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Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919.

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nach dem Evangelium handelnde Pazifist wird die Waffen
ablehnen oder fortwerfen, wie es in Deutschland empfohlen
wurde, als ethische Pflicht, um dem Krieg und damit: jedem
Krieg, ein Ende zu machen. Der Politiker wird sagen: das
einzig sichere Mittel, den Krieg für alle absehbare Zeit zu
diskreditieren, wäre ein status-quo-Friede gewesen. Dann
hätten sich die Völker gefragt: wozu war der Krieg? Er wäre
ad absurdum geführt gewesen, - was jetzt nicht möglich
ist. Denn für die Sieger - mindestens für einen Teil von
ihnen - wird er sich politisch rentiert haben. Und dafür ist
jenes Verhalten verantwortlich, das uns jeden Widerstand
unmöglich machte. Nun wird - wenn die Ermattungsepoche
vorbei sein wird - der Frieden diskreditiert sein,
nicht der Krieg
: eine Folge der absoluten Ethik.

Endlich: die Wahrheitspflicht. Sie ist für die absolute
Ethik unbedingt. Also, hat man gefolgert: Publikation aller,
vor allem der das eigne Land belastenden Dokumente und auf
Grund dieser einseitigen Publikation: Schuldbekenntnis, ein-
seitig, bedingungslos, ohne Rücksicht auf die Folgen. Der
Politiker wird finden, daß im Erfolg dadurch die Wahr-
heit nicht gefördert, sondern durch Mißbrauch und Entfesselung
von Leidenschaft sicher verdunkelt wird; daß nur eine all-
seitige planmäßige Feststellung durch Unparteiische Frucht bringen
könnte, jedes andre Vorgehen für die Nation, die derartig
verfährt, Folgen haben kann, die in Jahrzehnten nicht wieder
gut zu machen sind. Aber nach "Folgen" fragt eben die ab-
solute Ethik nicht.

Da liegt der entscheidende Punkt. Wir müssen uns klar
machen, daß alles ethisch orientierte Handeln unter zwei von-
einander grundverschiedenen, unaustragbar gegensätzlichen
Maximen stehen kann: es kann "gesinnungsethisch" oder "ver-
anwortungsethisch" orientiert sein. Nicht daß Gesinnungs-
ethik mit Verantwortungslosigkeit und Verantwortungsethik
mit Gesinnungslosigkeit identisch wäre. Davon ist natürlich
keine Rede. Aber es ist ein abgrundtiefer Gegensatz, ob man
unter der gesinnungsethischen Maxime handelt - religiös ge-
redet -: "der Christ tut recht und stellt den Erfolg Gott

nach dem Evangelium handelnde Pazifiſt wird die Waffen
ablehnen oder fortwerfen, wie es in Deutſchland empfohlen
wurde, als ethiſche Pflicht, um dem Krieg und damit: jedem
Krieg, ein Ende zu machen. Der Politiker wird ſagen: das
einzig ſichere Mittel, den Krieg für alle abſehbare Zeit zu
diskreditieren, wäre ein status-quo-Friede geweſen. Dann
hätten ſich die Völker gefragt: wozu war der Krieg? Er wäre
ad absurdum geführt geweſen, – was jetzt nicht möglich
iſt. Denn für die Sieger – mindeſtens für einen Teil von
ihnen – wird er ſich politiſch rentiert haben. Und dafür iſt
jenes Verhalten verantwortlich, das uns jeden Widerſtand
unmöglich machte. Nun wird – wenn die Ermattungsepoche
vorbei ſein wird – der Frieden diskreditiert ſein,
nicht der Krieg
: eine Folge der abſoluten Ethik.

Endlich: die Wahrheitspflicht. Sie iſt für die abſolute
Ethik unbedingt. Alſo, hat man gefolgert: Publikation aller,
vor allem der das eigne Land belaſtenden Dokumente und auf
Grund dieſer einſeitigen Publikation: Schuldbekenntnis, ein-
ſeitig, bedingungslos, ohne Rückſicht auf die Folgen. Der
Politiker wird finden, daß im Erfolg dadurch die Wahr-
heit nicht gefördert, ſondern durch Mißbrauch und Entfeſſelung
von Leidenſchaft ſicher verdunkelt wird; daß nur eine all-
ſeitige planmäßige Feſtſtellung durch Unparteiiſche Frucht bringen
könnte, jedes andre Vorgehen für die Nation, die derartig
verfährt, Folgen haben kann, die in Jahrzehnten nicht wieder
gut zu machen ſind. Aber nach „Folgen“ fragt eben die ab-
ſolute Ethik nicht.

Da liegt der entſcheidende Punkt. Wir müſſen uns klar
machen, daß alles ethiſch orientierte Handeln unter zwei von-
einander grundverſchiedenen, unauſtragbar gegensätzlichen
Maximen ſtehen kann: es kann „geſinnungsethiſch“ oder „ver-
anwortungsethiſch“ orientiert ſein. Nicht daß Geſinnungs-
ethik mit Verantwortungsloſigkeit und Verantwortungsethik
mit Geſinnungsloſigkeit identiſch wäre. Davon iſt natürlich
keine Rede. Aber es iſt ein abgrundtiefer Gegenſatz, ob man
unter der geſinnungsethiſchen Maxime handelt – religiös ge-
redet –: „der Chriſt tut recht und ſtellt den Erfolg Gott

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[56/0056] nach dem Evangelium handelnde Pazifiſt wird die Waffen ablehnen oder fortwerfen, wie es in Deutſchland empfohlen wurde, als ethiſche Pflicht, um dem Krieg und damit: jedem Krieg, ein Ende zu machen. Der Politiker wird ſagen: das einzig ſichere Mittel, den Krieg für alle abſehbare Zeit zu diskreditieren, wäre ein status-quo-Friede geweſen. Dann hätten ſich die Völker gefragt: wozu war der Krieg? Er wäre ad absurdum geführt geweſen, – was jetzt nicht möglich iſt. Denn für die Sieger – mindeſtens für einen Teil von ihnen – wird er ſich politiſch rentiert haben. Und dafür iſt jenes Verhalten verantwortlich, das uns jeden Widerſtand unmöglich machte. Nun wird – wenn die Ermattungsepoche vorbei ſein wird – der Frieden diskreditiert ſein, nicht der Krieg: eine Folge der abſoluten Ethik. Endlich: die Wahrheitspflicht. Sie iſt für die abſolute Ethik unbedingt. Alſo, hat man gefolgert: Publikation aller, vor allem der das eigne Land belaſtenden Dokumente und auf Grund dieſer einſeitigen Publikation: Schuldbekenntnis, ein- ſeitig, bedingungslos, ohne Rückſicht auf die Folgen. Der Politiker wird finden, daß im Erfolg dadurch die Wahr- heit nicht gefördert, ſondern durch Mißbrauch und Entfeſſelung von Leidenſchaft ſicher verdunkelt wird; daß nur eine all- ſeitige planmäßige Feſtſtellung durch Unparteiiſche Frucht bringen könnte, jedes andre Vorgehen für die Nation, die derartig verfährt, Folgen haben kann, die in Jahrzehnten nicht wieder gut zu machen ſind. Aber nach „Folgen“ fragt eben die ab- ſolute Ethik nicht. Da liegt der entſcheidende Punkt. Wir müſſen uns klar machen, daß alles ethiſch orientierte Handeln unter zwei von- einander grundverſchiedenen, unauſtragbar gegensätzlichen Maximen ſtehen kann: es kann „geſinnungsethiſch“ oder „ver- anwortungsethiſch“ orientiert ſein. Nicht daß Geſinnungs- ethik mit Verantwortungsloſigkeit und Verantwortungsethik mit Geſinnungsloſigkeit identiſch wäre. Davon iſt natürlich keine Rede. Aber es iſt ein abgrundtiefer Gegenſatz, ob man unter der geſinnungsethiſchen Maxime handelt – religiös ge- redet –: „der Chriſt tut recht und ſtellt den Erfolg Gott

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Zitationshilfe: Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919/56>, abgerufen am 23.11.2024.