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Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919.

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anheim", oder unter der verantwortungsethischen: daß man
für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufzu-
kommen hat. Sie mögen einem überzeugten gesinnungsethischen
Syndikalisten noch so überzeugend darlegen: daß die Folgen
seines Tuns die Steigerung der Chancen der Reaktion, ge-
steigerte Bedrückung seiner Klasse, Hemmung ihres Aufstiegs
sein werden, - und es wird auf ihn gar keinen Eindruck
machen. Wenn die Folgen einer aus reiner Gesinnung fließen-
den Handlung üble sind, so gilt ihm nicht der Handelnde,
sondern die Welt dafür verantwortlich, die Dummheit der anderen
Menschen oder - der Wille des Gottes, der sie so schuf. Der
Verantwortungsethiker dagegen rechnet mit eben jenen durch-
schnittlichen Defekten der Menschen, - er hat, wie Fichte
richtig gesagt hat, gar kein Recht, ihre Güte und Vollkommen-
heit vorauszusetzen, er fühlt sich nicht in der Lage, die Folgen
eigenen Tuns, soweit er sie voraussehen konnte, auf andere
abzuwälzen. Er wird sagen: diese Folgen werden meinem
Tun zugerechnet. "Verantwortlich" fühlt sich der Gesinnungs-
ethiker nur dafür, daß die Flamme der reinen Gesinnung, die
Flamme z. B. des Protestes gegen die Ungerechtigkeit der
sozialen Ordnung, nicht erlischt. Sie stets neu anzufachen, ist
der Zweck seiner, vom möglichen Erfolg her beurteilt, ganz
irrationalen Taten, die nur exemplarischen Wert haben können
und sollen.

Aber auch damit ist das Problem noch nicht zu Ende.
Keine Ethik der Welt kommt um die Tatsache herum, daß
die Erreichung "guter" Zwecke in zahlreichen Fällen daran ge-
bunden ist, daß man sittlich bedenkliche oder mindestens gefähr-
liche Mittel und die Möglichkeit oder auch die Wahrscheinlich-
keit übler Nebenerfolge mit in den Kauf nimmt, und keine
Ethik der Welt kann ergeben: wann und in welchem Umfang
der ethisch gute Zweck die ethisch gefährlichen Mittel und
Nebenerfolge "heiligt".

Für die Politik ist das entscheidende Mittel: die Gewalt-
samkeit, und wie groß die Tragweite der Spannung zwischen
Mittel und Zweck, ethisch angesehen, ist, mögen Sie daraus
entnehmen, daß, wie jedermann weiß, sich die revolutionären

anheim“, oder unter der verantwortungsethiſchen: daß man
für die (vorausſehbaren) Folgen ſeines Handelns aufzu-
kommen hat. Sie mögen einem überzeugten geſinnungsethiſchen
Syndikaliſten noch ſo überzeugend darlegen: daß die Folgen
ſeines Tuns die Steigerung der Chancen der Reaktion, ge-
ſteigerte Bedrückung ſeiner Klaſſe, Hemmung ihres Aufſtiegs
ſein werden, – und es wird auf ihn gar keinen Eindruck
machen. Wenn die Folgen einer aus reiner Geſinnung fließen-
den Handlung üble ſind, ſo gilt ihm nicht der Handelnde,
ſondern die Welt dafür verantwortlich, die Dummheit der anderen
Menſchen oder – der Wille des Gottes, der ſie ſo ſchuf. Der
Verantwortungsethiker dagegen rechnet mit eben jenen durch-
ſchnittlichen Defekten der Menſchen, – er hat, wie Fichte
richtig geſagt hat, gar kein Recht, ihre Güte und Vollkommen-
heit vorauszuſetzen, er fühlt ſich nicht in der Lage, die Folgen
eigenen Tuns, ſoweit er ſie vorausſehen konnte, auf andere
abzuwälzen. Er wird ſagen: dieſe Folgen werden meinem
Tun zugerechnet. „Verantwortlich“ fühlt ſich der Geſinnungs-
ethiker nur dafür, daß die Flamme der reinen Geſinnung, die
Flamme z. B. des Proteſtes gegen die Ungerechtigkeit der
ſozialen Ordnung, nicht erliſcht. Sie ſtets neu anzufachen, iſt
der Zweck ſeiner, vom möglichen Erfolg her beurteilt, ganz
irrationalen Taten, die nur exemplariſchen Wert haben können
und ſollen.

Aber auch damit iſt das Problem noch nicht zu Ende.
Keine Ethik der Welt kommt um die Tatſache herum, daß
die Erreichung „guter“ Zwecke in zahlreichen Fällen daran ge-
bunden iſt, daß man ſittlich bedenkliche oder mindeſtens gefähr-
liche Mittel und die Möglichkeit oder auch die Wahrſcheinlich-
keit übler Nebenerfolge mit in den Kauf nimmt, und keine
Ethik der Welt kann ergeben: wann und in welchem Umfang
der ethiſch gute Zweck die ethiſch gefährlichen Mittel und
Nebenerfolge „heiligt“.

Für die Politik iſt das entſcheidende Mittel: die Gewalt-
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[57/0057] anheim“, oder unter der verantwortungsethiſchen: daß man für die (vorausſehbaren) Folgen ſeines Handelns aufzu- kommen hat. Sie mögen einem überzeugten geſinnungsethiſchen Syndikaliſten noch ſo überzeugend darlegen: daß die Folgen ſeines Tuns die Steigerung der Chancen der Reaktion, ge- ſteigerte Bedrückung ſeiner Klaſſe, Hemmung ihres Aufſtiegs ſein werden, – und es wird auf ihn gar keinen Eindruck machen. Wenn die Folgen einer aus reiner Geſinnung fließen- den Handlung üble ſind, ſo gilt ihm nicht der Handelnde, ſondern die Welt dafür verantwortlich, die Dummheit der anderen Menſchen oder – der Wille des Gottes, der ſie ſo ſchuf. Der Verantwortungsethiker dagegen rechnet mit eben jenen durch- ſchnittlichen Defekten der Menſchen, – er hat, wie Fichte richtig geſagt hat, gar kein Recht, ihre Güte und Vollkommen- heit vorauszuſetzen, er fühlt ſich nicht in der Lage, die Folgen eigenen Tuns, ſoweit er ſie vorausſehen konnte, auf andere abzuwälzen. Er wird ſagen: dieſe Folgen werden meinem Tun zugerechnet. „Verantwortlich“ fühlt ſich der Geſinnungs- ethiker nur dafür, daß die Flamme der reinen Geſinnung, die Flamme z. B. des Proteſtes gegen die Ungerechtigkeit der ſozialen Ordnung, nicht erliſcht. Sie ſtets neu anzufachen, iſt der Zweck ſeiner, vom möglichen Erfolg her beurteilt, ganz irrationalen Taten, die nur exemplariſchen Wert haben können und ſollen. Aber auch damit iſt das Problem noch nicht zu Ende. Keine Ethik der Welt kommt um die Tatſache herum, daß die Erreichung „guter“ Zwecke in zahlreichen Fällen daran ge- bunden iſt, daß man ſittlich bedenkliche oder mindeſtens gefähr- liche Mittel und die Möglichkeit oder auch die Wahrſcheinlich- keit übler Nebenerfolge mit in den Kauf nimmt, und keine Ethik der Welt kann ergeben: wann und in welchem Umfang der ethiſch gute Zweck die ethiſch gefährlichen Mittel und Nebenerfolge „heiligt“. Für die Politik iſt das entſcheidende Mittel: die Gewalt- ſamkeit, und wie groß die Tragweite der Spannung zwiſchen Mittel und Zweck, ethiſch angeſehen, iſt, mögen Sie daraus entnehmen, daß, wie jedermann weiß, ſich die revolutionären

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Zitationshilfe: Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919/57>, abgerufen am 23.11.2024.