Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919.

Bild:
<< vorherige Seite

Böses kommen könne, sondern oft das Gegenteil. Wer das
nicht sieht, ist in der Tat politisch ein Kind.

Die religiöse Ethik hat sich mit der Tatsache, daß wir in
verschiedene, untereinander verschiedenen Gesetzen unterstehende
Lebensordnungen hineingestellt sind, verschieden abgefunden.
Der hellenische Polytheismus opferte der Aphrodite ebenso wie
der Hera, dem Dionysos wie dem Apollon und wußte: sie
lagen untereinander nicht selten im Streit. Die hinduistische
Lebensordnung machte jeden der verschiedenen Berufe zum
Gegenstand eines besonderen ethischen Gesetzes, eines Dharma,
und schied sie kastenmäßig für immer voneinander, stellte sie
dabei in eine feste Ranghierarchie, aus der es für den Hierin-
geborenen kein Entrinnen gab, außer in der Wiedergeburt im
nächsten Leben und stellte sie dadurch in verschieden große
Distanz zu den höchsten religiösen Heilsgütern. So war es
ihr möglich, das Dharma jeder einzelnen Kaste, von den Asketen
und Brahmanen bis zu den Spitzbuben und Dirnen, den
immanenten Eigengesetzlichkeiten des Berufs entsprechend aus-
zubauen. Darunter auch Krieg und Politik. Die Einordnung
des Krieges in die Gesamtheit der Lebensordnungen finden Sie
vollzogen im Bhagavadgita, in der Unterredung zwischen
Krischna und Arjuna. "Tue das notwendige" - d. h. das
nach dem Dharma der Kriegskaste und ihren Regeln pflicht-
mäßige, dem Kriegszweck entsprechend sachlich notwendige -
"Werk": das schädigt das religiöse Heil nach diesem Glauben
nicht, sondern dient ihm. Jndras Himmel war dem indischen
Krieger beim Heldentod von jeher ebenso sicher wie Walhall
dem Germanen. Nirwana aber hätte jener ebenso verschmäht,
wie dieser das christliche Paradies mit seinen Engelchören.
Diese Spezialisierung der Ethik ermöglichte der indischen Ethik
eine gänzlich ungebrochene, nur den Eigengesetzen der Politik
folgende, ja diese radikal steigernde Behandlung dieser könig-
lichen Kunst. Der wirklich radikale "Macchiavellismus" im
populären Sinn dieses Wortes ist in der indischen Literatur im
Kautaliya Arthasastra, (lange vorchristlich, angeblich aus
Tschandva-guptas Zeit), klassisch vertreten; dagegen ist Macchia-
vellis "Principe" harmlos. Jn der katholischen Ethik, der Pro-

Böſes kommen könne, ſondern oft das Gegenteil. Wer das
nicht ſieht, iſt in der Tat politiſch ein Kind.

Die religiöſe Ethik hat ſich mit der Tatſache, daß wir in
verſchiedene, untereinander verſchiedenen Geſetzen unterſtehende
Lebensordnungen hineingeſtellt ſind, verſchieden abgefunden.
Der helleniſche Polytheismus opferte der Aphrodite ebenſo wie
der Hera, dem Dionyſos wie dem Apollon und wußte: ſie
lagen untereinander nicht ſelten im Streit. Die hinduiſtiſche
Lebensordnung machte jeden der verſchiedenen Berufe zum
Gegenſtand eines beſonderen ethiſchen Geſetzes, eines Dharma,
und ſchied ſie kaſtenmäßig für immer voneinander, ſtellte ſie
dabei in eine feſte Ranghierarchie, aus der es für den Hierin-
geborenen kein Entrinnen gab, außer in der Wiedergeburt im
nächſten Leben und ſtellte ſie dadurch in verſchieden große
Diſtanz zu den höchſten religiöſen Heilsgütern. So war es
ihr möglich, das Dharma jeder einzelnen Kaſte, von den Aſketen
und Brahmanen bis zu den Spitzbuben und Dirnen, den
immanenten Eigengeſetzlichkeiten des Berufs entſprechend aus-
zubauen. Darunter auch Krieg und Politik. Die Einordnung
des Krieges in die Geſamtheit der Lebensordnungen finden Sie
vollzogen im Bhagavadgita, in der Unterredung zwiſchen
Krischna und Arjuna. „Tue das notwendige“ – d. h. das
nach dem Dharma der Kriegskaſte und ihren Regeln pflicht-
mäßige, dem Kriegszweck entſprechend ſachlich notwendige –
„Werk“: das ſchädigt das religiöſe Heil nach dieſem Glauben
nicht, ſondern dient ihm. Jndras Himmel war dem indiſchen
Krieger beim Heldentod von jeher ebenſo ſicher wie Walhall
dem Germanen. Nirwana aber hätte jener ebenſo verſchmäht,
wie dieſer das chriſtliche Paradies mit ſeinen Engelchören.
Dieſe Spezialiſierung der Ethik ermöglichte der indiſchen Ethik
eine gänzlich ungebrochene, nur den Eigengeſetzen der Politik
folgende, ja dieſe radikal ſteigernde Behandlung dieſer könig-
lichen Kunſt. Der wirklich radikale „Macchiavellismus“ im
populären Sinn dieſes Wortes iſt in der indiſchen Literatur im
Kautaliya Arthasastra, (lange vorchriſtlich, angeblich aus
Tschandva-guptas Zeit), klaſſiſch vertreten; dagegen iſt Macchia-
vellis „Principe“ harmlos. Jn der katholiſchen Ethik, der Pro-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0060" n="60"/>&#x017F;es kommen könne, &#x017F;ondern oft das Gegenteil. Wer das<lb/>
nicht &#x017F;ieht, i&#x017F;t in der Tat politi&#x017F;ch ein Kind.</p><lb/>
        <p>Die religiö&#x017F;e Ethik hat &#x017F;ich mit der Tat&#x017F;ache, daß wir in<lb/>
ver&#x017F;chiedene, untereinander ver&#x017F;chiedenen Ge&#x017F;etzen unter&#x017F;tehende<lb/>
Lebensordnungen hineinge&#x017F;tellt &#x017F;ind, ver&#x017F;chieden abgefunden.<lb/>
Der helleni&#x017F;che Polytheismus opferte der Aphrodite eben&#x017F;o wie<lb/>
der Hera, dem Diony&#x017F;os wie dem Apollon und wußte: &#x017F;ie<lb/>
lagen untereinander nicht &#x017F;elten im Streit. Die hindui&#x017F;ti&#x017F;che<lb/>
Lebensordnung machte jeden der ver&#x017F;chiedenen Berufe zum<lb/>
Gegen&#x017F;tand eines be&#x017F;onderen ethi&#x017F;chen Ge&#x017F;etzes, eines <hi rendition="#aq">Dharma</hi>,<lb/>
und &#x017F;chied &#x017F;ie ka&#x017F;tenmäßig für immer voneinander, &#x017F;tellte &#x017F;ie<lb/>
dabei in eine fe&#x017F;te Ranghierarchie, aus der es für den Hierin-<lb/>
geborenen kein Entrinnen gab, außer in der Wiedergeburt im<lb/>
näch&#x017F;ten Leben und &#x017F;tellte &#x017F;ie dadurch in ver&#x017F;chieden große<lb/>
Di&#x017F;tanz zu den höch&#x017F;ten religiö&#x017F;en Heilsgütern. So war es<lb/>
ihr möglich, das <hi rendition="#aq">Dharma</hi> jeder einzelnen Ka&#x017F;te, von den A&#x017F;keten<lb/>
und Brahmanen bis zu den Spitzbuben und Dirnen, den<lb/>
immanenten Eigenge&#x017F;etzlichkeiten des Berufs ent&#x017F;prechend aus-<lb/>
zubauen. Darunter auch Krieg und Politik. Die Einordnung<lb/>
des Krieges in die Ge&#x017F;amtheit der Lebensordnungen finden Sie<lb/>
vollzogen im <hi rendition="#aq">Bhagavadgita</hi>, in der Unterredung zwi&#x017F;chen<lb/><hi rendition="#aq">Krischna</hi> und <hi rendition="#aq"><choice><sic>Arduna</sic><corr>Arjuna</corr></choice></hi>. &#x201E;Tue das notwendige&#x201C; &#x2013; d. h. das<lb/>
nach dem <hi rendition="#aq">Dharma</hi> der Kriegska&#x017F;te und ihren Regeln pflicht-<lb/>
mäßige, dem Kriegszweck ent&#x017F;prechend &#x017F;achlich notwendige &#x2013;<lb/>
&#x201E;Werk&#x201C;: das &#x017F;chädigt das religiö&#x017F;e Heil nach die&#x017F;em Glauben<lb/>
nicht, &#x017F;ondern dient ihm. Jndras Himmel war dem indi&#x017F;chen<lb/>
Krieger beim Heldentod von jeher eben&#x017F;o &#x017F;icher wie Walhall<lb/>
dem Germanen. Nirwana aber hätte jener eben&#x017F;o ver&#x017F;chmäht,<lb/>
wie die&#x017F;er das chri&#x017F;tliche Paradies mit &#x017F;einen Engelchören.<lb/>
Die&#x017F;e Speziali&#x017F;ierung der Ethik ermöglichte der indi&#x017F;chen Ethik<lb/>
eine gänzlich ungebrochene, nur den Eigenge&#x017F;etzen der Politik<lb/>
folgende, ja die&#x017F;e radikal &#x017F;teigernde Behandlung die&#x017F;er könig-<lb/>
lichen Kun&#x017F;t. Der wirklich radikale &#x201E;Macchiavellismus&#x201C; im<lb/>
populären Sinn die&#x017F;es Wortes i&#x017F;t in der indi&#x017F;chen Literatur im<lb/><hi rendition="#aq">Kautaliya Arthasastra</hi>, (lange vorchri&#x017F;tlich, angeblich aus<lb/><hi rendition="#aq">Tschandva-guptas</hi> Zeit), kla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;ch vertreten; dagegen i&#x017F;t Macchia-<lb/>
vellis <hi rendition="#aq">&#x201E;Principe&#x201C;</hi> harmlos. Jn der katholi&#x017F;chen Ethik, der Pro-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0060] Böſes kommen könne, ſondern oft das Gegenteil. Wer das nicht ſieht, iſt in der Tat politiſch ein Kind. Die religiöſe Ethik hat ſich mit der Tatſache, daß wir in verſchiedene, untereinander verſchiedenen Geſetzen unterſtehende Lebensordnungen hineingeſtellt ſind, verſchieden abgefunden. Der helleniſche Polytheismus opferte der Aphrodite ebenſo wie der Hera, dem Dionyſos wie dem Apollon und wußte: ſie lagen untereinander nicht ſelten im Streit. Die hinduiſtiſche Lebensordnung machte jeden der verſchiedenen Berufe zum Gegenſtand eines beſonderen ethiſchen Geſetzes, eines Dharma, und ſchied ſie kaſtenmäßig für immer voneinander, ſtellte ſie dabei in eine feſte Ranghierarchie, aus der es für den Hierin- geborenen kein Entrinnen gab, außer in der Wiedergeburt im nächſten Leben und ſtellte ſie dadurch in verſchieden große Diſtanz zu den höchſten religiöſen Heilsgütern. So war es ihr möglich, das Dharma jeder einzelnen Kaſte, von den Aſketen und Brahmanen bis zu den Spitzbuben und Dirnen, den immanenten Eigengeſetzlichkeiten des Berufs entſprechend aus- zubauen. Darunter auch Krieg und Politik. Die Einordnung des Krieges in die Geſamtheit der Lebensordnungen finden Sie vollzogen im Bhagavadgita, in der Unterredung zwiſchen Krischna und Arjuna. „Tue das notwendige“ – d. h. das nach dem Dharma der Kriegskaſte und ihren Regeln pflicht- mäßige, dem Kriegszweck entſprechend ſachlich notwendige – „Werk“: das ſchädigt das religiöſe Heil nach dieſem Glauben nicht, ſondern dient ihm. Jndras Himmel war dem indiſchen Krieger beim Heldentod von jeher ebenſo ſicher wie Walhall dem Germanen. Nirwana aber hätte jener ebenſo verſchmäht, wie dieſer das chriſtliche Paradies mit ſeinen Engelchören. Dieſe Spezialiſierung der Ethik ermöglichte der indiſchen Ethik eine gänzlich ungebrochene, nur den Eigengeſetzen der Politik folgende, ja dieſe radikal ſteigernde Behandlung dieſer könig- lichen Kunſt. Der wirklich radikale „Macchiavellismus“ im populären Sinn dieſes Wortes iſt in der indiſchen Literatur im Kautaliya Arthasastra, (lange vorchriſtlich, angeblich aus Tschandva-guptas Zeit), klaſſiſch vertreten; dagegen iſt Macchia- vellis „Principe“ harmlos. Jn der katholiſchen Ethik, der Pro-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription.Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): transkribiert; Normalisierungen: dokumentiert; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919/60
Zitationshilfe: Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919/60>, abgerufen am 23.11.2024.