ſolche, die nur mit Gewalt zu löſen ſind. Der Genius, oder<lb/> Dämon der Politik lebt mit dem Gott der Liebe, auch mit<lb/> dem Chriſtengott in ſeiner kirchlichen Ausprägung, in einer inneren<lb/> Spannung, die jederzeit in unauſtragbarem Konflikt ausbrechen<lb/> kann. Das wußten die Menſchen auch in den Zeiten der<lb/> Kirchenherrſchaft. Wieder und wieder lag das Jnterdikt – und<lb/> das bedeutete damals eine für die Menſchen und ihr Seelen-<lb/> heil weit maſſivere Macht als die (mit Fichte zu reden) „kalte<lb/> Billigung“ des kantianiſchen ethiſchen Urteils – auf Florenz,<lb/> die Bürger aber fochten gegen den Kirchenſtaat. Und mit<lb/> Bezug auf ſolche Situationen läßt Macchiavelli in einer<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [63/0063]
ſchwindet oder wird – was noch wirkſamer iſt – Beſtandteil
der konventionellen Phraſe der politiſchen Banauſen und Tech-
niker. Dieſe Entwicklung vollzieht ſich gerade beim Glaubens-
kampf beſonders ſchnell, weil er von echten Führern: Pro-
pheten der Revolution, geleitet oder inſpiriert zu werden pflegt.
Denn wie bei jedem Führerapparat, ſo auch hier iſt die Ent-
leerung und Verſachlichung, die ſeeliſche Proletariſierung im
Jntereſſe der „Disziplin“, eine der Bedingungen des Erfolges.
Die herrſchend gewordene Gefolgſchaft eines Glaubenskämpfers
pflegt daher beſonders leicht in eine ganz gewöhnliche Pfründner-
ſchicht zu entarten.
Wer Politik überhaupt und wer vollends Politik als
Beruf betreiben will, hat ſich jener ethiſchen Paradoxien und
ſeiner Verantwortung für das, was aus ihm ſelbſt unter
ihrem Druck werden kann, bewußt zu ſein. Er läßt ſich, ich
wiederhole es, mit den diaboliſchen Mächten ein, die in jeder
Gewaltſamkeit lauern. Die großen Virtuoſen der akos-
miſtiſchen Menſchenliebe und Güte, mochten ſie aus Nazareth
oder aus Aſſiſi oder aus indiſchen Königsſchlöſſern ſtammen,
haben nicht mit dem politiſchen Mittel: der Gewalt, gearbeitet,
ihr Reich war „nicht von dieſer Welt“, und doch wirkten und
wirken ſie in dieſer Welt, und die Figuren des Platon Kara-
tajew und der Doſtojewſkiſchen Heiligen ſind immer noch ihre
adäquateſten Nachkonſtruktionen. Wer das Heil ſeiner Seele
und die Rettung anderer Seelen ſucht, der ſucht das nicht
auf dem Wege der Politik, die ganz andere Aufgaben hat:
ſolche, die nur mit Gewalt zu löſen ſind. Der Genius, oder
Dämon der Politik lebt mit dem Gott der Liebe, auch mit
dem Chriſtengott in ſeiner kirchlichen Ausprägung, in einer inneren
Spannung, die jederzeit in unauſtragbarem Konflikt ausbrechen
kann. Das wußten die Menſchen auch in den Zeiten der
Kirchenherrſchaft. Wieder und wieder lag das Jnterdikt – und
das bedeutete damals eine für die Menſchen und ihr Seelen-
heil weit maſſivere Macht als die (mit Fichte zu reden) „kalte
Billigung“ des kantianiſchen ethiſchen Urteils – auf Florenz,
die Bürger aber fochten gegen den Kirchenſtaat. Und mit
Bezug auf ſolche Situationen läßt Macchiavelli in einer
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription.Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Bogensignaturen: übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): transkribiert; Normalisierungen: dokumentiert; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |